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Titel:eine schmale Gradwanderung
Droge:Cannabis
Autor:anonym
Datum:04.01.2010 15:41
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Bericht::

Vorab: Der LZ-Bericht befindet sich noch in Bearbeitung und eigentlich handelt dieser viel eher von einer Politoxikomanie, wobei sämtliche zur Verfügung stehende Substanzen (abgesehen von Diacetylmorphin und GBL / GHB) konsumiert werden. Leider kann ich nur eine Droge auswählen - und so habe ich Cannabis ausgewählt, da ich hiermit die größten Schwierigkeiten habe, damit vernünftig umzugehen, mir dies dennoch jedes Mal nach einer Pause vornehme, und jedes Mal kläglich scheitere.



Ich hab mir soeben um die 150mg Tramadol reingepfiffen und trinke nebenbei Rotwein - mir geht’s ganz gut, abgesehen davon, dass ich etwas Angst vor einem Serotoninsyndrom hab, da ich täglich SSRI, tetrazyklische ADs und Methylphenidat nehme... aber mal im Ernst - kennt hier irgendeiner jemanden, der schon mal ein Serotoninsyndrom hatte?



Ich denke, dass ich mich recht gut mit Mischkonsum, den ich betreibe, auskenne - aber dank meiner Impulsivität hindert mich trotzdem nix dran, mir relativ gefährliche Kombinationen (Benzos im Bereich von 24mg Bromazepam und Alkohol z.B.) reinzupfeiffen.



Ein großer Freund des Alkohols war ich nie. Ich habe relativ zeitgleich das erste Mal Alk und Cannabis konsumiert und während Cannabis nunmehr fast 10 Jahre mein treuer Begleiter war, war - und ist - es der Alkohol nur dann, wenn nichts anderes mehr da ist. Außerdem ist Alk natürlich legal und überall leicht zu besorgen.



Ich habe nie viel von mir selbst gehalten. War immer davon überzeugt, dass ich uninteressant, klein, hässlich, unbeliebt, langweilig - man schmeisse alle anderen negativen Adjektive, die eine Person beschreiben können, in einen großen Topf und rühre kräftig um - bin. Als ich aber angefangen habe zu kiffen, bot mir diese Substanz einen neuen Bekanntenkreis (und ja, ich schreibe ausdrücklich "Bekannte" hin, denn viele wahre Freunde habe ich in dieser Zeit nicht kennengelernt). Menschen (und vor allem auch Jungs / Männer) sahen mich, so hatte ich das Gefühl, nun nicht mehr als das kleine, schüchterne, langweilige Mädchen, sondern als etwas Besonderes.

Mit dieser Einstellung habe ich noch heute zu kämpfen, denn ich weiß, dass mich Gras zu keinem anderen Menschen macht, geschweige denn, zu etwas ganz Besonderem.



Ich kann mich nicht an das erste Mal erinnern, als ich gekifft habe. Ich weiss auch nicht mehr, ob ich gleich beim ersten Mal eine Wirkung verspürt habe oder nicht - ich weiss nur noch, wie sich das Gras zunächst langsam in mein Leben eingeschlichen hat. Wir waren eine kleine, relativ lose Gruppe von Kiffern und trafen uns täglich auf einer Wiese: Sonnenschein, Gitarren, Lagerfeuer abends, baden und irgendwann den ganzen Tag kiffen.

Diese Zugehörigkeit zu einer Gruppe fand ich toll und so baute ich mir meine ganz eigene Welt auf, in der ich das machen konnte, was ich wollte - und das, was ich wollte, war mit der Zeit nur noch täglich bekifft zu sein. Dennoch verband - und verbinde ich immer noch - viele positive Gefühle mit dem Kiffen, da es das erste Mal in meinem Leben war, dass ich so etwas wie eine Clique hatte.



Diese Welt brach irgendwann zusammen, da ich mich nicht in zwei Menschen aufspalten konnte: Die liebe Tochter, die Zuhause nett und anständig ist, die ausgezeichnete Schülerin und der Wochenendrebell. Meine Eltern bekamen mit, dass etwas nicht stimmte, aber was es war, wussten sie lange nicht, denn ich bin recht früh - mit 16 - ausgezogen.



Dort ging die Feierei-bis-zum-gehtnichtmehr natürlich weiter. Täglich wurde gekifft und obwohl ich mich anfangs noch gegen das Bong-Rauchen gewehrt habe, habe ich es irgendwann doch ausprobiert. Eine Freundin von mir präsentierte mir stolz ihre kleine Koffer-Glasbong. Ich war zunächst skeptisch, probierte es aber dennoch aus. Der Kopf wurde gestopft, das Feuerzeug angezündet, ich setzte an, zog, das Wasser blubberte und nachdem ich das Kickloch losgelassen habe, breitete sich der Rauch schlagartig in meinen Lungen aus. Ich war sofort platt, fühlte mich aber gleichzeitig toll. Die CD spielte das Lied "Haschischkakerlaken" und Creme de la Creme sollte bald mein täglicher Begleiter werden.

Am nächsten Tag wurde sofort eine Acrylbong gekauft und abends stolz meinen Bekannten präsentiert. Wir buken zur Feier des Tages Haschkekse und rauchten den ganzen Abend Köpfe... Wirklich zufrieden war ich aber nicht und das wusste ich. Ich sehnte mich nach mehr, nicht nur danach, dumpf in der Ecke rumzuhängen und DVDs zu glotzen.



Bald probierte ich neue Sachen aus. Meine erste Erfahrung, an die ich mich erinnern kann, war Codein. Ich bekam wegen Reizhusten ein Codeinpräparat vom Arzt verschrieben. Eines Abends - es floss wieder Alkohol - habe ich etwas überdosiert, da ich vergessen hab, dass ich ja meine Dosis schon genommen hab. Es war toll: Ich flog förmlich durch die Gegend, liebte die Welt, die Welt liebte mich und ich war rundum glücklich und zufrieden, komme, was wolle.

Das restliche Codein wurde bewusst überdosiert und bescherte mir eine verdammt glückliche Woche.



Nun war ich gespannt auf mehr. Was bot mir die Welt noch? Ich kam aber auf eine (ziemlich unglückliche) Schiene und beschloss, dass alles, was aus der Natur kommt, gut sein muss. Es folgten also Experimente mit Salvia, Pilzen, Engelstrompeten.

Das Salviaextrakt habe ich wohl überdosiert, jedenfalls schwebte ich, so kam es mir vor, stundenlang in einer Art Seifenblase, die immer höher und höher über der Stadt stieg und zu zerplatzen drohte. Absoluter Horror.

Die Engelstrompeten waren ein voller Reinfall: Die ersten Male merkte ich nix und beim letzten Mal fehlen mir fast zwei Tage. Das einzige, was ich noch weiss, ist, dass ich mit blutenden Händen aufgewacht bin. Ich muss mich wohl irgendwo extrem im Rausch verletzt haben, aber womit und wo, davon hab ich keine Ahnung.

Die Pilze hingegen waren eine nette Erfahrung, bei welcher Wände anfingen zu "atmen" und alles ineinanderfloss. Ich habe noch später öfter mit Pilzen rumexperementiert und für mich jedenfalls beschlossen, dass es keine Festival-Droge ist, denn stundenlang auf einer Wiese im strömenden Regen rumzukullern und die Grashalme begeistert anglotzen, das kann ich auch woanders ;)



Nach dieser Zeit, in der ich täglich mit ständig wechselnden Leuten, oft auch alleine, von früh bis spät gekifft hab, gefeiert hab, getrunken, kam der Absturz. Ich schmiss die Schule. Ich bekam Panikattacken. Ich hatte die ganze Zeit Angst davor, ein rotes Auto würde mich verfolgen. Stand in der Nacht am Fenster, um zu gucken, ob irgendwo vor meiner Tür ein rotes Auto parkt, mit Männern drin, die Messer haben. Oder Kampfhunde. Schweißgebadet wachte ich eine Zeit lang fast jede Nacht auf, da mich sogar in meinen Träumen (damals habe ich mich komischerweise noch an mene Träume erinnern können, wenn ich gekifft hab) ein rotes Auto verfolgte. Ich versuchte, meine Panikattacken durch’s Kiffen zu verdrängen, was sich mit der Zeit als relativ dümmliche Verdrängungsstrategie herausstellte, denn mit 18 Jahren kam ich das erste Mal in die Psychiatrie.



Zunächst trieb mich meine Essstörung dorthin. Bald wurde mir aber klar, dass meine Ängste sich durch’s Kiffen nur verschlimmerten. Ich war ein Jahr lang frei von Substanzen jeglicher Art, abgesehen von SSRI, Tabak und Coffein.



Es war eins der schönsten Jahre in meinem Leben, soweit ich mich erinnern kann.



Dennoch hörte ich nicht auf. Ein Jahr später lernte ich durch die Schule, denn ich beschloss, mein Abi nachzumachen, neue Kiffer kennen. Beim ersten Joint, der mir vor die Nase gehalten worden ist, griff ich zu. Zunächst beruhigte ich mich und redete mir ein, ich würde nur mitrauchen und mir nix selber holen. Und außerdem rauchte ich ja nicht mehr Bong, sondern "nur noch" Tüten. Tja, wie das Schicksal es wollte, griff ich aber immer öfter zu. Und da ich immer öfter zugriff, und nicht wollte, dass die anderen denken, ich würde die nur ausnutzen, kaufte ich mir bald wieder was zu rauchen. An diesem Abend rauchte ich auch wieder einen Kopf. Es war toll. Wie damals. Total benebelt, happy, gechillt eben. Ich liebte dieses Gefühl - und tue es (leider?) immer noch. Zu sehr.



Es ging wieder von vorne: Lügen meinen Eltern gegenüber, denn ich bin zwischenzeitlich wieder Zuhause eingezogen, Schwänzen in der Schule, Kiffen von früh bis spät, Angstattacken.

Ich lernte aber zu dosieren, glaubte ich jedenfalls, und dies verminderte die Panikanfälle.



Irgendwann reichte mir das Kiffen nicht mehr, es musste etwas Neues her. Ich versuchte es zunächst mit Bewährtem wie Pilzen und Codein. Beides war aber damals nicht gut verfügbar, sodass ich irgendwann die ersten Teile schmiss.

Man, war das gut. Ich wollte mehr. Eine zeitlang ging ich fast jede Woche in einen Club, in dem es einen "E-Floor" hab und so scherzten wir: "E’s auf’m E-Floor" und fanden’s unheimlich witzig, drauf zu sein. Die E-Phase habe ich so ziemlich abgeschlossen, als ich das erste Mal bei einem anderen Dealer kaufte. Er gab mir drei und sagte "nimm aber erstmal ’ne Halbe, die wird dich schon umhaun". In meinem jugendlichen Wahnsinn glaubte ich ihm natürlich nicht - und nahm gleich zwei. Ausgerechnet an diesem Abend floss auch noch reichlich Alkohol, sodass mir eigentlich die ganze Nacht fehlt. Ein Glück, dass nicht mehr passiert ist, denn Freunde erzählten Sachen, von denen ich gar nicht begeistert war (ich wollte in der Nacht im Spätherbst baden gehen, indem ich von einer ziemlich hohen Brücke springen wollte, mich auf der Straße irgendwann anfing auszuziehen weil mir so heiss war und mich im Dreck rumkullerte).



Für ein Festival kaufte ich mir und zwei Freunden dann irgendwann Speed. Das erste Mal war ich überhaupt nicht begeistert und ging pennen. Heute weiss ich, dass ich ADHS hab und die Dosis wohl einfach zu gering war. Tja, gut, dass ich nicht übertrieben hab.

Danach erwischte ich aber Dosierungen, die gut waren zum Feiern. Ich lernte aber auch, mit Speed so "umzugehen", dass ich mehrere Wochen lang eine oder zwei Nasen vor der Schule gezogen hab und mich so besser konzentrieren konnte.



Bald darauf wurde aber nun schon das ADHS, was ich schon länger vermutet habe, diagnostiziert. Einstellung auf Ritalin, blabla. Ich versprach mir so viel! Endlich kannte ich die Ursache meines "anders Seins"! Ich wollte einen Schlussstrich ziehen, nie wieder konsumieren. Nie wieder Kiffen, nie wieder andere Drogen!



Es klappte noch nicht einmal ein Vierteljahr, da war ich wieder in meinem alten Trott gefangen, von früh bis spät kiffen. Neue Bong, diesmal aus Glas. Meine Eltern, die unwissend waren, wurden von mir schamlos angelogen. Ich kiffte in meinem Zimmer und pustete den Rauch aus dem Fenster raus, das Fenster stand den ganzen Tag, auch im Winter, sperrangelweit offen. Natürlich roch dennoch das ganze Zimmer ständig nach Gras, was in einem Nichtraucherhaushalt extrem auffallen müsste, zudem meine Eltern wussten, dass ich "früher mal" gekifft hab und den Geruch von daher kannten.



Ein paar Mal verschickte ich aus den Niederlanden Post nach Hause, in dem jeweils ein paar Gramm Haschisch drin waren. Es ist jedes Mal angekommen. Auf die Frage meiner Eltern, weshalb ich Päckchen ohne Absender bekommen würde, erfand ich immer neue Ausreden... Und da erzähl mir einer, kiffen würde nicht kreativ machen!



Ich fing an, mich zu fragen, wo der Unterschied besteht zwischen Drogen und Drogen. Ist Ritalin nicht auch eine Droge? Und wie steht’s mit ADs? Warum kann man sich manche Opioide verschreiben lassen und andere sind verboten? Warum ist das Kraut, was mich zur Ruhe bringt, verboten?



Ich fand keinen, also konsumierte ich weiter. Wer an dieser Stelle eine schlaue Moral erwartet, den muss ich leider enttäuschen, denn ich habe für mich persönlich immer noch keine Grenze gefunden, wo Gebrauch aufhört und Missbrauch anfängt. Ich weiss, dass mir Kiffen in Maßen sehr gut hilft, ruhiger und ausgeglichener zu sein. So, wie ich es von keinem Medikament her kenne. Dieses "in Maßen" ist aber außerordentlich schwierig zu finden. Es ist eine Hassliebe zwischen mir und Marihuana. Wir können nicht miteinander, aber wir können auch nicht ohne. Natürlich besteht diese Abhängigkeit nur meinerseits, denn Marihuana kann keine zwischenmenschlichen Beziehungen ersetzen. Ich habe aber jahrelang versucht, in Gras diesen Ersatz für menschliche Nähe zu finden - aber Weed gibt einem nichts zurück.



Seit nunmehr einem Monat lebe ich ohne mein geliebt-gehasstes Kraut und es funktioniert. Irgendwie. Mehr schlecht als recht, aber es funktioniert, denn noch lebe ich. Wie es wirklich weitergehen soll, steht für mich zunächst in den Sternen, denn die Sucht nach Berauschung und Verdrängung gebe ich so schnell nicht auf.



Es gibt viele positive Seiten am Nicht-Kiffen: Träume, geistige Klarheit, mehr Zeit für Herzensmenschen, keine leere Zeitverschwendung durch ständige Suche nach Weed, mehr Geld, größere Stabilität im Gefühlsleben, kein "Doppelleben", welches ich jahrelang geführt habe. Mit der Zeit verschwindet aber das Bewusstsein für diese vielen positiven Effekte und die Sehnsucht nach dem Gras wächst, bis die Sehnsucht größer wird als der Verstand, der mir sagt, dass ich nicht mit dem Kraut umgehen kann, da es jedes verdammte Mal in einem Dauerkonsum endet, der mir Zeit, Gefühle und auch Freunde wegnimmt.



Fakt ist jedenfalls, dass mich bewusstseinsverändernde Substanzen wahnsinnig machen: Einerseits sehe ich in vielen einen Nutzen (Gras, Pilze, LSD, AD’s, Opioide...), andererseits fällt es mir schwer, eine klare Linie zu ziehen zwischen gesellschaftlich tolerierten und verpönten Substanzen einerseits (dies erklärt vielleicht, weshalb ich ab und an gerne über’n Durst trinke, obwohl ich Alkohol an sich nicht gerne mag) und den für mich logisch nützlichen und unnützen Substanzen. Ich kann nicht verstehen, warum LSD nicht als Medikament verschrieben wird bzw. nicht für therapeutische Sitzungen gebraucht werden kann. Ich kann gleichzeitig nicht verstehen, weshalb ein Dissoziativum wie DMX frei verkäuflich als Hustenstiller ist.

Fakt ist wohl, dass es an unserer Gesellschaft liegt - aber irgendwie muss ich mich da ja, wenn nicht "unter-", dann wenigstens einordnen. Und es ist eine schmale Gradwanderung. Ich bin gespannt, auf welche Seite ich "fallen" werde.