Langzeit-Berichte lesen

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Titel:Reflexion meiner Jugend.
Droge:Cannabis
Autor:ehemaliges Mitglied
Datum:30.07.2008 09:45
Nützlichkeit:8,90 von 10 möglichen   (89 Stimmen abgegeben)

Bericht::



Den folgenden Text verfasste ich vor etwas weniger als 2 Jahren,einerseits als eine Art Selbstreflexion,aber primär um dem Drogenberater eine Übersicht meines Konsums zu geben. Die Besuche bei der Drobs stellten sich aber schnell als weniger hilfreich heraus und ich beliess es bei 2-3 Gesprächen.

Ich möchte vorweg nehmen,dass das Ende dieses Langzeitberichts nicht das Ende meines Konsums war,ich aber mit der Zeit einen bewussteren und gezielteren Umgang mit den verschiedenen Substanzen erlernte und diese verantwortungsvoller und seltener zum Einsatz kamen ( und kommen).

Der gleich beschriebene Lebensweg mag ein extremes Negativbeispiel dafür sein,was Perspektivlosigkeit kombiniert mit exessivem Drogenkonsum für Folgen haben kann,sollte aber keineswegs als einseitige Abschreckung fungieren.Letztendlich liegt es in den Händen des Konsumenten,welche Schlüsse er aus gemachten Erfahrungen zieht und wie diese sein weiteres Konsummuster beeinflussen.



Lebenslauf bzw. Langzeitbericht über Drogenkonsum.



Ich habe keine tiefgehenden Erinnerungen an meine Kindheit,aber ich weiss dass ich sie ungern nochmal leben würde.

Ich war schon immer eine Art Aussenseiter,im Kindergarten wie in der Grundschule.Auf dem Schulhof gedankenversunken und alleine unterwegs,im Klassenraum meistens unruhig und störend.Ich wies schon früh ADS-ähnliche Merkmale auf,was mir aber

erst viel später bewusst wurde.



.... ~



Schon früh entdeckte ich mein Interesse am Rausch,drehte mich oft minutenlang im Kreis damit mir schwindelig wurde,klaute meinem Vater (mit ca 10 Jahren) Zigaretten,rauchte diese heimlich im Wald und sprühte auch desöfteren Deo auf ein Tuch und inhalierte es.So ungefähr mit 12 oder 13 Jahren erlebte ich meinen ersten Vollrausch durch Alkohol,der mich aber nicht

dazu brachte öfters etwas zu trinken.Noch nicht.



Was mich eher interessierte war Cannabis da ich die Wirkung eher beflügelnd und befreiend wahrnahm,nicht so stumpf wie bei Alkohol.Ich weiss nicht genau wann ich meinen ersten Joint rauchte.Ich weiss nur,dass es ein seltenes Ritual war das in dem Alter nicht dazu diente um Depressionen zu verdrängen.Ich kiffte nur ca. einmal im Monat.



Ich lebte in einer noch einigermassen heilen Welt,ging zur Gesamtschule,hatte nicht viele aber dafür gute Freunde, durchschnittliche Noten und ein schönes Zuhause.Identifizieren konnte ich mich in dem Alter mit der Subkultur "Punk", hatte eine feste Clique,dementsprechendes Aussehen und besuchte oft Konzerte/Demos.

Oft fuhr ich in andere Städte,hing mit grösstenteils alkoholsüchtigen Punks in den Innenstädten ab und übernachtete in besetzten Häusern.Ich fing sehr viel mit meiner Zeit an,nur nichts sinnvolles. Durch diese alternative Szene kam ich schnell in Kreise in denen Drogenkonsum als selbstverständlich galt. Schnell begann ich regelmässiger zu kiffen,auch während der Schulzeit/in den Pausen/vor der Schule.Ich machte mir immer

weniger Gedanken über die Zukunft,liess oft Klassenarbeiten unbeschrieben auf dem Tisch liegen und machte manchmal blau. Noch spürte ich keine starken psychischen Folgen meines Konsum und konnte auch sonst keine negativen Aspekte erkennen,mein schulischer Abstieg war mir relativ egal."Irgendwie geht es schon weiter".

Mit ca 15/16 Jahren probierte ich auch legale und eher unbekannte Drogen wie DXM,

Salvia,Holzrosenkerne (LSA) und Herbal XTC aus.

(Herbal XTC = verschiedene pflanzliche Mischungen die in Kapseln abgefüllt,legal in Headshops erhältlich)

Sogenannten harten Drogen war ich zu dem zeitpunkt noch abgeneigt.Ich hatte noch das Denken,dass Drogen die legal sind

nicht allzu heftige Schäden hinterlassen können.Das sehe ich heute anders.



Einen genauen Zeitpunkt an dem Drogen für mich eher Alltag als seltener Spass wurden kann ich leider nicht nennen.Es war wohl eher ein fliessender Übergang.Probleme häuften sich,ich kam in der Schule nicht mehr so mit wie es verlangt wurde und hatte auch öfters Stress mit rechten Jugendbanden in der Innenstadt.Ein einschneidendes Erlebnis war wohl die Erkrankung meiner

Mutter.In dieser Zeit begann ich Probleme zu verdrängen,redete mir ein dass ich keine Mutter habe.Ich ging seltener raus und verbrachte viel Zeit vor meinem PC.Isolation war mein ständiger Begleiter.Was mir in der Zeit sehr geholfen hatte nicht völlig durchzudrehen war meine Freundin und meine Kolegen.Und natürlich meine überaus stark entwickelte Fähigkeit mir die Dinge schön zu reden/sie zu verdrängen. Mein Vater kam wenige Monate nachdem meine Mutter in ein Pflegeheim kam mit einer anderen Frau zusammen. Sie zog mit 2 Kindern in unser Haus ein,meine Oma zog in eine andere Stadt.Mir passte das alles überhaupt nicht.



Irgendwann in dieser Zeit begann ich Speed zu nehmen.Ich kam in Kreise in denen grösstenteils langjährige Konsumenten waren und auch dementsprechend viel nahmen.Ich übernahm deren Konsummuster anfangs nicht,verlor aber sehr schnell

den Respekt vor der Droge und liess mich gehen.Kurz darauf folgte auch meine ersten Erfahrungen mit Ecstasy. Schnell bemerkte ich wie gut Amphetamine zu mir passten,sie gleichten die ganzen Defizite die ich von Natur aus hatte und die durch die ganze Kifferei verstärkt wurden aus.(Antriebslosigkeit,allgemeine Demotivation,Kontaktangst)

Ich schmiss irgendwann mein Prinzip nur am Wochenende zu feiern über den Haufen,konsumierte teilweise 3-4 Tage am Stück, war öfters in der Schule vollkommen drauf.Drogen wurden zum Alltag.



Ich absolvierte die Gesamtschule mit einem knappen Hauptschulabschluss und meldete mich an einer Berufsschule an. (Ausbildung zum Sozialhelfer)

Die Zeit dort war unangenehm,ich mochte meine Klasse nicht und konnte mit dem Unterricht schnell genauso wenig anfangen wie schon auf der Gesamtschule.Ich fing an auf dem Schulhof mit Hasch zu handeln um meinen eigenen Konsum zu decken,gab dies aber relativ schnell wieder auf weil mir das Risiko erwischt oder ausgeraubt zu werden zu hoch war.Wehren konnte ich mich

noch nie besonders gut und meistens nur mit Worten.



Nach ca einem dreiviertel Jahr schmiss ich die Schule und wurde arbeitslos.Mittlerweile hatte ich mit den Nachwirkungen meines Konsums zu kämpfen,ich hatte eine leichte Sozialphobie und konnte nicht so gut mit Menschen umgehen.Meine komplette Wahrnehmung empfand ich als stark verändert,irgendwie kälter.Ich konnte meinen Gefühlen nicht mehr freien Lauf lassen. Ich war vergesslicher,hatte Schwierigkeiten mich zu konzentrieren und war öfters depressiv.

Meine Persönlichkeit ging den Bach runter.

Ich konsumierte häufig aus dem Motiv mich zu verdummen,mein Hirn solange mit Substanzen zu versorgen bis ich diese mir oft krank erscheinende Gesellschaft schulternzuckend ertrage.

Mit 18 Jahren probierte ich zum ersten mal Kokain.



Kurz darauf machte meine Freundin nach fast 3 Jahren Beziehung mit mir Schluss und kam sofort mit einem alten Bekannten

von mir zusammen.Das habe ich bis heute,ähnlich wie den Verlust meiner Mutter,nie richtig verarbeiten können.



So lebte ich ein paar Monate ziellos vor mich hin bis mir ein Firmenchef das Angebot machte in seinem Betrieb tätig zu werden.Ich sah das alles als Neuanfang und war motiviert mein Leben wieder in die Hand zu nehmen.Ich nahm den Job an,zog in eine andere Stadt und mietete mir eine kleine Wohnung.Ich nahm mir vor keine Chemie mehr zu konsumieren und seltener zu kiffen.Schnell wurde ich depressiv.Die Arbeit zerrte an meiner Psyche und an meinem Körper,die Stadt gefiel mir nicht und ich kam auch nicht richtig dazu Leute kennen zu lernen.Ich kaufte mir immer öfters nach der Arbeit ein paar Bier um zu entspannen.Eine Alkoholsucht wollte ich mir nicht eingestehen da ich sonst nur auf Partys getrunken habe.Dass diese "Partys" schon lange zum Alltag geworden waren realisierte ich dabei nicht.



Ich beschloss meine alten Kontakte aufzufrischen und besuchte alte Freunde.Ursprünglich wollte ich nur ein wenig Gras kaufen, feierte aber spontan mit ihnen die Nacht durch und deckte mich mit Speed und Gras ein.Ich war nach 3 Monaten Abstinenz wieder drauf.Die Woche nach der Party bekam ich ein schlechtes Gewissen und verkaufte mein restliches Speed an eine Bekannte.



Ich hatte das Gefühl ein lebender Toter zu sein.Existieren um zu funktionieren.Ich hatte genug,von allem. Ich schmiss die Arbeit,kündigte die Wohnung und zog zusammen mit einem sehr guten Freund in einen Wohnwagen. Wir organisierten Volksküchen indem wir auf dem Markt an jedem Stand nach Essen fragten das nicht mehr verkauft wird, kochten über einem Feuer und gingen viel spazieren. Wir lebten ausserhalb gesellschaftlicher Strukturen. Ich kam eine Zeit lang ganz gut ohne täglichen Rausch zurecht.



Edit,15.Jun.08: "Ausserhalb gesellschaftlicher Strukturen leben" war zwar einer der Grundgedanken die für diese Entscheidung relevant waren,aber keinesfalls Realität. "Am Rande dieser Strukturen" trifft es eher,ein autonomer bzw. autager Lebensstil (komplette Selbstversorgung) ist auf Dauer gesehen in diesem Land in den meisten Fällen reine Utopie. So waren wir im Endeffekt doch vom christlichen Obdachlosencafé,in dem wir wöchentlich mehrere Liter Leitungswasser zum waschen/spülen/kochen und manchmal auch Brötchen usw. abholten abhängig,von der Willkür der Supermarktketten und günstigen Situationen unbewachter Lieferungen an Laderampen,von der Laune der Behörden und Polizeibeamten (Besetzen von Stadt/Bahngründstück,wir mussten mehrmals umziehen) und von einigen guten Freunden.

Wir hatten uns zwar ein Gartenstück in einer Nachbarsstadt organisiert,aber ein rentabler bzw. nahrhafter Garten wurde es nie. Ich denke,wenn ich heute noch derartige Ziele und Einstellungen gegenüber der Gesellschaft aufrichtig vertreten würde,wäre auswandern und einen Bauernhof gründen weitaus realistischer und passabler als ein Leben aus der Hand in den Mund in diesem Lande.

Der Wagenplatz



Innenraum des Wohnwagens





Warum ich dann wieder angefangen hab? Keine Ahnung.Aber es war aufgrund der guten Kontakte die wohl exessivste Zeit überhaupt.Ich kaufte teilweise 50 Gramm Speed/Gras zum halben Preis um Geld zu machen, war aber in dem Geschäft nicht allzu erfolgreich und zog letztendlich aus Frust den grössten Teil alleine weg.Ich habe in dieser Zeit auch insgesamt ca. 5G. Kokain genommen,ich weiss das alles nicht mehr so genau.Schulden häuften sich,ich verkaufte meinen kompletten früheren Besitz (Playstation,Fernseher usw.)



Irgendwann wurde mir wiedermal alles zuviel,ich konnte die Drogenschulden nicht bezahlen und hatte dauernd nur Streit

mit meinem Kolegen.Irgendwann entschied er sich nicht mehr mit mir zusammen leben zu wollen.Ich kam teilweise bei

Freunden unter,schlief auch manchmal unter freiem Himmel.Und war jeden Tag auf der Suche nach Rausch. Als der Druck der Grosshändler immer grösser wurde entschied ich mich dazu meinem Vater das ganze zu erzählen. Nach einer kurzen Bedenkzeit war er dazu bereit mir das Geld zu leihen und irgendwann darauf zog ich auch wieder bei ihm ein,

unter der Bedingung dass ich mir einen Job suche.Ich willigte ein und war auch bereit was zu ändern,nur irgendwie nicht

in der Lage dazu.Ich hatte meinem Gehirn einfach zu viel angetan um noch normal funktionieren zu können.Ich hatte das Gefühl, an sovielen Ecken in meinem Leben Stücke meiner Persönlichkeit gelassen zu haben,dass ich heute kaum noch dazu reicht um zu wissen wer ich bin und was ich will.Ich kam mir vor als wär ich in meinem Leben nur dabei statt mittendrin. Dazu kamen die schon erwähnten psychischen Knackse.Und wenn ich dann mal die Motivation hatte den PC mal aus zu lassen und raus zu gehen,dann meistens um alte Freunde zu besuchen.Zum "feiern". Ich schloss wieder Kontakt zu alten Bekannten der Punkszene,trank massig Alkohol und kiffte.Auch Speed und XTC lehnte ich nicht ab als es jmd. mitbrachte.Ich machte auch dort meine erste heftige Erfahrung mit psilocybinhaltigen Pilzen. Nur geholfen hat das alles logischerweise nicht,die Nachwirkungen und Ängste wurden eher noch verstärkt sobald ich wieder nüchtern wurde. Ich konnte und wollte nicht mehr ein Leben führen wie es von einem normalen Bürger erwartet wird. Ich wollte mich vor allen Pflichten drücken,meine Ängste ein für alle mal besiegen und es war mir(zumindest in dem Moment) ziemlich egal ob ich in eine Sucht schlittern würde die mich umbringt. Ich nahm im Februar diesen Jahres Heroin und zwar in einer hohen Dosis,geraucht und in Kombination mit Alkohol.Ich kam knapp an einer Atemdepression vorbei und lebte weiter in dem Stil,es gab kaum eine Substanz die ich abgelehnt hätte.Insgesamt habe in dem Monat 3mal Heroin genommen,jedes mal auf Alufolie geraucht.Danach nie wieder.



Diese Erfahrungen mit Heroin haben mir gezeigt,dass es ab jetzt nurnoch bergab gehen kann wenn ich nicht grundlegend was ändere.Ich musste einen Schritt gehen den ich nicht einfach wieder verdrängen oder rückgängig machen konnte:

Ich erzählte meinem Vater von meinem ganzen Konsum,von der Nahtod”erfahrung” mit Heroin und dass ich dringend Hilfe brauche.

Er machte einen Termin bei der anonymen Drogenberatung für die ich nun diesen Text geschrieben habe.







Nachtrag:



Dieser Text erscheint mir aus heutiger Sicht überarbeitungsbedürftig,allerdings lasse ich ihn in der ursprünglichen Form so stehen. Viele Motive / Gründe des Konsums erscheinen eventuell unverständlich bzw. äusserst fahrlässig und unüberlegt,und das waren sie auch.



Mittlerweile stehe ich definitiv stabiler im Leben,auch wenn das Verlangen nach Rausch,die sogenannte “Dröhngeilheit” bekanntlich nie ganz ihr Ende findet.Irgendwo im Unterbewusstsein ist das Wissen,auf Knopfdruck eine andere Form von Realität wahrnehmen zu können nach wie vor verankert,zumindest nachdem ähnliche Konsummuster wie mein vergangenes der Fall waren. Ob dieser Knopfdruck in die Tat umgesetzt ist selbstverständlich individuell bedingt,viele Faktoren.