Langzeit-Berichte lesen

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Titel:Neuronengewitter
Droge:Speed
Autor:anonym
Datum:26.03.2016 00:51
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Bericht::

Ich bin mehrfachabhängig und die einzigen Substanzen, vor denen ich noch halbwegs Respekt habe, sind Halluzinogene, weil ich bereits psychotische Erfahrungen gemacht habe. Sonst habe ich nicht mal vor starken Opioiden wie Hydromorphon und Heroin Halt gemacht. In diesem Tripbericht werde ich aber hauptsächlich auf die Amphetamine eingehen, auch wenn ich hier und da der Vollständigkeit halber andere Drogen ins Spiel bringe. („Polytoxikomane“ halt). Außerdem bin ich seit mehr als einem halben Jahrzehnt auf Neuroleptika - unnötigerweise, wie ich heute zu wissen glaube.



Die "Karriere" begann vielleicht noch früher, aber die ersten Erinnerungen sind folgende:



Mit 10 trank ich täglich mindestens eine Kanne Kaffee zu 1l, mit 12 spielte ich den halben Tag ein MMORPG, wobei der Kaffee natürlich nicht ausblieb. Wenn ich eine Sucht verlagerte, handelte es sich zumeist um einen Zusatz, nicht um einen Ersatz.



Mit 13 schlich sich der Alkohol in mein Leben ein. Er ermöglichte mir, meiner ganzen Scheißwelt die Mittelfinger auszustrecken und das zu ertragen, was in meiner Umgebung ablief. Es war wahrlich nicht das Umfeld und die Situation, in der man aufwachsen möchte, aber das ist jetzt nur das übliche Geheule eines Süchtigen, der seinen Konsum rechtfertigen will und muss.

Der Alkohol kam, die Hemmungen gingen. Vorteilhaft war, dass ich besser in Kontakt mit anderen treten konnte und das Zocken der Vergangenheit angehörte.

Diese verringerte Hemmschwelle war der Grund, warum ich mir ohne Fragen zu stellen mit 15 irgendwann erstmals einen dicken Bongkopf Hasch reinzog. Das war nach zuvor 2 erfolglosen Versuchen auf einem Spielplatz der erste Marihuana Turn in einer Wohnung übersät mit Bob Marley Plakaten. Es folgten „Lachkicks“ und lächerliche „aha“- Momente sowie pseudo-tiefsinnige Gespräche. Es gefiel und wurde beibehalten.

Ein halbes Jahr lang vergrub ich mich mit einem ebenso süchtigen Kumpel in dessen Wohnung, wenn wir nicht gerade die 4km zum Dealer über eine Kreisstraße latschten. Der Kontakt zu anderen wurde zuerst unmerklich weniger. Doch mit der Zeit fiel auf, dass wir den Einladungen einiger „Freunde“ nicht mehr folgten, weil wir damit nicht klar kamen. Heute weiß ich, dass sich in dieser Zeit gewisse Rückzugstendenzen und ein Grundmisstrauen zu einer Art "sozialen Phobie" entwickelt hatten.



In erster Linie hatte ich zu 4 Leuten Kontakt. 2 davon waren „härter unterwegs“ und brachten mich erstmals mit Amphetamin in Berührung.

Es war ein wunderschöner Tag mit klarem, wolkenlosen Himmel und die 2 kamen mit entspannter Minimal-Musik vorgefahren. Wir fuhren auf einen Berg (ein guter Aussichtspunkt) und es kam ein kleiner Handspiegel zum Vorschein, der mit einer schmierigen Substanz bestrichen wurde, deren beißenden Geruch ich auch auf dem Rücksitz wahrnahm. Das war also das „Pep“, von dem ich schon gehört hatte. Ende 15 war ich und beschloss im dichten Kopf, mich gleichgültig weiter Richtung Abgrund zu bewegen.

Zack. Es brannte wie Säure und ich gab komische Laute von mir. Die Kopfhaut begann zu kribbeln. Ein kalter Schauder lief den Rücken hinunter und ich reckte den Kopf in den Nacken, sah aus dem Fenster. Plötzlich nahm ich wahr, wie schön der Tag eigentlich war und begann zu reden. Der Minimal zog mich in seinen Bann. Wir hatten stundenlang Gesprächsthemen und kaum pausen dazwischen. Es folgte eine selbstmörderische Amokfahrt über Feldwege, bei der wir kurz von der Straße abkamen und das Auto schon leicht in Schieflage war, an der Schwelle sich aufs Dach zu legen. Ich feierte das.

Es war ein einschneidendes Erlebnis und diese Gefühle wollte ich wieder erzeugen. Ich kam drauf. Ich hatte eine Substanz gefunden, die mich wieder „sozialtauglich“ machte. Selbstzweifel verschwanden, ich nahm mich eloquenter als sonst wahr und genoss Gespräche, auch noch so belanglose Themen wurden zur Wissenschaft. Völlig drauf mit der dicksten Sonnenbrille unterwegs zu sein und darunter riesige Teller zu haben empfand ich als stilvoll und stolzen Ausdruck meiner "Andersartigkeit". Ich sah mich nicht als Junkie, sondern als jemanden, der sich von der Masse abhebt und glücklicher lebt als alle anderen.

Im Größenwahn pisste ich heimlich den falschen Leuten ans Bein. Die merkten das aber mit höchster Wahrscheinlichkeit und entschieden, mich besonders günstig und ausreichend mit Speed zu versorgen, auch wenn ich kein Geld hatte. Der Hintergrund war vermutlich, dass sie meine Anfälligkeit bemerkten und wussten, mich damit zerstören zu können ohne körperliche Gewalt anzuwenden.

Manchmal wirkte das Pulver komisch. Gezogen – mit dem Kopf auf den Tisch geklatscht und unbestimmte Zeit später wieder zu mir gekommen. Ob es die Erschöpfung war oder was untergemischt wurde, weiß ich bis heute nicht.

Jedenfalls entwickelte ich eine Abneigung gegen das Schlafen und machte so lange es geht durch. Traf mich mit den wenigen verbleibenden „Freunden“ um stundenlang irgendetwas Profanes eifrig zu diskutieren. Ich beschäftigte mich mit Linux und Programmierung und las viel über alle möglichen Themen. Aus gegebenem Anlass auch über Geisteskrankheiten, weil ich zunehmend paranoider wurde. Ich entdeckte unter dem Begriff Schizophrenie parallelen zu meinem Zustand, was wahrscheinlich maßgeblich für die spätere Diagnose F20.0 war, weil ich mich ja quasi selbst diagnostiziert hatte, daran glaubte und z.B. aufdringliche, wiederkehrende, "laute" Gedanken als „Stimmen hören“ missinterpretierte.

Nach spätestens 8 Tagen war Schluss. Für meine Familie war ich dann mindestens 24 Stunden nicht mehr zugänglich und wenn ich geweckt wurde, war ich in einer Art deliranten Zustand und gab komische (wahnhafte) Sachen von mir, die völlig daneben waren. Wenn ich in einem anderen Raum war und Gesprächsfetzen mitbekam, interpretierte ich da alles Mögliche hinein, dass schlecht über mich geredet wurde. Sogar meine Familie hatte sich mittlerweile gegen mich verschworen, ganz zu schweigen von der Umwelt, in die ich mich nur noch bewaffnet begab.

Nachts hörte ich Geräusche, die ganz offensichtlich nicht da sein konnten und die Polizei beobachtete mich eh schon seit langem. Ich rechnete jeden Tag damit, dass sie kommen und packte mein Zeug nach jeder Line wieder unter die Glaswolle in der Abstellkammer unter der Dachschräge. Dort war es ohnehin besser für die Haltbarkeit der Paste, weil kühl und nicht überhitzt wie mein Zimmer, in dem ich aufgrund der amphetamininduzierten Gefäßverengung trotzdem fror.



Eines Tages äußerte ich nach langen Tagen Dauerkonsum in völlig desolatem Blackout-Zustand Suizidgedanken gegenüber meiner Mutter. Wohl nichts Ungewöhnliches bei Amphetaminentzug nach Langzeitkonsum, diese Suizidgedanken. Besorgt wendete sich meine Familie aber an einen Arzt, der auf die psychiatrische Ambulanz aufmerksam machte. Nach meinem 2. Termin dort wurde ich von einem Heer an medizinischem Personal vor dem Sprechzimmer abgefangen und mit Polizeibegleitung in die nächste geschlossene, "feste" Institution gebracht, wo ich ein halbes Jahr (aufgrund angeblicher Suizidalität) verblieb. Im Maßregelvollzug als Kassenpatient, der 17-jährige, der eigentlich nichts verbrochen hatte außer Drogenkauf/-besitz (unverurteilt, freiwillig erzwungen). Gitter, Zäune, Schleusen, Stacheldraht und z.t. junge Sexualstraftäter und andere Gewaltverbrecher. Weil ich glaubte, Schizophren zu sein, vermittelte ich auch den Ärzten diesen Eindruck und hatte unglaublich schnell diese stigmatisierende Diagnose, weil die Ärzte alle meine Marotten als krankhaft deuteten und auch mir das einimpften. (Heute glaube ich, es war bloß eine Drogenpsychose und ich habe es halbwissend als paranoide Schizophrenie missinterpretiert. War halt nie besonders Kontaktfreudig und grundsätzlich misstrauisch aufgrund meiner Erfahrungen.)

In den letzten 3 Monaten, wo ich meistens die maximale Ausgangsstufe (3x 1 Std.) hatte, vergriff ich mich hin und wieder am Alkohol vom nahen Russenladen – unbemerkt.

Nach der Entlassung stand wieder Alkohol auf dem Programm, ein Jahr später trank ich meinem ADHS-Kumpel seinen Amphetaminsaft leer und zog seine Kapseln. Ein weiteres Jahr später lernte ich als ich auf Gras aus war jemanden kennen, der dauerhaft Amphetamin konsumierte und auch mir diese zugänglich machte.

Ich konnte dadurch meinen Alkoholkonsum reduzieren und war wieder dauerhaft dabei. Hatte mittlerweile ein kleines Netzwerk und war gut und günstig versorgt.

In meiner Kontaktfreude lernte ich ein paar weitere Leute kennen, einer davon heroinabhängiger Schmerzpatient, der mich in Kontakt mit Hydromorphon, Lyrica und Heroin brachte. Doch der Konsum dieser Substanzen war eher selten. Während ich auf Amphetaminen laberte wie ein Wasserfall, vegetierte er völlig Dicht auf der Couch neben mir vor sich hin und dachte sich wahrscheinlich die ganze Zeit nur „fick dich, halt die Klappe“. Hin und wieder fütterte ich ihn mit Tabletten, die er einnahm und danach nuschelte „was is’n das?“ Ich weiß, das war scheiße, aber irgendwie hatte sich so was ähnliches wie eine Freundschaft entwickelt, auch wenn wir meistens in völlig gegensätzlichem Zustand waren – der eine sediert, der andere stimuliert.

Wenn er mal fit war, malte er gut: „klack, klack, klack, zisch…“ und es gab mir einen zusätzlichen Kick, schmiere zu stehen, während ein Kunstwerk entstand. (Malerisch bin ich völlig unbegabt).

Diese Zeit war abwechselnd sehr spaßig oder belastend. Die Paranoia hatte sich schon wieder festgefressen. Außerdem war die „belebende“ Wirkung des Speeds verschwunden und ich starrte manchmal nach einer Line eine Stunde lang aus dem Fenster, um dann die nächste zu ziehen.

Heute vermute ich, dass maßgeblich auch die Neuroleptika die Sehnsucht nach dem Stoff auslösen. Dass ich einen Mangel damit ausgleiche. Einen Mangel an „mentaler Beweglichkeit“, Eloquenz, Kommunikationsbereitschaft und Freude an Dingen.

Es zerstörte mich aber psychisch und körperlich so sehr, dass ich entgiftete und eine Langzeittherapie machte. Fast ein Jahr war ich clean, bis ich aus Frust die erste Flasche ansetzte, die Hemmungen verlor und mir wieder Stoff besorgte. Diesmal auch Heroin, weil sich die wenigen Erfahrungen damit doch ganz schön „festgefressen“ hatten, ich träumte z.B. von Heroin.



4 Tage ziehen, 2 Tage schlafen und vor sich hin vegetieren. Ich beschloss, abzukicken und holte mich mit Benzos und H vom Speed runter.



Nach einem Monat ein Rückfall. Das bewog mich, diesen Langzeitbericht zu verfassen, weil ich denke, dass es nicht so einfach aus meinem Leben verschwinden wird, wie ich dachte. Ein Kollege schuldete mir noch was und kam spontan vorbei. Und da meine Toleranz nach diesem Monat wieder weg ist, hätte ich gut eine Woche was von dem Stoff, wenn ich ihn nicht vorher vernichte.



Muss eben die Kraft aufwenden, das Zeug dem Klo zu geben. Habe ja gemerkt, dass es ohne momentan mittelmäßig geht und mit auf Dauer gar nicht.



Bin gerade dabei meine Fesseln und Knebeln, das Neuroleptikum, abzusetzen. Ich hoffe, dann irgendwann wieder auf mein ursprüngliches kognitives und emotionales Niveau zurückzukommen. Doch welche Schäden diese leichtfertig-fahrlässig verordnete, von keinem Behandler jemals hinterfragte Dauermedikation bereits angerichtet hat, ist ungewiss.



Der künstliche, starke "Reizfilter" in meinem Gehirn fällt halt langsam weg und das macht sich bemerkbar. Es entwickelt sich eine andere Sichtweise, ich habe wieder komplexere Gedankengänge, die mir unter meiner Käseglocke nie in den Sinn kamen. Das ist zum Teil quälend, wie bei einem Analgetikum, das Stück für Stück wegfällt und man den Schmerz wieder spürt. Jahrelang konnte ein Geschwür in mir wuchern, dass durch die Substanzen unsichtbar war und es wurde niemals der Versuch unternommen, es zu entfernen. Zum Anderen bemerken meine Mitmenschen jedoch, dass ich lebendiger und "klarer" werde unter der Reduktion.



Nun sehe ich mich erneut vor dem Wechsel in ein weiteres neues Leben. Zukunftsängste manifestieren sich, weil ich befürchte, dass es mich überfordern könnte, diesen riesen Berg an Scheiße wegzuschaufeln. Aber vielleicht ist es besser, ängstlich statt manisch auf die Reduktion zu reagieren, man handelt überlegter. Das Nachdenken ist aber manchmal zu viel des guten und ufert in Endlosschleifen ohne Lösungsansatz aus. Mir wird bewusst, wie langsam und geduldig ich bei der Auflösung der Blockade in meinem Kopf vorgehen muss.



Die innerliche Leere unter den Medis löste ein verlangen nach Stimulation aus. Die nun schwer zu sortierende Fülle lässt mich vermehrt nach Downern greifen. Die dunkle Sonnenbrille, wenn man nach Jahren aus einem dunklen Keller ans Tageslicht kommt...



Ein Drogenproblem habe ich definitiv, aber ich bin nicht schizophren. Wenn ich ohne irgendwelche Substanzen nicht leben kann/will, ist es eben so. Das habe ich eingesehen und entschlossen, es auf ein Minimum zu beschränken und das jeweils geringste Übel zu wählen. Auf jeden Fall nichts, das mir mental zu viel abverlangt, mich in eine Krise stürzt und den Ärzten ihren Quatsch mit der F20.0 bestätigt.



Vielleicht ist sogar irgendwann völlige Abstinenz möglich, wenn das Neuroleptikum vollständig weg ist. Ein ganz besonderer Genuss, am Leben zu sein, wie nach einer Nahtoderfahrung (das umschreibt das "neuroleptisiert sein" ganz gut, denke ich)...



Nun gehe ich zur Toilette, habe 2g Steine runterzuspülen. Ich brauche diese künstliche Energie nicht, ich werde sie wiedererlangen, sowie meine Lebenskraft, wenn ich langsam das loswerde, das sie mir all die Jahre genommen hat!