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Traumländer



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  Geschrieben: 06.07.20 04:48
Schon seit über sechzehn Jahren wird hier im Forum diskutiert, wie zeitgemäße Drogenpolitik bei uns aussehen sollte. Das Ding Politik an sich ist dadurch definiert, dass es von Menschen gemacht ist, so wie eben auch Gesellschaft, Geschichte und ihre -schreibung, nicht zuletzt auch Kultur und Jura. Und vor jedem Gesetz steht eine Präambel, und hinter jeder Präambel eine Ideologie - ob ausgesprochen oder unausgesprochen. Und das Medium all dessen ist die Sprache, denn Sprache formt Begriffe, Konzepte, auf denen Gesetze und Politik aufbauen.

Der Begriff und das Konzept und die Realität von Kriegführung sind (ausgehend von den USA, durch deren weltpolitischen Einfluss aber mittlerweile praktisch überall auf der Welt) dabei seit den Neunzehnhundertsiebzigerjahren mitbestimmend wenn nicht zentral in der Drogenpolitik.

Ein nostalgisches Zurück in die '60er ist schon allein aus zwei Gründen nicht möglich: Zum Einen nicht, da die Geschichte an sich sich niemals 1:1 wiederholt, sondern immer von stets anderen und sich anders entwickelnden Menschen auf überkommenen Strukturen aufgebaut und aus überlieferten Traditionen fortentwickelt wird, die ihrerseits niemals komplett verschwinden, sondern in uns Menschen in Form von Prägungen innerlich noch lange weiterwirken, selbst wo wir äußerliche Anzeichen längst umgeworfen, überarbeitet, überbaut, umgeschrieben oder überschrieben haben, und diese Prägungen können bewusst, unbewusst oder unterbewusst in Form von Erziehung, Sozialisation, Tabus und Traumata über Generationen hinweg noch wirksam sein, als Gen oder Mem. Zum Anderen nicht, da die konkrete Geschichte der Drogenpolitik eben durch den weltweit etablierten Zentralbegriff der Kriegführung dominiert und geprägt wurde. Ein
ehemaliges Mitglied schrieb:
Ich hab es langsam satt wie der Staat und die EU uns harmlose Drogenkonsumenten oder wie sie es sehen uns Junkies unterdrückt und verhaftet, während andere Kinder vergewaltigen und Anschläge planen in ruhe ihr leben leben und andere verletzen
, und es ist ja schon bemerkenswert, dass über fünfzehn Jahre später sich an dieser Aussage faktisch nichts in Richtung einer Behebung dieses Missverhältnisses geändert hat. Dieses Missverhältnis gilt also seit Jahrzehnten als (entweder politisch erwünschte) Normalität, oder aber als gewohnter (zumindest geduldeter) (Dauer-)Ausnahmezustand. Auch darin zeigt sich, dass der Begriff War on Drugs eben kein leerer oder gar schiefer sprachlicher Ausdruck ist, sondern tatsächlich ein politisches Konzept, das genau diesem Ausnahmezustand zur Normalität verhilft, dass unerträgliche gesellschaftliche Zustände geduldet (teilweise ja sogar befördert) werden um eines vermeintlich höheren (Kriegs-)Zieles willen.

Anders wäre eine nüchtern und sachlich betrachtet absurde Drogenpolitik weder zu erklären noch zu rechtfertigen:
Phanity schrieb:
Es ist nachgewiesen, dass die Drogenkontrollpolitik, welche auf dem Drogenverbot basiert, verheerend ist. So sitzen in den USA von den 2 Millionen GefängnisinsassInnen 60% wegen nicht-gewaltsamen Drogenvertössen ein.
Zwölf Jahre nach diesem Foreneintrag sieht es nicht wirklich besser aus.

Auch ohne eine Legalisierung aller Drogen zu befürworten, kann, darf, sollte und - sofern man am jetzigen Kurs nichts ändern möchte - muss man sich die Frage stellen (lassen), warum Rauschmittelverbote existieren, mit welcher Begründung für welche Auswahl an Rauschmitteln, in welcher Form und unter welcher Strafbewehrung diese Verbote bestehen, unter welchen Bedingungen und mit welchen gesellschaftlichen (Er-?)Folgen sie durchgesetzt werden, insbesondere sowohl im Bereich Kollateralschäden als auch in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der im Drogenkrieg ausgeübten Gewalt: Wer sind die (Kriegs-)Opfer, wer sind die Täter (auf allen Seiten!) und vor allem auch, wo bleibt die Rechtstaatlichkeit und ihr Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz, solange der (theoretisch nur vermeintliche aber praktisch dauerhaft erklärte) Ausnahmezustand "Krieg" herrscht? Wie in jedem Krieg, trifft es nämlich in erster Linie nicht die Führung oder auch nur in Mehrheit die Kombattanten, sondern vermehrt die weitgehend zivile Logistik. Und wie bei jedem Krieg ist es zum tieferen Verständnis wichtig zu unterscheiden zwischen Ursachen (offensichtliche wie verborgene Bedingungen und Beweggründe), (taktischen und strategischen, geheim erwogenen wie öffentlich verkündeten) Begründungen (und Rechtfertigungen, bzw. dazu fabrizierten Lügen und Mythen als Teil der psychologischen Kriegführung).

Guenter schrieb:
Ronald Reagan, ein western schauspieler und us präsident ist zu einem hohen maß schuld an diesem unsinn.
Er hat den krieg gegen die drogen erklärt, seit dem sind die preise für drogen in die höhe geschossen und kartelle können sich bewaffnen mit einem arsenal mit dem man normal krieg führt und genau das passiert zB in südamerika.

Im allgemeinen wurde mit dem thema gerne wahlkampf betrieben und auch die gegenkultur in den 60ern unterdrückt.
Dieses Zitat aus dem weiter oben von mir zuletzt verlinkten Forumsthread ist zwar inhaltlich nicht falsch, allerdings bloß ein (noch verhältnismäßig harmloses) Stück einer weitaus schlimmeren Geschichte:

Der Begriff des War on Drugs reicht nämlich in die Zeit der US-Präsidentschaft von Richard Nixon zurück, der erstmals als öffentliche Amtshandlung dem Drogenhandel den Krieg erklärte. Und die im obigen Zitat angesprochene Gegenkultur bestand eben nicht bloß aus kiffenden Hippies, sondern auch aus der Frauen-, Schwarzen-, Schwulen- und sonstigen Minderheiten- Bürgerrechtsbewegung (am Christopher Street Day 1969 kam all das zusammen, als schwarze Transfrauen den Aufstand gegen staatliche Willkürakte probten), die zunehmend ein politischer Machtfaktor wurden, dem der Präsident mit legalen Mitteln kaum noch beizukommen wusste. Der Drogenkrieg wurde für ihn zum Stellvertreterkrieg gegen unliebsame Teile der Bevölkerung, die sich "aus Gründen" vom sie gesellschaftlich benachteiligten Alltag in den USA eben oftmals kaum anders Abhilfe zu schaffen wusste als zu Drogen zu greifen. Hierin wurden, hierin blieben sie angreifbar, als andere Mittel der Diskriminierung vom obersten Verfassungsgericht zunehmend verboten wurden. Nixon war ein skrupelloser und korrupter Krimineller, was ihn zwar letztendlich sein politisches Amt kostete, aber da war der politische Schaden schon angerichtet.

Ich kann allen Forianer*innen mit Interesse an der langen (unter Reagan, Bush, Clinton, Bush, Obama, Trump weiter fortgesetzten und sogar noch verschärften) Geschichte des Kriegs gegen die Drogen in den USA und seiner unlösbaren Verstrickung in Kapitalismus (staatlich finanzierte Privatgefängnisse und ihre enormen Profitspannen durch menschenrechtsverachtende Unterbringung und Zwangsarbeit), Klassismus (ungleich schwerere Massenverfolgung in Wohnvierteln der Unterschicht), Polizeistaat (Militärische Aufrüstung und Ausdehnung von Befugnissen), Rassismus (Ungleichheit der Strafmaße bei statistisch erwiesen typischerweise von Nichtweißen und Weißen konsumierten Drogen) und Sexismus (Drogenkonsum als Mittel zur "Betäubung" und als "Therapieersatz" während/nach Prostitution sowie sexuellemMissbrauch => keinerlei mildernde Umstände vor Gericht!) die Netflix-Dokumentation "Der 13." empfehlen.

Durch den außenpolitischen Einfluss der USA und zahlreiche internationale Konferenzen von Gesundheits- und Sicherheits-Behörden hat dieses schädliche Konzept auch auf die hiesige Drogenpolitik verheerenden Einfluss genommen und Ideologien, Strukturen und Trends in Politik, Polizei und Justiz etabliert und gefestigt, die ohne historische Aufklärung kaum aufzubrechen oder gar zu überwinden sein werden.

Ein Gesundheitsproblem wurde aus rein politischen Ursachen mit vorgetäuschten Begründungen und durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zu einem Verfolgungsproblem umdefiniert!
Liebe ist Leben.

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