Langzeit-Berichte lesen

Übersicht:

Titel:Die Tablette, die mich der Gesellschaft näher gebracht hat/Trama
Droge:Tramadol
Autor:Traeuminchen
Datum:12.08.2014 12:31
Nützlichkeit:8,09 von 10 möglichen   (35 Stimmen abgegeben)

Bericht::

Jetzt hat es mich wohl doch erwischt – zwei Jahre lang war ich umsichtig genug die Dosis gering zu halten bzw. wenn es über einen längeren Zeitraum nötig war auszuschleichen, bevor ich die nächste Pause angehe, aber diesmal war es anders und jetzt sitze ich da, fühle mich sogar beim Schreiben überanstrengt, friere schwitzend und bekomme bei jedem Schritt, den ich gehe Krämpfe, benötige die Toilette deutlich öfter als normalerweise und brauche für jeden einzelnen Arbeitsschritt, den ich machen muss alle verfügbaren Kräfte.



Soviel zum Jetzt-Stand. Es geht um das Wundermittel, dass anders als sämtliche getesteten Antidepressiva oder Benzodiazepane in der Lage war mich zu einem gesellschaftsfähigen Menschen zu machen und zeitgleich dafür zu sorgen, dass ich weniger Rückenprobleme habe und in letzter Zeit, um die Wartezeit bis ich es zum Chirurgen schaffe zu überbrücken, Tramadol.



Jede Minute stellt sich die Frage ob ich (sobald die letzten Bruchstücke der letzten Verfügbaren Tabletten aufgebraucht sind) entziehen soll, oder nicht. Natürlich möchte ich das, aber ich weiß auch, dass ich wohl immer wieder zu einer Tablette greifen werde. Nicht nur, weil es Abends so schön ist, stundenlang zu nodden, seinen Körper watteweich zu fühlen, sondern eigentlich, weil es mir ermöglicht, nach draußen zu gehen, aktiv am Leben teilzuhaben und darauf möchte und kann ich nicht mehr verzichten. Um das zu verstehen muss ich etwas ausholen, auch wenn der Text dann etwas lang wird (ich freue mich über jeden, der es auf sich nimmt, bis zum Schluß zu lesen).





Um alles zu verstehen zu können, auch wenn man mich nicht kennt, muss ich weit ausholen. Schon in der Schul- und Kindergartenzeit war ich eher ein zurückgezogener, schüchterner Mensch. Allerdings habe ich es immer geschafft, mich irgendwie so anzupassen, dass ich genau das dargestellt habe, dass die Gesellschaft von mir verlangt hat. Dazu kam ein Sohn, dessen Vater … die Meinung meines Sohnes über ihn ist, dass er ein fetter, fauler Sack ist der Seinen A*** nicht vom Sofa hoch bekommt. Also blieb nur das alleine groß ziehen. Und so habe ich weiter funktioniert.



Ich selbst blieb dabei mehr und mehr auf der Strecke, ich habe gearbeitet, Unterhalt gab es keinen, bin mit meinem Sohn in Urlaub gefahren und habe alles mögliche versucht, ihm ein möglichst normales Leben zu bieten, trotz einiger Schwierigkeiten, die wir dank eines Lehrers hatten. Und so habe ich weiter funktioniert und für die Rechte meines Sohnes auf vernünftige Bildung gekämpft. Jeder, der das bisher durchgehalten hat zu lesen, wird spätestens jetzt darauf kommen, dass ich selbst bis dahin wenig Stellenwert hatte. Und so war es leider auch.



Irgendwann schaffte ich es sogar, mich, obwohl ich seit der Ausbildung nicht mehr in meinem gelernten Beruf gearbeitet habe, mich dahin zurückzukämpfen. Allerdings habe ich mich dafür ziemlich verschuldet, da ich selbständig war. Dann folgte eine angestellte Beschäftigung, die zwar interessant war aber kein Umfeld für mich und dann ein eigentlicher Traumjob, bis auf die Chefin, die mich gehasst hat und die ich irgendwann sogar nachts vor mir gesehen habe, die also mein gesamtes Leben beeinflusst hat.



Zu diesem Zeitpunkt habe ich bereits gerne zu Cannabis gegriffen, das mir neben der entspannenden Wirkung auch die Möglichkeit gegeben hat, mich unter Gesellschaft einigermaßen wohl zu fühlen, was normalerweise nicht der Fall war. Aber dank dem Job fiel ich in ein so tiefes Loch, aus dem ich mich nicht mehr selbst befreien konnte und suchte obwohl ich mich davor standhaft geweigert habe, medikamentöse Hilfe, da es mir nicht mehr möglich war der Arbeit nachzugehen, sie ständig von Heulanfällen oder ähnlichem begleitet war und mich vor allem 24 Stunden täglich nicht in Ruhe lies.



Die tiefen Löcher, die ich vorhin beschrieben habe hatten mich bereits mein ganzes Leben begleitet, aber so schlimm, dass ich kaum mehr in die Arbeit gehen konnte waren sie noch nicht. Um zumindest Abends auch einmal entspannen zu können hat mich irgendwann noch während des Arbeitsverhältnisses ein Medikamentenmißbrauch in die Intensivstation befördert und von dort fast in die Psychiatrie, wo ich den Arzt überzeugen konnte, dass ich lediglich eine Nacht nicht meine Chefin vor mir sehen wollte sondern einfach nur meine Ruhe wollte – was allerdings gescheitert ist.



Um der Arbeit dennoch weiter nachgehen zu können habe ich dann für den akuten Einsatz Lorazepam verschrieben bekommen und für den längerfristigen Einsatz Opipramol. Das Opipramol war das erste Antidepressiva einer langen Reihe von Medikamtenten, die mein Arzt und ich versucht haben, die manchmal wider erwarten sofort Wirkung zeigten, aber nach ca 2 – 3 Wochen die Ursache verschlimmerten oder von vorne herein untauglich waren.



Das Lorazepam habe ich 3 oder 4 Tage lang versucht, danach wurde ich fast zum Amokläufer, da es bei mir die Wirkung hatte, Aggressionen freizusetzen anstatt Ängste abzubauen. Da eine weitere Arbeit ohne Medikamente nicht möglich war wurde ich schließlich gekündigt und kämpfte mich als Aushilfsfahrer durchs Leben. Nicht ohne Folgen für meinen zum damaligen Zeitpunkt bereits seit 20 Jahren kaputten Rücken, für den einfachere Schmerzmittel für leichte bis mäßige Schmerzen irgendwann nicht mehr ausreichten und so probierte ich irgendwann Tramadol, dass mich in eine wundervolle Wattewolkenwelt aus Glückseligkeit entführte. Neben weiteren Versuchen mit unterschiedlichen Antidepressiva bekam ich also für meinen Rücken statt Ibuprofen jetzt Tramadol und bald war klar, dass die schönsten Tage die sind, an denen ich mir nachts den Rücken verlegt habe oder ich durch eine falsche Bewegung Schmerzen verursacht habe.



Denn genau an den Tagen konnte ich es genießen unter Menschen zu gehen, sperrte mich nicht zu Hause ein und freute mich an Gesellschaft und meiner Umwelt. Zudem hatte es weitere Nebenwirkungen die mir sehr entgegen kamen. Die eigentlich fast immer verstopfte Nase wurde frei und mein nervöser Darm beruhigte sich. Absolut paradiesische Nebenwirkungen also. Der Rücken hörte auf zu schmerzen, der Schnupfen war weg und ich war in der Lage mich über einen längeren Zeitraum von Toiletten zu entfernen. Am wichtigsten aber war, ich konnte unter Leute gehen.



Allerdings wurde das Loch in dem ich mich befunden habe nicht kleiner, was mich dazu bewogen hat, stationär in eine psychiatrische Klinik zu gehen. Bei der Aufnahmeuntersuchung wurde ich bei wahrheitsgemäßer Angabe, dass ich, wenn mein Rücken Probleme macht Tramadol einnehme wurde mir ganz entsetzt mitgeteilt, dass es sich dabei um Drogen handelt, die abhängig machen können und ich sie nicht mehr einnehmen sollte und gleichzeitig wurde mir für die Nacht und für den Bedarf Oxazepam (oder so ähnlich) verordnet, trotz dem Hinweis, dass das bei mir zu gesteigerter Aktivität und Agression führt. Die arme Nachtschwester. Sie hat bestimmt bereut, mir die Tablette gegeben zu haben. Die ganze Nacht war ich hibbelig (wie andere auf Teilen, die bei mir (und auch das hatte ich brav angegeben) mehr wie Schlaftabletten wirken) und agressiv, habe mich dann in der Stationstoilette ausgetobt um die anderen Patienten nicht allzu sehr zu stören.



Nach zwei Wochen habe ich es abgebrochen, da sämtliche anderen Patienten auf Medikamente eingestellt wurden, was bei mir ja nicht möglich war. Da ich mir dann auch noch in einem Anfall nicht kontrollierbarer Aggression die Hand dauerhaft verletzt habe, habe ich die Behandlung abgebrochen. Die Diagnose lautete Schizoide Persönlichkeitsstörund, depressive Phasen und veränderte Persönlichkeit durch Cannabiode (dass mir Cannabis die Möglichkeit gegeben hat unter Leute zu gehen hat niemanden interessiert, außer dem Psychiater). Und das ich eine paradoxe Wirkweise bei Medikamenten die sich auf das Nervensystem auswirken habe wurde festgestellt (ach ne).



Nach etlichen Monaten habe ich mich dann auch meinem Arzt anvertraut, da bis dahin auch klar war, Antidepressiva sind nicht für mich geeignet, da die gewünschte Wirkung entweder sofort eintritt und bald wieder verschwindet oder die Symptome verschlimmert wurden. Irgendwann kamen mein Arzt und ich auf die Idee, dass man das Tramadol ja als Benzoersatz verwenden könnte und für die Schmerzen das besser direkt an der schmerzenden Stelle wirkende Tilidin verwenden könnte. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft hat sogar vom Arzt abgesegnet begonnen.



Eigentlich habe ich es vorher schon immer wieder benutzt um gesellschaftsfähig zu sein, also ist die Freundschaft genaugenommen schon viel früher zustande gekommen, aber eben nicht offiziell.

Schon seit dem Erkennen, welche Möglichkeiten mir diese Tablette gibt war ich immer sehr vorsichtig, da ich der Meinung bin, als Alleinerziehende kann man sich keinen Affen erlauben (schon gar nicht, wenn der Sohn bereits fast erwachsen ist und das sehr wohl erkennt).



Also war ich trotz hin und wieder höherer Dosierung um einen entspannten Abend zu genießen, immer darauf bedacht, einen Abstand von ca 24 Stunden zwischen den Einnahmen einzuhalten (das hat den Vorteil, dass die Toleranz sich einigermaßen in Grenzen hält). Hin und wieder habe ich es doch öfter genommen, um tagsüber gesellschaftsfähig zu sein und Abends besser schlafen zu können oder auch um die Nacht länger genießen zu können (klingt vielleicht etwas seltsam, aber ich genieße dann einfach alles um mich herum und habe kein Verlangen zu schlafen, allerdings kann ich sehr gut schlafen sobald ich mich hingelegt habe).



Habe ich, aus welchem Grund auch immer, öfter als geplant die Tabletten eingenommen oder die Toleranz durch Nichteinhaltung meiner selbstauferlegten 24 Stunden Regel in die Höhe geschraubt (850 mg gg Schmerzen war das Höchste), habe ich die nächsten Tage damit verbracht, auf maximal 50 mg runterzudosieren und solange es möglich war darauf zu verzichten. So habe ich die letzten 2 einhalb Jahre einigermaßen normal gelebt. Der große Nachteil war nur, dass ich zwar mit den Tabletten wichtige Termine wahrnehmen konnte, aber z.B. den Weg zum Chirurgen habe ich bisher nicht geschafft obwohl ich seit einem halben Jahr hin müsste. Denn auch wenn ich psychisch in der Lage bin hinzugehen, verraten meine sehr winzigen Pupillen sofort, dass ich nicht ohne die Einnahme von irgendetwas unterwegs bin.



Zwei mal habe ich trotz größter Bemühungen, eine Abhängigkeit zu vermeiden mit Entzugssymptomen zu kämpfen gehabt, das eine mal nach dem Versuch Tramadol durch Kratom zu ersetzen und das andere mal bei einer ganz normalen (hoch dosierten, weil es sonst nichts gebracht hat) Einnahme von Loperamid während einer Tramapause. Gerade diese Erfahrungen haben mich eigentlich noch vorsichtiger werden lassen. Bis vor etlichen Wochen. Wie vorher erwähnt müsste ich seit ca einem halben Jahr zum Chirurgen, die allerdings bei uns keine Termine vergeben. Jedesmal wenn ich versucht habe eine Praxis aufzusuchen waren bereits lange vor der Öffnungszeit mindestens 10 Patienten vor Ort, die es mir nicht möglich gemacht haben die Praxis zu besuchen.



Die Reaktion meines Arztes darauf war, versuchen sie es mit Tramadol, da geht das schon. Prinzipiell ja, aber ich bin zu sehr damit beschäftigt, meine Augen zu verdecken so dass ein Vorstellen am Empfang wieder unmöglich war. Aus diesem Grund nehme ich seit Wochen täglich Abends mein Tramadol um Schlafen und vor allem nach dem Aufstehen einigermaßen laufen zu können.



Theoretisch könnte ich ja meine 24 Stunden Wartepause einhalten, wären da nicht Termine bei Ämtern, Gericht (wegen einer selbst gewünschten Betreuung für Finanzangelegenheiten), Blind Dates auf die ich mich eingelassen habe, …

Also viele Termine und ähnliches, die die Einnahme tagsüber nötig gemacht haben um sie wahrnehmen zu können.



Genau das hat die Folge, dass sowohl die Toleranz nach oben geht, als auch, dass ich im Moment die Tage ganz ohne nicht ohne Frieren, Schwitzen, Kraftlosigkeit, Durchfall, …... erlebe. Das, das ich immer vermeiden wollte ich nun doch eingetroffen. Zwar versuche ich im Moment runterzudosieren, aber das ist nur schwer möglich, wenn man fast nichts mehr zum runterdosieren hat . Aufgrund der Tatsache, dass Benzos, Ads und ähnliches bei mir genau falsch wirken kann ich auch nicht versuchen, mich damit irgendwie abzulenken und sitze die meiste Zeit des Tages vor Computer oder Smartphone und versuche verzweifelt zumindest virtuell am Leben teilzunehmen.



Nachschub gibt es zwar vermutlich bald, aber eigentlich möchte ich gar keinen. Obwohl er zum ausschleichen schon nicht verkehrt wäre. Jetzt einen Entzug zu starten käme für mich aufgrund der Ferien nicht in Frage, da mein Sohn tagtäglich zu Hause ist und ich nicht möchte, dass er das aktiv miterlebt. Außerdem weiß ich mit Sicherheit, dass ich in Zukunft nicht die Finger davon lassen werde weil es bisher das Einzige Mittel ist, dass es geschafft hat (außer Cannabis, das aber nur für ca 30 Minuten) mich gesellschaftsfähig zu machen.



Dann versuche ich jetzt einmal weiter mich mit geringen Dosen irgendwie einigermaßen fit zu halten, teile euch hiermit mit, welche Wunderpille Tramadol für mich ist und bekanke mich schon einmal für das Durchhalten bis hierher.



Auch wenn hier wohl noch nicht das Ende ist. Ich hoffe (vermutlich wird mir jeder, der selbst ähnliche Erfahrungen gemacht hat, sagen, dass das nur Wunschträume sind) dass ich es irgendwie schaffe, wieder so damit umzugehen, dass ich jederzeit Pause machen kann, die Toleranz unten bleibt und ich mich auf die Tage freuen kann, an denen es mir die Möglichkeit gibt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und nicht an Tagen an denen die Versorgung eher schlecht aussieht, halb wahnsinnig zu werden und nur an das Eine denken zu können.



Nochmal Danke fürs Lesen und Hut ab, dass ihr bis hier durchgehalten habt. Wie es weitergeht? Mal sehen, was die Zukunft bringt. Ich weiß nur eines, Tramadol hat mir den Weg frei gemacht die Gesellschaft zu genießen, aber auch den Weg geebnet nicht mehr daran teilhaben zu können.