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Titel:Tramadol - Seit 20 Monaten ständiger Begleiter
Droge:Tramadol
Autor:tramadol tilidin
Datum:11.05.2010 17:32
Nützlichkeit:7,54 von 10 möglichen   (57 Stimmen abgegeben)

Bericht::

Hallo liebe Leser,



ich möchte euch heute von meiner Tramadolabhängigkeit berichten. Ich kann euch nicht genau sagen warum ich diesen Bericht verfasse, aber ich gehe davon aus dass es eine Art Selbstreflexion ist. Ich möchte allem anschein nach noch einmal vor Augen haben wie es überhaupt zur Abhängigkeit kam.



Vorwort



Ich bin heute fast 19 Jahre alt, stehe kurz vor dem Abitur, und bin nun seit 14 Monaten Tramadolsüchtig. Doch zunächst stellt man sich ja die Frage: Wie kam es dazu?

Ich war vor meiner Erkrankung (Kahnbeinpseudarthrose) die durch einen schweren Mopedunfall zustande kam im Prinzip mit meinem Leben sehr zufrieden. Meine Eltern haben überdurchschnittlich viel Geld, ich kann faktisch haben was ich will. Ich war auf der Realschule, habe diese mit einem 1,7 Schnitt verlassen und entschied mich dazu auf ein berufliches Gymnasium zu gehen. Die Noten waren in der 11. Klasse nichtmehr so gut, aber ich schaffte immerhin noch einen 2,5 Schnitt.

Mit Drogen hatte ich bis daher nichts zu tun. Ich hatte ein „normales“ Alkoholkonsummuster, also jedes Wochenende mindestens einmal einen Totalschaden. Außerdem rauch(t)e ich ziemlich viele Zigaretten.



In den Sommerferien vor der 12. Klasse stellte sich heraus dass ich einen nicht verheilten Kahnbeinbruch habe, der nun operativ behandelt werden muss. Es war zwar ein Schock, aber die Erfolgschancen waren relativ gut (50:50). Wie es zu der Verletzung kam, und was bei der OP genau gemacht wurde, darauf möchte ich jetzt nicht näher eingehen. Mein OP Termin war Ende September 2008. Während einer 3-Stündigen OP wurde das Kahnbein mithilfe von Beckenknochenmaterial wieder zussamgeschustert, hat bis heute auch gehalten.



Nach der OP durfte ich direkt nach Hause, mit 20x 600mg Ibuprofen und einem 10ml N1-Fläschen Tramadol-ratiopharm. Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht, was Tramadol ist.





Beginn des Konsums



Einen Tag nach der OP wachte ich morgens auf und hatte fürchterliche Schmerzen an Becken und Hand. Erstmal zwei Ibuprofen eingenommen, haben aber nicht geholfen.

Also machte ich mich an den Beipackzettel der Tramadol-ratiopharm Tropfen. Nachdem ich den Beipackzettel ausgiebig gelesen hatte, entschied ich mich zur Einnahme von 40 Tropfen (100mg). Da nach 15 Minuten noch keine Wirkung eingetreten war, entschied ich mich meinen Opa anzurufen, er solle mich bitte zum Hausarzt fahren. Gesagt, getan. Schon als ich im Auto saß bemerkt ich, dass etwas nicht mit mir stimmt. Ich fühlte mich auf einmal sehr gut, es wurde mir warm und meine Schmerzen waren nichtmehr so stark (An dieser Stelle möchte ich gleichmal anmerken, dass Tramadol in meinen Augen kein sonderlich gutes Schmerzmittel ist, sondern eigentlich nur zum Missbrauch geeignet ist. Metamizol oder andere nicht-opioid-Analgetika sind definitiv wirkungsvoller – zumindest bei mir). Als ich beim Hausarzt ankam, hatte ich das Gefühl zu schweben. Ich war total glücklich. In meinem jugendlichen Leichtsinn kam mir sofort der Gedanke „Hey, vll gibt er dir ja noch etwas dass noch mehr HIGH macht?!“. Die 15 Minuten die ich im Wartezimmer verbringen musste waren mit Abstand die schönsten Minuten die ich jemals in einem Wartezimmer verbracht hatte. Es war alles schön. Ich war vollkommen mit der Welt im Einklang. Ich sagte jedem Patienten der rein oder rausging „Guten Tag“ oder „Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag“. In diesem Moment dachte ich nur noch an schöne Dinge. Die schlechten Dinge waren aus meinem Leben verschwunden. Ich dachte nichtmal mehr an meine Schmerzen.

Als ich dann beim Arzt drin war, verordnete er mir noch Metamizol, es stellte sich später heraus dass jenes nicht so gut war wie Tramadol^^.



Wieder zu Hause angekommen legte ich mich erstmal auf mein Sofa und war einfach nur glücklich. Es war der schönste Tag meines Lebens. Das hört sich jetzt vielleicht so an, als hätte ich ein schlechtes Leben zuvor gehabt, im Gegenteil. Ich war jedes Jahr mindestens 2x im Urlaub, hatte super Freunde, mit den Frauen lief es ebenfalls gut… Kurzum ich fühlte mich wie Gott an diesem Tag.



Die nächsten 7 Tage verliefen ähnlich, ich war immer gut drauf, hatte fast keine Schmerzen, und war 24/7 dicht. Ich konnte mir kein Leben mehr ohne diese Euphorie vorstellen… Und es war so leicht zu bekommen. Nach 9 Tagen war das Tramadol leer, ich ging zu meinem Hausarzt und dieser verordnete mir dann wieder 30ml Tramadol.



- - -



So ging das dann 4 Monate weiter, es war Mitte Januar. In der Schule lief es nichtmehr so gut, meine Persönlichkeit hatte sich verändert. Ich war mir mittlerweile schon bewusst dass ich Abhängig bin. Denn wenn ich mal kein Tramal nahm, begann ich fürchterlich zu frieren und in der nächsten Sekunde zu schwitzen. Ich nahm das ganze Disaster aber auf die leichte Schulter – denn mir passiert sowas wie eine Abhängigkeit ja nicht…



Es kam der Tag X im Januar, mein Tramadolvorrat ging dem Ende zu, ich brauchte neuen Stoff, also runtergelaufen zum Hausarzt, der Arzthelferin gesagt ich brauch wieder ein Rezept. Nach 15 Minuten Wartezeit sagte sie dann: „Gehen Sie bitte in den Raum 1. Der Doktor möchte mit ihnen sprechen.“ Es war geschehen. Er wollte mir meinen Stoff nicht weiterverordnen. Eine Welt brach für mich zusammen. Die Begründung war, dass er mich auf nichtopioid-Analgetika umstellt, da man von Tramal Abhängig werden könne. Lächerlich. Ich war schon abhängig. Aber ich traute mich nicht es zu sagen.

Nachdem ich völlig am Boden zerstört nach Hause lief, machte ich mir Gedanken. Und ich entschloss mich dazu mit dem Tramadol aufzuhören. Ich hatte nichtmehr so viel Lust dazu abends wegzugehen. Ausserdem diese andauernde Obstipation. Und vor allem ich brauchte jeden Tag mindestens 400mg Tramal um keine Entzugserscheinungen zu bekommen. Die Euphorie war ebenfalls nichtmehr vorhanden.

Ich entschloss mich dazu aufzuhören.

Ich schaffte es.

Mit Hilfe von Benzodiazepinen, auf denen ich Gott sei dank nicht hängen geblieben bin.

Nach 5 Tagen war der Spuk vorbei.

Doch irgendetwas fehlte.





Die Sucht geht weiter



Nach 3 Monaten Abstinenz fiel mir ein, dass ich noch ca. 5ml Tramal zu Hause habe. An einem Mittag, an dem es mir nicht so gut ging, da ich Stress mit meiner damaligen Freundin hatte (die von meinem Tramalkonsum nichts wusste), baute ich mir die 5ml auf einmal ein.



BUMM



Ich hatte endlich wieder dieses Gefühl. Zwar keine Euphorie, aber das Gefühl geborgen zu sein. Es war herrlich. Meine Drogenzeit ging weiter. 4 Monate lang. Ich habe mir das Tramal illegal besorgt.



Im Sommer entschied ich mich wieder dazu aufzuhören. Denn ich hatte im Winter einen Urlaub nach Mallorca gebucht und wusste dass ich auf Tramadol nicht zu gebrauchen bin in Malle. Also machte ich wieder den Entzug, ich wusste ja er dauert nur 5 Tage, dann ist man wieder „der Alte (mehr oder weniger).



Im Urlaub (war mit 7 Kumpels direkt in Arenal) wurde gesoffen und gekifft, ich hatte das Tramadol wieder vergessen. Es folgte wieder eine Pause. Und Anfang Oktober fing ich wieder damit an. Ich hörte einen Monat später wieder auf. Und bin nun seit 5 Tagen wieder dabei.



Es ist ein Teufelskreis.

Aber ich werde ihn besiegen.

Die Frage ist, ob ich überhaupt ein Leben ohne Tramal möchte.

Ich werde es sehen.









Wer nun einen Satz wie „Drogen sind böse“ erwartet, den muss ich enttäuschen. Ich kann jedem nur empfehlen die Finger von Tramadol zu lassen. Das Gefühl ist schön, aber es ist es nicht wert ein Leben als Drogenabhängiger zu haben.





Ich bedanke mich fürs Lesen und hoffe auf euer Feedback.



A.S.





- - - Nachtrag 11.05.2010: - - -



Bin nun seit 5 Tagen runter vom Tramadol. Habe jedoch wieder einmal mit Benzos (täglich 2mg Clonazepam) selbst substituiert. Zum Entzug möchte ich folgendes sagen:



Nachdem mein Leben den Bach runter lief (keine Lust mehr auf Schule, keine "Zeit" mehr für meine Freundin, Vergesslichkeit und starke Depressionen) entschied ich mich dazu wieder einmal mit Tramal aufzuhören. Den Entschluss fasste ich vor ziemlich genau zwei wochen. Habe mir dann Tramadol long 200mg besorgt, und habe jeden tag nur noch 200mg genommen. Am Donnerstag letzter Woche setzte ich das Zeug dann komplett ab. Die ersten beiden Nächte waren grauenhaft. Krämpfe. Schüttelfrost und Schwitzen. Schlaflosigkeit. Nicht einmal die Benzos brachten mich in einen angenehmen Schlaf, sie linderten jedoch die Krämpfe extrem. Am Samstag morgen ging es mir dann besser. Fühlte mich noch ein bisschen "grippig" aber es war erträglich. Zur Ablenkung fuhr ich dann mit einem guten Freund nach Essen, er hatte etwas bei eBay gekauft. Insgesamt war es eine Strecke von 800km, war also den ganzen Tag im Auto gesessen. Muss dazu noch anmerken, dass Auto fahren das einzigste ist was mich ablenkt wenn ich nen Affen schiebe. Sonntag Mittag musste ich dann Arbeiten. War auch erträglich.



Seit gestern war ich dann wieder in der Schule, und ich muss sagen ich hatte zumindest einen Funken Motivation.



Ich habe kein Tramal mehr zu Hause, und müsste 2 Wochen warten bis ich wieder bekommen könnte. Aber das Möchte ich nicht. Ich will mein Leben wieder "nüchtern" leben. Zumindest ohne Opioide. Alkohol gefällt mir seit dem ich Opioide kenne sowieso nichtmehr. Das einzige was ich ab und an konsumiere ist Cannabis. (> Vergessen zu sagen: Hab am Samstag abend einen geraucht, stillt den Affen unheimlich!) Und natürlich meine heißgeliebten Zigaretten, aber die werde ich wohl so schnell nicht los. Die stören mich aber auch nicht so sehr wie mich das Tramal gestört hat.





Und jetzt kommt der Spruch zum Ende:



Tramadol ist eine extrem mächtige Droge, die meiner Meinung nach ins BtmG Anlage 2 aufgenommen gehört. Ich finde es extrem unverantwortlich von Ärzten eine solche Süchtigmachende "Arznei" zu verordnen. Klar, wenn man nicht mit einer Veranlagung zu Sucht geboren wird ist Tramal vielleicht harmlos. Aber wer die Flucht vor der Realität in einer Droge sucht, wird irgendwann bitter enttäuscht werden.



So long...





A.S.