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Titel:Tramal - Eine kleine Abhandlung über eine große Sucht
Droge:Tramadol
Autor:Berlinerin75
Datum:30.04.2011 19:10
Nützlichkeit:8,85 von 10 möglichen   (100 Stimmen abgegeben)

Bericht::

Es gab eine Zeit, in der ich einiges an Drogen ausprobierte, Ecstasy, Speed, Hasch, Koks, sämtliche Tabletten wie Codein, Psychopharmaka, Aufputsch- und Diätmittel, sowie Beruhigungstabletten.Meine damals beste Freundin arbeitete damals als Arzthelferin, brachte ab und an was mit. Einmal auch Tramal long, also retardierte Tabletten.

Obwohl wir harte Drogen nahmen, habe ich mich damals an Tramal nicht ran getraut.Jahre später, als ich von den Drogen weg war, ich nur noch etwas zur Beruhigung einnahm, war meine Freundin im Entzug. Dort gab es eine Frau, die seit Jahren schwer auf Tramal war.Damals habe ich mich noch gefragt, was man denn davon hätte, auf Schmerzmitteln zu sein, nach dem Motto: „ Mehr, als keine Schmerzen zu haben, kann ja nicht sein.“. Weit gefehlt würde ich heute sagen, ganz weit sogar!

Ich kam mit Tramal vor ziemlich genau vier Jahren in Berührung. Da meine Freundin an Rheuma erkrankt war und die Behandlung mit den normalen Antirheumatika wie Ibuprofen und Diclo nicht ausreichten, bekam sie zunächst Tilidin und dann Tramal zur Schmerzlinderung verschrieben.

Eines Freitags Abends habe ich es nach der Arbeit zum ersten Mal eingenommen. Ich hatte Respekt davor, das weiß ich noch genau. Dann setzte die Wirkung ein, ein warmes Körpergefühl, sehr angenehm nach einem stressigen Tag.All die unangenehmen Gedanken rückten von mir ab, alles andere rückte in den Hintergrund. Ich wurde recht gesprächig und hatte das Gefühl einer tiefen Verbundenheit.

Natürlich führte dieses erste positive Erlebnis dazu, dass ich von nun an öfter dazu griff. Als oberstes „Gebot“ in der Anfangszeit galt damals noch NUR AM WOCHENENDE.....Dabei blieb es auch eine Weile, aber es steigerte sich irgendwann doch, erst nur am Samstag, dann schon Freitag und Samstag und bald auch schon Sonntags dazu. Auch die Dosis steigerte sich leicht, wenn man den gewünschten Effekt erreichen wollte.An Sucht habe ich hier trotzdem noch lange nicht gedacht. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich das Tramal brauchte, ich war nur froh, dass es etwas gab, was mich meine Depressionen und Ängste mal für ein paar Stunden vergessen ließ.

Irgendwann, so circa 3-4 Monate nach dem ersten Konsum, wachte ich morgens auf und fühlte mich ziemlich schlecht, ich war müde und antriebslos und wusste nicht recht, wie ich den Tag und die Arbeit schaffen sollte. Ich dachte, vielleicht hilft Tramal mir dabei?Die Rechnung ging „scheinbar“ auf. Ich konnte gut arbeiten, fühlte mich wach und fit. Vielleicht war das der Anfang der ganzen Misere.

Im Mai 2006 wechselte ich meinen Job. Am ersten Tag dort hatte ich vergessen morgens Tramal einzunehmen. Ich saß also in einer Schulung, musste meine volle Aufmerksamkeit darauf richten, spürte aber gleichzeitig, wie ich körperlich unruhig wurde, meine Beine fingen an zu schmerzen und die Waden verkrampften sich leicht. Bis in die Psyche ging diese Unruhe und ich musste ständig meine Beine bewegen, konnte mich kaum noch konzentrieren.

Anfangs habe ich mich gefragt, was denn nur los sei, aber dann war es mir auch recht schnell klar – Entzugserscheinungen!

Ehrlich gesagt, war ich schon ein wenig geschockt, aber man verdrängt schnell...Mein Verdacht, dass es sich um Entzugserscheinungen handelte, bestätigte sich schnell, als ich wieder zuhause war und 40 Tropfen Tramal einnahm. Binnen kürzester Zeit, war alles wieder in Ordnung und die Schmerzen besserten sich.Es war mir eine Lehre! Von nun an hatte ich immer Tramal bei mir.Ich steigerte die Dosis weiter, bis ich bei der Höchstdosis laut Beipackzettel angekommen war, 3x 40 Tropfen täglich.

Ich zog im Oktober 2006 mit meiner Freundin nach Berlin. Tramal blieb mein treuer Begleiter. In Hamburg hatte meine Hausärztin mir Tramal verschrieben. Das war nicht sonderlich schwer, da ich in der Vergangenheit eine Wirbelverletzung hatte und ich ihr sagte, dass ich unter stärkeren Schmerzen litt. Für meine Freundin war es ohnehin kein Problem mit ihrer rheumatischen Erkrankung.Ich musste nun also in Berlin eine Ärztin finden, die mir Tramal verschrieben würde. Zum Glück habe ich diese auch sofort gefunden. Langsam merkte ich, dass Tramal mich im Griff hatte und nicht umgekehrt!

Ich musste weiter steigern, weil ich anfing, eine Toleranz zu entwickeln. Ohne Tramal war ich nicht mehr arbeitsfähig, nicht mehr in der Lage meinen Alltag zu bewältigen.50, 55, 60....darüber hinaus bin ich erstmal nicht gegangen. Dazu kamen die Abende, an denen wir des öfteren zusätzlich Tramal nahmen, zum „knallen“ oder weil es uns schlecht ging etc.

Lange Zeit hat man wenig darüber nachdenken wollen, was das so alles anrichtet, und wie schlimm es schon wirklich war zu diesem Zeitpunkt. Als wir einmal in den Urlaub fahren wollten, wurde mir so richtig bewusst, „wie abhängig“ ich bereits war, denn ich wusste auf einmal nicht mehr, ob ich unserem Katzensitter die richtigen Schlüssel gegeben hatte, dabei war es erst wenige Stunden später. Selbst beim Versuch der Rekonstruktion der Situation im Kopf wusste ich es nicht mehr, das Bild wollte einfach nicht mehr in meinen Kopf zurück kommen.Es war weg, wie ausgelöscht. Solche Situationen häuften sich und kamen auch noch öfter vor. Mein Gedächtnis, das ich immer als gut habe bezeichnen können, war bei weitem nicht mehr das, was es einmal gewesen ist. Ich konnte mir früher fast alles merken, brauchte kein Telefonbuch etc.

Heute ist es mir sogar schon passiert, dass ich am Geldautomaten stand und mein Kopf wie leergefegt ist, die PIN war einfach weg! Das ist ist nur ein weiteres Beispiel. Natürlich gibt mir das zu denken, aber ehrlich gesagt stecke ich viel zu tief in diesem Sumpf, um noch alleine dort heraus zu kommen..

Tramal hat einen zentralen, existenziellen Platz in meinem Leben eingenommen, ich kann es nicht anders nennen, auch wenn ich es niemals so gewollt habe, es ist die Wahrheit. Nichts anderes. Ich bin abhängig, meine verschiedensten Lebensbereiche wie Arbeit, Freizeit, Gesundheit usw sind betroffen davon. Ohne Tramal bekomme ich starke Schmerzen.

Zwar leide ich seit einiger Zeit an unklaren Gelenkschmerzen, aber ich denke, dass vielleicht das Tramal auch einen Teil zu der Entstehung der chronischen Schmerzen beigetragen hat.Jedenfalls wache ich inzwischen jeden Morgen mit starken Schmerzen auf, folglich ist das erste, was ich morgens machen muss, Tramal einzunehmen und abzuwarten, bis die Schmerzen sich auf ein erträgliches Maß reduzieren. Dann erst bin ich bereit für den Tag, „funktionstüchtig“. Wenn ich das Medikament drinnen habe, sind meine Schmerzen gebessert, wenn sie auch inzwischen nicht mehr ganz verschwinden.

Am Mittag, in der Pause, oder am Wochenende zeitlich analog, ist die nächste Dosis erforderlich.Wenn ich hier zu lange warte, dann darf ich mich wieder auf verstärkte Schmerzen einstellen.

Am Abend dann, kurz vor Feierabend dann die letzte Dosis, ein letzter „Push“, um den Tag zu abzuschließen, ihn beenden zu können. Anders geht es nicht mehr, jede ausgelassene Dosis würde zu unangenehmen Entzugserscheinungen führen.

Das Fatale an Tramal ist, dass es „hervorragend“ gegen Depressionen wirkt bei mir, unter denen ich seit meiner frühen Jugendzeit leide. Es hebt meine Stimmung, besser als jedes Antidepressivum es jemals geschafft hat. Es schiebt die Ängste in den Hintergrund. Das sind zwei ganz entscheidende Punkte, die bei der Suchtentwicklung eine große , wenn nicht sogar die größte Rolle spielen. Es ist eine körperliche und eine psychische Sucht. Ich habe mir davon bei weitem keine solche Vorstellung gemacht, als ich Tramal zu ersten Mal nahm. Früher war ich einmal eine Zeit lang von Tavor abhängig, das war ein "Witz" dagegen, obwohl ich hochdosis-abhängig war, mit einer Tagesdosis von 7 x 2,5 mg.

Tramal ist ein Teufelszeug, das viele Gesichter hat.Vielleicht habe ich erst viel zu spät bemerkt, dass ich nicht mehr ohne konnte. Nun bin ich seit fast vier Jahren davon abhängig. Inzwischen fehlt mir die Fähigkeit sagen zu können, wer und was ich wirklich bin. Wenn man eine so lange Zeit unter Einfluß einer Substanz steht, die einen mal mehr, mal weniger stark beeinflußt ( im Antrieb, den Affekten), dann wird es zunehmend schwerer einzuschätzen, was echt ist, was aus MIR heraus kommt, oder was aus dem Tramal heraus entstanden ist.Man fragt sich, „hätte ich dies oder das auch ohne Tramal geschafft?“. Die Gefühlswelt wird schon sehr stark beeinflußt, abhängig von der Dosis, manchmal fühlt man sich den Dingen mehr gewachsen, fühlt sich scheinbar stabiler. Nach außen hin nicht mehr so „nackt“ und ungeschützt wie in meinem Inneren. Es ist wie eine Art Schutzhülle für mich geworden – ich weiß nicht, wie es darunter aussieht...was darunter liegt. Es macht mir Angst auf dieses Bild zu schauen! Ich weiß, es gab eine Zeit ohne Tramal, da habe ich auch überlebt, gelebt, mehr oder weniger gut.Was wäre jetzt? Ich denke, dass ich mir vollkommen darüber im Klaren bin, was meine Abhängigkeit bedeutet. Ich kann inzwischen hinschauen und die Dinge betrachten, so wie sie sind. Ich muss nichts mehr beschönigen, nichts mehr leugnen oder abstreiten, nicht vor mir selbst und nicht vor anderen.

Vor einiger Zeit hätte ich diesen Text nicht schreiben können, wollen, wie auch immer. Jetzt aber beginne ich langsam, mich mehr damit auseinander zu setzen. Sich einzugestehen, dass man süchtig ist, und Hilfe zu brauchen, ist ein wichtiger Punkt, wenn man das Problem aktiv angehen möchte. Vielleicht wird es auch langsam brenzlich.

Es ist nicht wie zu Beginn, es ist nicht mehr so leicht an die Tropfen zu kommen. Inzwischen muss ich drei Quellen bedienen, da eine 100 ml Flasche nicht mehr lange ausreicht. Einmal sprach mich die Vertretung der Arzthelferin bei meiner Hausärztin an und sagte zu mir, nach 3 Wochen müsse ja noch etwas übrig sein. Das hat mich tagelang verfolgt und fertig gemacht.

Wieder so ein Punkt, an dem ich bemerkte, wie weit es gekommen ist. Ich hatte üble Panikzustände. Seither führe ich akribisch Buch darüber, wann ich wo was geholt habe. Jedes Mal stehe ich nun mit großer Angst vor der Sprechstundenhilfe oder der Ärztin und frage mich, was ich nur machen soll, wenn ich nichts verschrieben bekomme. Ich wäre aufgeschmissen.

Es ist auch hier etwas eingetreten, was ich so nie gewollt habe – Beschaffungsprobleme! Dazu kommt die ständige Angst vor Entzgserscheinungen. Es kommt so vieles zusammen. Die Entzugserscheinungen sollen denen des Heroins sehr ähnlich sein, Heroin ist ein Opiat, Tramal ein synthetisches Opioid.

Ich denke ich kann hier nun schließen.

Es ist zwar noch vieles offen, was meinen weiteren Weg angeht, aber ich habe auch vieles sagen können, was ich sagen wollte.Abschliessend kann ich nur sagen, dass ich nicht glücklich darüber bin, wie sich mein Leben entwickelt hat, noch weniger darüber, wie es sich mit der Abhängigkeit vom Tramal verhält.Ich habe alles andere als Grund dazu, stolz auf mich zu sein.Im Grunde schäme ich mich zutiefst dafür! Und es macht mich unheimlich traurig, dass ich den Bezug zu meinen eigenen Gefühlen im gewissen Sinne verloren habe.Ist das, was ich jetzt als ICH empfinde eine Maske? Eine Täuschung? WAS oder WER? Ich habe mich verirrt in mir selbst.Ich weiß nicht, ob ich die Person dahinter sein kann oder nicht, ob ich mich aushalten kann?

Heute würde mich mich anders entscheiden, wenn ich nur gewusst hätte, welches Ausmaß diese Geschichte annehmen würde. Ich würde Tramal niemals anrühren, wenn ich nur noch ein einziges Mal die Möglichkeit hätte, neu zu entscheiden!

Ich weiß nicht, wer ich bin, wer ich war und was ich einmal sein werde......



November 2009







Nachtrag:

Ich habe inzwischen stationär von Tramal entzogen. Bin seit einigen Tagen aus der Klinik entlassen.

Ich weiß nicht, wie mein weiterer Weg verlaufen wird, aber ich bin fest entschlossen, meinen weiteren Lebensweg

OHNE Tramal zu bestreiten.

08.05.2010





UPDATE 30.04.2011:



Heute ist ein besonderer Tag: Ich bin genau ein Jahr clean!

Und was soll ich sagen, es geht mir gut! Sehr gut.

In all den Jahren vor und mit der Sucht ist es mir nicht mehr so gut gegangen, wie

seit dem Entzug.

Ich bin sehr froh, dass ich mich damals entschieden habe, in eine Klinik zu gehen und von Tramal

zu entgiften. Es war die beste Entscheidung seit langem.

Ich mach inzwischen eine Umschulung und kann sagen, dass ich mein Leben wieder wirklich

geniessen kann.

Ich habe das Gefühl, dass sich durch diesen einen Schritt so viel Gutes getan hat, sich so viele neue Wege

aufgetan haben und ich viel offener und positiver durchs Leben gehe.

Inzwischen habe ich weder Schmerzen noch Depressionen noch irgendwelche anderen Beschwerden.

So schwer es auch ist, es lohnt sich, diesen Weg zu gehen, ich bin wieder frei und habe wieder Zugang zu

meinen Gefühlen und das ist ein verdammt gute Gefühl!

Das Leben hat mich wieder - und ich das Leben!