Tripbericht lesen

Übersicht:

Titel:Der Trip, der mein Leben prägt
Drogen:Engelstrompete
Autor:gesamtbild
Datum:04.08.2012 20:52
Set:nichtsahnend
Setting:zuhause, bei Großeltern
Nützlichkeit:9,21 von 10 möglichen   (165 Stimmen abgegeben)

Bericht:

Hallo LdT,
dies ist mein erster Tripbericht. Es geht nicht um Engelstrompete, sondern nur um einen ihrer Wirkstoffe, nämlich Atropin. Es ist sicherlich kein klassischer Tripbericht, eher ein Kindheitstrauma. Da es sich um ein Ereignis meiner Kindheit handelt, kann ich nicht alles in vollständiger Richtigkeit und Reihenfolge wiedergeben.

Eigentlich war ich immer ein normales Kind, etwas laut und hyperaktiv, aber eben nicht wesentlich anders als andere Kinder auch. Ich ging in den Kindergarten, war sehr offen und immer beliebt bei Gleichaltrigen. Ständig waren Freunde bei mir oder ich bei ihnen. Nach dem Kindergarten ging es dann, wie es eben üblich ist, in die Grundschule. Meine Eltern fragten sich, ob ich wohl eine Brille für die Schule bräuchte. Bei einer Untersuchung beim Augenarzt stellte dieser dann fest, dass mein Sehvermögen auf einem Auge eingeschränkt ist. Ich weiß nicht mehr, welche Untersuchung dann genau durchgeführt werden sollte. Jedenfalls bekam ich für diese Untersuchung Augentropfen zur Pupillenerweiterung verschrieben, die ich vier Tage am Stück nehmen sollte. Diese Augentropfen enthalten Atropin. Richtig, Atropin. Das Gift der Nachtschattengewächse wie Engelstrompete, Tollkirsche oder Bilsenkraut. Das Gift, was selbst erfahrene Drogenkonsumenten fürchten.

Also wurde mir noch am selben Tage die Psycho-Droge Atropin direkt ins Auge geschossen. Von niemand anderem als meiner Mutter. Versteht mich nicht falsch, ich will meinen Eltern weiß Gott keinen Vorwurf machen. So ist es nun mal in Deutschland. Den Ärzten vertraut man blind, egal welche Drogen sie einem verschreiben, aber wehe mein Kind raucht irgendwann mal Cannabis… Gegen Abend wurden mir die Tropfen verabreicht. Die Nacht war der Horror. Es ist für mich wahnsinnig schwer, das erlebte in Worte zu fassen. Nach jedem Satz, den ich hier schreibe, muss ich tief Luft holen.

Meinen Eltern zufolge, habe ich um die 2 Stunden geschlafen, ehe sie ein lautes Krachen aus dem Schlaf riss. Ich war gegen die Schlafzimmertür meiner Eltern gerannt. Mein Vater, der natürlich sofort aus dem Bett sprang, öffnete die Tür. Was er sah, schockierte ihn. Sein Sohn lief wie ein Irrer im Kreis, mit einem Gesichtsausdruck irgendwo zwischen nackter Angst, Hilflosigkeit und Panik. Nun könnt ihr euch sicher vorstellen, wie überfordert Eltern sind, die nicht einmal die Packungsbeilage gelesen haben und ihren Sohn plötzlich in einem solchen Zustand vorfinden. Sie redeten natürlich auf mich ein und versuchten mich zu beruhigen. Ich faselte die ganze Zeit irgendetwas von wegen der Weihnachtsmann sei in meinem Zimmer. Meine Eltern behaupten, es sei die schlimmste Nacht ihres Lebens gewesen. Und die beiden hatten nicht mal Halluzinationen ;-)

Die gesamte Nacht über sah ich silberne Lichtblitze. In dunklen, stillen Nächten kann ich sie heute noch sehen. Große, tiefrote Augen sahen mir beim Schlafen zu. Schlitten flogen über meinen Kopf und Menschen waren da, überall Menschen. Manche sahen normal aus, manche hatten ein verzehrtes Gesicht. An das meiste kann ich mich nur sehr lückenhaft erinnern. Aber die Angst, die ich durchleben musste, kann ich fühlen als sei es gestern gewesen. Und das schlimmste war, dass ich niemals wusste ob ich schlafe und nur träume oder ob ich wach bin und das alles wirklich passiert. Meine Eltern bekamen logischerweise kein Auge zu und passten auf mich auf. Als ich einmal wieder etwas schreckliches sah, flehte ich meinen Vater mit den Worten „Papa, hilf mir!“, an. Wenn wir heute über diese Nacht reden, bekommt mein Vater bei diesen Worten immer noch Tränen in den Augen.

Damit leider noch nicht genug, durfte ich noch auf einen zweiten Trip am darauffolgenden Tag gehen. Wie bescheuert, mir dieses Horrorzeugs noch einmal zu geben! Ich sollte bei meinen Großeltern nächtigen. Abends gab mir meine Oma die Tropfen. Ich weiß wirklich nicht, warum man mir die Tropfen ein zweites Mal geben musste. War das erste Mal nicht schrecklich genug?! Ich bin mir ziemlich sicher, dass meinen Eltern gar nicht bewusst war, dass die Halluzinationen von den Augentropfen kamen. Meine Erinnerungen an diesen Abend sind weitaus trüber als noch an den ersten. Doch hat sich eine Halluzination an diesem Abend besonders in mein Gedächtnis gebrannt. Meine Oma meinte zu mir, sie müsse kurz in den Keller um Wäsche zu bügeln. Ich saß währenddessen friedlich auf dem Boden und schaute fern. Als ich mich umdrehte, sah ich etwas sehr skurriles. Ein einzelnes, hochstehendes Haar, welches seinen Spross hinter der Couch zu haben schien. Ich rannte mit panischer Angst, die Kellertreppe hinunter, knallte am Ende der Treppe noch mit dem Kopf gegen die Wand und kam erst zum Stehen als ich meine Oma fast über den Haufen rannte. Nach meinen Eltern hatte ich also auch meinen Großeltern die schlimmste Nacht ihres Lebens beschert.
Nach dieser Nacht, hielten es meine Eltern dann endlich für angemessen einen Blick in die Packungsbeilage zu werfen. Und siehe da, was unter Nebenwirkungen aufgelistet ist: Halluzinationen. Der Augenarzt wurde informiert und meine Eltern weigerten sich mir die Augentropfen weiterhin zu geben.

Ein kleiner 6-jähriger Junge, der natürlich noch im Glauben lebt, die Welt sei durchweg gut, wird durch so etwas aus seiner kleinen Welt gerissen, mitten rein ins Böse. Ich frage mich, was wohl aus mir geworden wäre, hätte es dieses Erlebnis nicht gegeben. Wäre ich heute anders? Hätte ich vielleicht mehr Lebensfreude? Alles Fragen, die für immer offen bleiben.
Seit nun zwei Jahren beschäftige ich mich intensiv mit den Ereignissen dieser beiden Nächte und frage mich inwieweit dieser Horror Narben hinterlassen hat. Dinge, die für mich normal waren, begann ich zu hinterfragen. Zum Beispiel, warum ich bis zu meinem 12. Lebensjahr im Bett meiner Eltern geschlafen habe oder warum ich so ungern unter vielen Menschen bin. Warum hatte ich in meiner Kindheit Angst vor lauter Musik? Warum ging ich so ungern zur Schule? Warum war ich am liebsten alleine? Wo ich doch vorher angeblich so ein offener kleiner Junge gewesen sein soll. Ich würde mich nicht als psychisch labil bezeichnen. Ich lasse wenig Dinge an mich heran, bin teilweise emotionslos und für andere schwer berechenbar. Aber das liegt wohl auch daran, dass ich ca. ein Jahr nach meinem Atropin-Horror unter Methylphenidat gesetzt wurde. Damit Lehrer und Eltern einen leichteren Job haben, gibt man Kindern einfach Amphetamine und Amphetaminderivate. In einer tollen Welt leben wir. Um mich selbst kennen zu lernen und vor allem um reinen Tisch mit dem Erlebten machen zu können, nehme ich seit ca. einem Jahr psychedelische Drogen. Ich bin schon ein ganzes Stück weiter, aber noch längst nicht am Schluss.

Wenn ich nur einen einzigen überzeugen konnte, seinen Kindern dieses Teufelszeug nicht zu geben, ist das für mich schon einiges wert. Ich bedanke mich fürs Lesen.