Langzeit-Berichte lesen

Übersicht:

Titel:4 Monate für die Ewigkeit
Droge:Speed
Autor:Cui bono
Datum:25.09.2010 17:42
Nützlichkeit:8,98 von 10 möglichen   (122 Stimmen abgegeben)

Bericht::

Ich habe Pep immer geliebt. Es war meine leichte Droge der Wahl, nichts Besonderes, ein paar Nasen ziehen, ich habe es nicht anders behandelt als Kokain oder Gras, mal hier, mal dort, mal mit Freunden, mal alleine, mal ein wenig Spaß haben oder mich mit meinen eigenen Abgründen beschäftigen, nachdenken, eine Nacht durchmachen und für die Schule lernen- aber an sich war es nichts Besonderes für mich, ich war es gewohnt, und ich wusste stets, wann es an der Zeit war, wieder eine Pause einzulegen.



Irgendwann habe ich diese Pause vergessen. Es fing langsam an, zuerst erlaubte ich mir die erste Nase des Tages erst um 17 Uhr, dann um 15 Uhr, und schließlich wachte ich auf und hatte das Gefühl, es zu brauchen, weil die Realität ekelerregend aussah, und von dem Moment an, als ich morgens in der Früh meine erste Nase zog, das Pulver tief einatmete und durchschnaufte, begab ich mich in die psychische Abhängigkeit- ich hatte es nie gewollt, und hatte sie doch immer als "Junkies" beschimpft- die, die nur für die Droge lebten und nicht mit ihr.



Ein Bekannter von mir hatte Medikinet, und ich begann, das Pep mit dem Medikinet zu mischen- irgendwann waren es bis zu 5 Gramm am Tag, mein Körper wurde schwächer, ich nahm in rasanter Zeit über 10 Kilo ab, wog 44 Kilo bei einer Größe von 1,66m, und fühlte mich schöner denn je.



Nach 2 Monaten sah ich aus wie eine wandelde Leiche. Ich sah es nicht, ich spürte es nur, das Atmen war schwer, ich konnte keine Menschen um mich herum ertragen, ich konnte sie nicht riechen, nicht sehen, nicht spüren, irgendwann ging ich nicht mehr in die Schule und kündigte meine Arbeit, igelte mich in meiner Wohnung ein, alleine mit meinen Gedanken und mir, die zu ekelhaften Monstern wurden.

Ich habe viele Drogen genommen in meinem Leben, monatelang gekifft, mal hier und dort ein paar Teile oder Pappen, mal ein paar Nasen Kokain, ein paar Pilze, ein paar kleine Trips, nichts Besonderes an sich- sie alle waren manchmal schön, manchmal grausam- aber keine von ihnen hat mich so zerstört, wie diese 4 Monate auf Pep und Ritalin.



Ich verbrachte Nächte in einer düsteren Wohnung, bildete mir ein, endlich ein Buch schreiben zu müssen, nannte mich selber darin eine Hure und eine Lügnerin, und verlor von Tag zu Tag mehr den Faden zur Realität.

Ich endete im Wahnsinn.

In einer Nacht versuchte ich vor dem, was ich geworden war zu fliehen, ich rannte so schnell wie möglich durch die Dunkelheit, stürzte einen Abhang hinunter, fing mir Prellungen und Beulen ein, stand auf, und rannte weiter- es ist ein Wunder, dass ich diese Nacht überlebte, jede Straße, über die ich rannte, hätte die Letzte seien können.



Nach 4 Monaten lag ich Nachts auf meinem Bett, und irgendetwas passierte mit mir. Ich hatte 3g Pep innerhalb von einer Stunde gezogen, ein paar Ritalin dazu eingeschmissen, und mir eine halbe Medikinet aufgelöst und mit Hilfe eines Butterflys in meine Venen geschossen- und irgendwie realisierte ich, dass es "zu viel gewesen war, dass ich zu weit gegangen war, dass es Zeit, für die Pause wurde".

Dann begann mein Herz lauter zu schlagen. Es wurde so laut, dass ich es in meinen Ohren pochen hören konnte, und es stolperte, immer mal wieder, für einen Moment setzte es aus und fing wieder an. Ich lag dort, und versuchte, keine Angst zu haben, keine Panik- aber ich war alleine und ich hatte Angst.

Mein Herz schlug weiter, laut, kräftig, manchmal stockte es kurz- und einmal stockte es länger als 2 Sekunden, und ich wurde panisch, mir wurde schwarz vor Augen und ich schlug mit aller Kraft auf meinen eigenen Brustkorb ein, heulend.



Dann wurde ich ohmächtig.



Als ich am nächsten Morgen wieder erwachte und mich an die letzte Nacht erinnerte, weinte ich. "Du hättest sterben können."

Quatsch, wischte ich diese Gedanken wieder bei Seite. Es war nur Pep, okay? Nur Pep. Ich griff nach meinem Röhrchen um die erste Nase des Tages zu ziehen, und bemerkte, dass sich an meiner rechten Hand eine riesige, blaue, schmerzende Beule gebildet hatte.

"Du bist zu weit gegangen. Du bist ein Junkie geworden."



Ich zog meine letzte Nase, packte seelenruhig meine Sachen zusammen, fuhr in die Psychiatrie und ließ mich auf die geschlossene Suchtstation einweisen.



Diese eine Woche Entgiftung hat mein Leben gerettet.

Ich habe niemals Respekt vor all dem Zeug gehabt. Pep, Koka, Teile, was solls, alles nur Spielzeug. Psychopharmaka? Kleine Pillchen zum Schlucken und Spaß haben. Ich dachte immer, die einzige Droge, die einen zerstören könnte, wäre Heroin- deswegen habe ich Heroin niemals angelangt, und immer einen weiten Bogen um alles gemacht, was auch nur ansatzweise etwas von dem Zeug enthalten könnte.



Heute weiß ich es besser.

Jeder Droge gebührt Respekt. Jede Droge muss mit Respekt behandelt werden. Ich hätte beinahe meine rechte Hand verloren- und noch mehr als das, ich hätte auch beinahe meinen Verstand auf der Strecke gelassen.



Speed ist schön, für einen Tag, für eine Nacht- aber dann lasst eure Finger davon und wartet, wie die schmerzhafte Woge der Realität euch wieder überflutet, lasst sie zu und werdet wieder ein Teil von ihr.

Es ist kein Spielzeug. Es hat die Macht, euch zu zerstören, euch zu hungrigen Bestien zu machen. Es mag euch nicht körperlich abhängig machen- aber es fickt eure Psyche.



Ich habe 2 Monate gebraucht, um wieder auszusehen, wie ein Mensch- um die tiefen Augenringe wieder wegzubekommen, um wieder 10 Kilo zuzunehmen, und um zu realisieren, dass ich meine Respektlosigkeit beinahe mit meinem Leben bezahlt hätte.

Ich habe 2 Monate gebraucht, um wieder zu DENKEN wie ein Mensch.



Behandelt die Nase Pep, die ihr vielleicht jetzt gerade, während ihr das lest in euch hineinzieht, mit Respekt.

Macht nicht den Fehler, den ich hinter mir habe- denn glaubt mir, der Weg zurück ist lange und ziemlich schmerzhaft, und kein Rausch dieser Welt ist es in meinen Augen wert, diesen Weg noch einmal zu gehen.





Update- 25.09.2010



Irgendwie dachte ich, es wäre mal an der Zeit, ein kurzes Update zu verfassen. Die Monate, von denen ich hier berichte, zogen sich ungefähr von Januar bis Mai diesen Jahres.

Das Ganze ist eine Weile her- und ich bin fasziniert von der Tatsache, dass mein Gedächtnis tatsächlich zurückgekehrt zu seien scheint.

Ende Mai redete ich noch wie ein originales "Ghetto-Kind"- außer "Hey Mann scheiße ist das grob" kamen nicht sehr viele brauchbare Wörter aus mir heraus. Und das, wo schon immer meine einzigste Begabung meine Sprache war- mit Mathematik konnte ich nie allzu viel anfangen, lediglich auf dem sprachlichen Niveau habe ich mich immer tapfer unter den Klassenbesten gehalten.

Meine rechte Hand hat noch einige Zeit lang ihren Dienst verweigert. An der Stelle, an der ich mir in meiner verballerten Experimentierfreude das Zeug hineingeschossen hatte, war später ein Abseß, der mir beinahe eine Knochen zerfressen hätte. Ich werde nie vergessen, wie die Ärztin in der Chirurgie mir mitteilte, dass ich da wohl gerade nochmal Glück gehabt habe. Ein Leben ohne meine rechte Hand? Unvorstellbar.



Manchmal erinnere ich mich an diese eine Nacht, als ich zitternd und voller Paranoia und Halluzinationen irgendwo an einem Abhang im Dreck saß, unfähig, meine Orientierung wiederzuerlangen, nicht wissend, wie ich überhaupt dorthin gekommen war.



Manchmal erinnere ich mich an die Entgiftung, daran, wie ich eine Woche lang über die Station tobte, sämtliche Pfleger anschrie und beleidigte, und mich aufführte wie ein trotziges Kind.



Ich habe nochmal ein paar Monate gebraucht, um keinen psychischen Suchtdruck mehr zu entwickeln, sobald irgendwo in den Nachrichten das Wort "Speed" auftauchte.

Ich habe mich einige Monate komplett vom Ziehen zurückgehalten, hätte ich auch nur eine einzige Nase gezogen, wäre ich wohl wieder der festen Überzeugung gewesen, nie wieder damit aufhören zu können.



3 Mal habe ich inzwischen wieder Ritalin gezogen. Es waren zwei lustige Nachmittage mit einer Freundin, voller Laberflashs, Lachen und Diskutieren über die Welt, und ein recht angenehmer Nachmittag alleine in meiner Wohnung- Putzen bis zum Umfallen sozusagen.



Heute weiß ich, dass es wieder geht. Ich könnte wieder eine Nase ziehen, einfach so, und dann wieder damit aufhören. Lange Zeit wäre das nicht gegangen.



Meinen Respekt vor Drogen habe ich nicht verloren. Dafür bin ich dankbar. Ich überlege heute wieder länger, bevor ich mir irgendetwas reinpfeffere, ich dosiere niedriger, und ich frage mich vor dem Nachlegen öfter, ob das nun wirklich seien muss, oder ob es nicht eigentlich schon reicht.



Ich habe immernoch um die 600 Euro Schulden bei meiner Bank. Dafür allerdings wieder einen Job, und nach langen Gesprächen mit unserem Direktor besuche ich jetzt auch wieder regelmäßig die Schule.

Es hat mich ein Jahr zurückgehauen, dieser ganze Spaß. Es hat mich ein Jahr meines Lebens gekostet, einfach so, verschwendet an die Ewigkeit.



Aber es ist vorbei. Manchmal kämpfe ich noch mit mir selber. Das Aufstehen in der Früh fällt mir schwerer. Das Weitermachen tagsüber genauso.

Ich habe mir selber die Kunst des "Zähne zusammenbeißens" beigebracht- und es funktioniert im Großen und Ganzen recht gut.



Der Horror ist vorbei. Ich kann wieder reden, schreiben und denken. Ich bin wieder ich.

Speed ist keine Teufelsdroge. Ritalin genausowenig. Es ist wieder schön, ab und an mal eine Nase zu ziehen und eine Nacht durchzumachen.

Ich kenne meine Grenze heute besser denn je. Und ja- vielleicht habe ich auch einiges über die Abgründe der menschlichen Seele gelernt, was mir sonst verwehrt geblieben wäre.

Wert war es das allerdings nicht. Psychoterror pur würde es besser beschreiben.



Ich lese mir oft einige Langzeitberichte hier durch- und ich wünsche euch allen, dass irgendwann das Ende kommt. Dass es irgendwann vorbei ist, und aus dem elendigen, Nerven-kostenden Langzeitbericht wieder ein kurzer, fröhlicher und Erkenntnis-reicher Tripbericht werden kann.



Danke übrigens an alle, die meinen Langzeitbericht gelesen haben. Es war mir eine Ehre. :)