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Titel:Mein Weg in die Opioid-Sucht - und zurück ins normale Leben
Droge:Tramadol
Autor:Jokohana
Datum:20.06.2021 12:04
Nützlichkeit:9,27 von 10 möglichen   (15 Stimmen abgegeben)

Bericht::

Ich bin w, 28 Jahre alt und bin süchtig. Auch wenn ich inzwischen sauber bin, behaupte ich das von mir. Denn wenn man mal ehrlich ist: ganz los lässt einen das Thema ja nicht mehr.

Was einmal war bleibt Teil unseres Lebens. Ich bin das Kind meiner Mutter und werde es immer bleiben, bin ein Mädel aus der Kleinstadt und werde auch das immer bleiben. Genauso bin ich mit den Opioiden ziemlich tief gefallen, auch wenn ich inzwischen wieder oben neben dem Loch stehe, das Loch bleibt da - ein Schritt zur Seite und ich falle wieder rein.



Vielleicht noch ein Wort zu Beginn, bevor ich anfange. Ich habe im Forum zum Opioid Entzug mal geschrieben, dass das LdT für mich ein bisschen was von einer Selbsthilfegruppe hat. Natürlich nicht nur, aber mir hat der Erfahrungsaustausch mit anderen in der gleichen Situation sehr geholfen.

Dadurch habe ich angefangen mir für mich einiges aufzuschreiben und auch das hat mir sehr geholfen. Der Bericht hier ist ein Teil davon, daher habe ich auch hier einiges aufgeschrieben, was mich bewegt und beeinflusst hat. Die Abschnitte, die wahrscheinlich außer mir keine Sau interessieren habe ich daher in kursiv geschrieben, weil sie mit dem eigentlichen Langzeitbericht für die Allgemeinheit vermutlich eher weniger zu tun haben und teilweise auch sehr unschön sind. Wer also keine Lust hat diese zu lesen kann die kursiv gedruckten Abschnitte gerne überspringen. Für mich sind sie aber sehr wichtig und ein bisschen egozentrisch darf man ja schließlich im Rückblick seines eigenen Lebens auch sein ;)

Also sorry schon mal für den langen Bericht.






Die ersten Kontakte zur berauschenden Welt

Angefangen hat meine „Drogenkarriere“ wie bei den Meisten mit Alkohol (da dürfte ich weniger soziale Weise so um die 13 gewesen sein) und Gras (das erste mal mit 15 glaube ich). Dennoch würde ich nicht die Meinung vertreten, dass Gras die oft zitierte „böse Einstiegsdroge“ ist.

Wenn schon eine Einstiegsdroge, dann wäre es meiner Meinung nach der Alkohol. Aber das ist ein anderes Thema und Alkohol trinke ich inzwischen nicht mal an Silvester mehr als ein oder zwei Gläser und das hat seine Gründe - dazu später mehr.

Es gibt einfach Menschen, die es überrascht, wie Gras auf sie wirkt und wie es eine Substanz überhaupt schafft, die Wahrnehmung und die Gefühle die man hat zu verändern.

So jemand bin ich.

Ich begann also mich zu fragen, was da draußen noch alles ist, was man entdecken und erfahren kann, wenn man nur den richtigen Schlüssel hat, um das Tor in diese andere Welt zu öffnen.

Entsprechend war ich also neugierig und hab verschiedene Sachen getestet.

Amphetamine, MDMA, MDMC, 2CE und 2CB, DXM, um nur mal die Substanzen zu nennen, die ich in meiner Jugend getestet hab und bis auf DXM fand ich alle toll.





Der Anfang

Nach einem Arztbesuch wegen schlimmem Reizhusten hatte ich ein Fläschchen Codein in der Hand. Der Beginn meiner Hass-Liebe zu Opioiden. Als Hustenstiller klasse, überdosiert aber auch. Und vor allem ziemlich „alltagstauglich“, wenn man sein Gesicht im Spiegel mal zu dem auf MDMA vergleicht.

Doch anfangs bleib es bei dem Fläschchen. Und bei jeder Erkältung gab es ein neues. Hat mir damals auch gereicht, um hin und wieder ein paar wohlig-weiche Stunden zu haben.

Doch dann wurde alles anders.

Ich begann meine Ausbildung im Krankenhaus 2012 und nach einem 3monatigen Schulblock ging es das erste mal auf Station, um mal in die Praxis zu schnuppern. Weil man als Krankenschwester ganz schön rennt und ich zum damaligen Zeitpunkt beschissene Schuhe für die Arbeit hatte, dauerte es nicht lange bis ich ziemlich starke Schmerzen im Fuß hatte, sodass ich am Ende eines Spätdienstes kaum noch laufen konnte.

Eine examinierte Kollegin hat mir dann gesagt „Geh an den Medikamenten-Schrank und mach dir ´ne Würzburger.“

„Eine bitte was?!“

„Eine Würzburger - Novalgin, Tramal und Paspertin, jeweils 20 Tropfen.“

„Ok gut, wenn Du das sagst.“

Was die Kollegin nicht gesagt hat und ich zum damaligen Zeitpunkt nicht wusste: Das Tramal hatten wir damals auf Station nicht in ner normalen Tropfen-, sondern in einer Pump-Flasche.

Und ein Hub dieser Pump-Flasche sind insgesamt 5 Tropfen. Ich hab also mal grade die 5fache Dosis genommen!



Gemerkt habe ich das erst, als ich nach dem Dienst ins Wohnheim zurück kam, mich mit Kollegen zum Dart Spielen und Biertrinken getroffen habe und mir schlagartig irgendwie komisch wurde. Ich hab verschwommen gesehen und mir wurde etwas übel. Also hab ich mich in mein Zimmer verabschiedet, mich aufs Bett gesetzt und die erste Staffel Supernatural weitergeguckt. Dabei hab ich geraucht wie ein Schlot und obwohl es mir irgendwie komisch war - pennen konnte ich nicht.

Die Kippen waren irgendwann leer und ich hatte trotzdem Schmacht. Also raus in die Dunkelheit und Kälte (es muss November oder Dezember gewesen sein) und nach nem Zigarettenautomat gesucht. Nachdem ich den gefunden habe bin ich noch ewig lange draußen durch die Nacht gegangen, ich war euphorisch und neugierig auf meine Umgebung.

Vorbei an der Kinderklinik. Da stand ein Schild „Babyfenster“. Ich Depp dachte, dass mich da das Gleiche erwartet, wie in nem amerikanischen Film: die Neugeborenen, die man durch ein Fenster betrachten kann. Aber Pustekuchen - es war ne Babyklappe. Also schnell wieder raus und aufpassen, dass mich keiner sieht, könnte sonst vielleicht peinlich werden. Ich lachte über meine eigene Naivität und fühlte mich trotzdem glücklich und vollkommen wohl, obwohl ich gerade mitten in der Nacht durch die Großstadt lief.

Was zum Geier war das?

Am nächsten Tag auf der Arbeit habe ich nachgeschaut - jetzt war alles klar.

Aber irgendwie wars echt gut gewesen. Und am Wochenende hatte ich frei - also hab ich die Flasche mitgenommen.

So ging es dann die gesamte Ausbildung lang. Immer mal wieder eine Flasche. Und immer nur am freien Wochenende (also alle 14 Tage). Aber anfangs nicht so hoch dosiert, wie beim versehentlichen ersten Mal.



Nach ein paar Jahren, die Ausbildung hatte ich inzwischen abgeschlossen und eine Weiterbildung direkt drangehängt, habe ich als examinierte Krankenschwester auf einer Hämato-Onkologischen Station gearbeitet. Meine Toleranz war zwischenzeitig schon recht hoch gestiegen und wer die Tramal Tropfen mal probiert hat weiß wie widerlich die sind… Ich hab sie zwischenzeitig in Gelatinekapseln abgefüllt, weil mir schon vom Geruch übel wurde.

Also was gibts noch?

Retardtabletten…. Die, die wir damals auf Station hatten waren schon entretardiert, wenn man sie kleingemacht hat. Also ab dafür. Aber so richtig geil geturnt haben die nach ner Zeit auch nicht mehr.

Intravenös gibts das Zeug auch… Ob ich das machen soll?

Wochen später bei meinem ersten Nachtdienst und mit nur einer anderen Kollegin auf Station hab ich mir paar Ampullen mitgenommen und zuhause ausprobiert.

KRASS!

So schaffte ich es auch wieder mich abzuschießen, bzw. eine richtige Wirkung, Euphorie, Wärme und Tatendrang zu verspüren.

Überwindung hat es mich keine gekostet, immerhin nehme ich jeden Tag Blut ab und auch mir selbst hab ich schon Blut abgenommen und notwendige Medikamente i.m. gespritzt - auch mir selbst.

Am Anfang war es für mich ein Segen. Weil ich wieder neu geweckten Tatendrang hatte, statt meiner depressiven und antriebslosen Episode und auch wieder Lust auf Sex.



Um das zu erklären sollte ich vielleicht mal ein paar Jahre in meiner Geschichte zurückspringen, zurück in die Ausbildung:

Ich war damals frisch in einer neuen Beziehung, die allerdings nur kurz halten sollte.

Es fand eine kleine Party in unserem Wohnheim statt und weil ich als einzige ne Anlage, ne ordentliche Musiksammlung und Jägermeister im Eisfach hatte, hat sich alles bei mir Versammelt. Es war auch ein flüchtiger Bekannter von ner Kollegin von mir (nennen wir sie Lena) da, der eigentlich bei ihr pennen wollte. Es wurde feucht fröhlich und der Jägermeister hat mir sehr gut gemundet.

Am nächsten Morgen werde ich wach - aber nicht in meinem Bett in meinem Zimmer, sondern im Bett von Lena. Und ich war nur mit nem Slip bekleidet.

Erstmal haben wir gelacht, sie hat mir nen Bademantel geliehen und ich bin zurück in mein Zimmer geschlichen.

Doch dabei habe ich schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt: Mein Genitalbereich hat ziemlich geschmerzt, bevor ich duschen war fiel mir auf, dass mein Slip auf links gedreht und meine Schminke komplett verlaufen war.

Panisch bin ich wieder zurück zu Lena Und habe sie gefragt, woran sie sich erinnert.

Sie hatte keine Ahnung. Als sich die Party aufgelöst hat und sie mit ihrem Bekannten (Tobias) in ihr Zimmer gegangen sei, sei sie schnell eingeschlafen. Als sie aufgewacht sei, sei Tobias weg gewesen und stattdessen hätte ich dort gelegen.

Ich erzählte ihr von meinen Schmerzen und von dem Slip. Wir fingen an mein Zimmer zu durchsuchen und fanden unterm Bett ein benutztes Kondom.

Noch mehr Panik machte sich in mir breit. Ich hatte erst seit wenigen Monaten einen neuen Freund, von fremdgehen hielt ich nichts und überhaupt? Warum war der Typ einfach weg? Warum tut mir alles weh, warum habe ich Hämatome an den Schenkeln, warum ist meine Schminke verlaufen als hätte ich geheult und wo kommt dieses beschissene Kondom her?

Da wir ja direkt neben der Klinik gewohnt haben sind wir gemeinsam hin und ich hab mir die Pille danach verschreiben lassen, hormonelle Verhütungsmittel vertrage ich nämlich nicht und natürlich war ich kurz vorm Eisprung.

In der Zwischenzeit schrieb Lena dem Typ, um zu fragen, wo er denn hin sei. - Er hätte mich gemeinsam mit ihr ins Bett gebracht, sei dann mit zu ihr und sie sei eingeschlafen. Also habe er nochmal nach mir gesehen. - Was denn dann gewesen sei. - Na was Mann und Frau halt so tun.

Sein ernst? Er gibt es auch noch zu? Sie, die die Absicht hatte mit dem Typ zu vögeln lässt er schlafen, um dann zu mir, halb bewusstlos im Bett liegend, zukommen und mit Gewalt in mich einzudringen? Ich war damals so verliebt, dass es für mich keinen anderen Männer gegeben hat, abgesehen davon war er auch gar nicht mein Typ und von normalem oder auch etwas härterem Sex bekommt man keine Hämatome und Prellungen an den Schenkeln und keine Verletzungen im Intimbereich.

Falls es wen interessiert: Nachdem man mich Wochen später ein weiteres mal betatscht hat und ein Beobachter, der die Tatscherei gesehen und die Polizei informiert hat, hab ich denen gegenüber erwähnt, dass ich Wochen zuvor vergewaltigt worden sei. Da musste ich mit aufs Revier, um eine Anzeige aufzugeben. Das hatte ich eigentlich nicht vor gehabt, weil ich wusste wie es endet. Aber nein, wenn Polizisten von einer Straftat erfahren, dann müssen sie diese auch zur Anzeige bringen. Also gut. Es endete trotzdem, wie ich es mir dachte: Aussage gegen Aussage. Ein junges Mädel, die ordentlich gebechert hatte, gegen nen Typen, der noch mit dem Fahrrad nach Hause fahren konnte. Und keine physischen Beweise, weil ich vor dem Gang ins Krankenhaus geduscht und das Kondom angewidert verworfen hatte. Und das ist auch der Grund dafür, warum ich kaum noch Alkohol trinke.

Das hat mich psychisch ziemlich fertig gemacht. Sexuell lief bei mir erstmal gar nichts mehr, bis ich meinem damaligen Freund wieder etwas öffnen konnte. Der jedoch hatte sich in der Zwischenzeit eine andere Spielgefährtin gesucht. Als ich das erfahren habe, hab ich mich gleich nochmal vergewaltigt gefühlt und deshalb wars erstmal komplett vorbei.




Naja, wieder vor in der Geschichte. Tramal i.v. - raus aus der Depression, und zurück ins Sexualleben. Immer wenn ich wusste, dass mein (damals neuer) Freund kommt vorher ne Spritze und Sex war kein Problem.

Doch auch hierbei kam es natürlich irgendwann zur Toleranzentwicklung und bei 500mg Tramal i.v. ist man dann für Sex auch nicht mehr zu gebrauchen.

Inzwischen war ich auch nicht mehr bei einmal alle 2 Wochen oder am Wochenende, sondern bei täglich und ich brauchte es, um meinen Alltag zu überstehen.





Entzug Nummer 1

Der erste Entzug kam wenige Monate später, bei nem Urlaub mit meiner Mutter in Mexiko. Das Gute daran war, dass ich die körperlichen Symptome (damals nur Schlappheit und Magenprobleme) sehr gut aufs Wetter, auf den Jetlag und das Essen schieben konnte. Ich dachte eigentlich, dass das so ne gute Möglichkeit wäre, um vom Tramal wegzukommen.

Schlecht war, dass wir nach ner Woche Strand in ne große Stadt gefahren sind. Dort lief ich an einer Apotheke vorbei, bin rein und fragte nach Tramal.

„Klar, haben wir da. Tabletten oder intravenös?“

Meine Antwort war natürlich i.v.. Da ich aber keine Spritzen dabei hatte und die auch dort nicht kaufen wollte hab ich den Inhalt der Ampullen getrunken. Hat auch geklappt.





Und weiter gehts

Nach dem Urlaub und zurück auf der Arbeit hing ich aber direkt wieder an der Spritze.

Ein paar weitere Monate zogen ins Land. Und die Versuchung auch andere Sachen zu testen wurde größer, das Tramal hatte ja schließlich nicht mehr die Wirkung, die es anfangs hatte.

Also hab ich mich durchprobiert.

Tilidin Tropfen, Piritramid i.v. (krass wie das gepfeffert hat, hab beim ersten mal nämlich nicht verdünnt sondern pur mit einem Schuss die 15 mg gedrückt. Und drücken mein ich hier in dreifachen Sinne. Erst das Spritzen, Nadel raus, Vene abgedrückt und paar Sekunden später drückte das Zeug mich in den Sitz. Als würde mich ein 100kg Mann an den Schultern in den Sitz drücken. Genauso hatte ich mir immer Heroin vorgestellt, wenns knallt.), Morphin i.v., Palamidon p.o.. Irgendwann hab ich auch Propofol i.v. mal ausprobiert. Ist zwar kein Opioid, aber egal. Angenehm wars trotzdem.

Aber Tramal war immer am leichtesten zugänglich und deshalb mein ewiger und täglicher Begleiter. Ich hab mir das Zeug über 4 Jahre lang täglich gespritzt. Und außer meinem Freund hat es niemand gemerkt. Ich war der Meinung, dass ich gut damit zurecht komme. Die Quelle würde ja schließlich nicht versiegen solange ich mich nicht erwischen lies. Doch irgendwann kam es, wie es bei meinem Glück kommen musste: Ich hatte einen Krampfanfall.



Das war im Mai 2018. Mein Freund war grade auf dem Weg von der Arbeit zurück und hat mich angerufen, ob ich noch mit ihm und Freunden ins Kino wollen würde. Aber es war schon halb 11, ich hatte schon geschlafen und am nächsten Tag Frühdienst ab 6 Uhr, also wollte ich lieber gleich ins Bett. „Ok, dann komm ich kurz heim, zieh mich um und fahre dann ins Kino, ich fahr grad den Ort rein, bin in 2 Minuten da“. „Ja alles klar, bis gleich“.

Das war das letzte an das ich mich erinnere. Das nächste ist, dass ich im Krankenwagen lag.

Mein Freund erzählte mir, dass er heimgekommen und die Treppe hoch ins Wohnzimmer gekommen sei. Dort hätte ich tonisch-klonisch krampfend gelegen. Richtig lehrbuchmäßig, Schaum vorm Mund und der ganze Körper am krampfen.

Er hat den Rettungsdienst gerufen, die kurz später da gewesen sind. Er hatte mich 5 Minuten krampfend gesehen. Für jemanden, der nicht aus dem medizinischen Bereich kommt und so etwas noch nie gesehen hat, war das sicher beängstigend. Ich hab in der Klinik natürlich nichts von meinem Konsum erzählt und obwohl ich deutliche Einstichstellen in den Ellenbeugen hatte, hat mich niemand danach gefragt.

Also halbes Jahr kein Auto fahren, Medikamente schlucken, kein Nachtdienst mehr. Mein Leben war erstmal im Arsch.




Man könnte meinen ich hätte daraus gelernt, aber nein. Ich hab den Konsum zwar reduziert, aber auch ein weiterer Entzug (diesmal im Kuba-Urlaub) war wenig erfolgreich. Kaum wieder auf der Arbeit, schon hatte ich die Nadel wieder im Arm. Auf den Tag genau 2 Jahre nach dem 1. Krampfanfall hatte ich den 2. Auch dieses Mal habe ich mich zum schlafen gehen verabschiedet und bin hoch ins Bett, während mein Freund noch mit Freunden zusammen gesessen hatte. Wieder Krankenhaus, diesmal habe ich nicht nach dem Autofahren gefragt und es stand auch nichts im Arztbericht. Und ich habe auch jedes mal die Angabe gemacht, dass ich im Schlaf gekrampft hätte. Was ja auch gestimmt hat. Eine 24 Stunden EEG-Ableitung (ohne Tramal) war vollkommen unauffällig und so durfte ich weiter Autofahren. Der 3. Anfall folgte zwei Monate später.



Mein Freund hat mich angefleht, doch bitte aufzuhören.

Also bin ich wieder umgestiegen. Von i.v. Konsum auf Tabletten und Tropfen. Doch ich wusste, wenn ich wirklich weg von dem Zeug kommen will (inzwischen denkt man ja auch mal über Heirat und Kinder nach), dann muss ich weg aus der Klinik. Ich nicht einmal die Willensstärke an nem Stück Schokolade vorbeizugehen, ohne es zu essen. Wie soll dass dann mit Tramal klappen?

Also habe ich mich umgesehen und sofort nen großartigen, tollen und vor allem viel besser bezahlten Job mit viel besseren Aufstiegschancen und nem höheren Ansehen gefunden.

Also Job gewechselt.

Aber von 100 auf 0 und das bei ner neuen Arbeit mit 6 Monaten Probezeit? Vielleicht keine gute Idee.

Also bin ich erstmal bei Tramal p.o. geblieben. Internet machts möglich. Doch irgendwann klappte das von jetzt auf gleich nicht mehr und der 3. und letzte Entzug stand an.





Entzug Nummer 3

Es war bereits gegen Ende der Probezeit und ich wurde passenderweise gerade das zweite Mal gegen Corona geimpft, als mein Vorrat ausgeschöpft war. Also konnte ich mich krankmelden, ohne dass ich meinen Job gefährden würde. Immerhin waren bei uns die meisten nach der 2. Impfung ne Woche AU, weil einfach fertig.

Samstags die letzten Tabletten vor der Impfung. Sonntag ging noch, obwohl ich sehr nervös wurde.

Montags kam ich nicht aus dem Bett. Ich war total unruhig, depressiv, hatte Stimmungsschwankungen, mir war schwindelig, ich konnte nichts essen, mein Bauch brannte, als würde man mir heiße Kohlen durch den Gastrointestinaltrakt jagen, die Beine zappelten, meine Gelenke und Hände schmerzten und ein Blick in den Spiegel verriet mir: ich sah aus wie der Tod.

Fuck ich brauche Hilfe!



Gott sei dank habe ich vor einigen Jahren einen echt tollen Hausarzt gefunden. Er ist eigentlich Anästhesist, ein echt netter Kerl und ich schätze sein medizinisches Wissen sehr. Klasse Typ!

Also bin ich dienstags hin, er hat mich angesehen und ihm lag schon ein „Gott siehst Du scheiße aus“ auf den Lippen. Ich habe ihn angesehen, tief Luft genommen und ihm, als er gerade am PC meine Akte öffnete gesagt „Ich bin auf Entzug“.

Ein kurzer überraschter Blick, doch dann hatte er sich wieder im Griff. „C2?“ - „Nein kein Alkohol, Opioide“. Ich erzählte ihm alles in Kurzfassung.

Er verschrieb mit Diazepam Tropfen auf Privatrezept, trug eine unauffällige ICD ein, schrieb mich mich für den Rest der Woche und Anfang der nächsten krank und hinterlegte eine Notiz für seine Mitarbeiter, dass ich jeder Zeit ohne Termin kommen könne und direkt zu ihm dürfe, falls ich seine Hilfe brauchen würde.

Er sprach mit gut zu, und obwohl ich vor dem Besuch unglaublich nervös war und mich sehr geschämt habe, bin ich mit einem guten Gefühl aus der Praxis gegangen.

In den nächsten Tagen besserte sich zumindest die psychische Komponente durch das Diazepam merklich, die Unruhe war abgemildert und ich konnte auch etwas schlafen.

Körperlich ging es mir aber immer noch mies. Gassigehen mit dem Hund kostete eine riesige Überwindung und war unglaublich anstrengend.

Aber auch dass besserte sich.

Am Ende der Woche bin ich nochmal zu meinem Doc und er fragte mich, ob es klappt oder nicht. „Doch, es klappt, alles ok." Aber ich hatte Angst, dass ich wieder in eine depressive Phase rutschen könnte und ob er mir bitte Citalopram (habe ich früher schon genommen und hat geholfen meine Stimmung zu stabilisieren und den Antrieb etwas zu steigern) verschreiben könne. Ja natürlich.





Das ist jetzt 5 Wochen her. Den Entzug habe ich überstanden. Kein Rückfall bis jetzt, kein Gedanke mehr an Tramal oder andere Opioide. Keine Suchtverlagerung.

Ich fühle mich eigentlich ganz gut.

Und jetzt wird’s wieder egozentrisch: Ich wünsche mir momentan nichts lieber für die Welt, als dass es weiterhin so bleibt.