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Titel:Dissoziale Persönlichkeitsstörung - Selbsttherapie mit Pilzen
Droge:Psilocybinhaltige Pilze
Autor:Tryptomane
Datum:22.01.2011 21:04
Nützlichkeit:9,53 von 10 möglichen   (106 Stimmen abgegeben)

Bericht::

Im folgenden möchte ich von einer gerade hinter mir liegenden Selbstfindungsepisode und begleitenden Versuchen der Selbsttherapie berichten, wobei psychedelischer Substanzgebrauch und mein von Verzweiflung getriebener Versuch der Vergangenheitsbewältigung die zentrale Rolle spielten.



Es begann mit einer Art Flashback im März 2010. Ich hatte über das letzte größere fehlende Stück meiner Erinnerung nachgedacht, einen mehrere Wochen langen Zeitraum meines vierzehnten Lebensjahres. Während ich diesen irgendwie aus dem Zusammenhang heraus zu rekonstruieren versuchte, wurde mir irgendwann schlagartig klar, dass ich vom Gewaltopfer zum Täter geworden sein könnte. Die mögliche Tat musste ich in einem äußerst realistischen inneren Film miterleben.



Auch wenn mir bewusst war, dass es sogenannte „falsche“ Erinnerungen gibt, deren Realitätsgehalt schlecht überprüfbar ist, war mein Selbstbild tief erschüttert.



Die nächsten Wochen verbrachte ich in einem sonderbaren psychischen Zustand, als wäre ich zu einem gewissen Grad der Realität entrückt, mit einem ständig hinter mir schwebenden Dämonen. Ich verfiel kurzzeitig in einen Alkoholexzess, doch selbst dieser konnte das lauernde Gefühl des Ungeheuerlichen nicht abschalten. Ich musste mich der Sache stellen und den Dämonen entzaubern. Und ich hatte nicht vor, mich nun nach zehn Jahren erneut in psychiatrische Behandlung zu begeben. Es würde doch nur dazu führen, dass man mich wie damals mit wirkungslosen aber nebenwirkungsreichen Medikamenten vollpumpen würde, während sich eine zähe tiefenpsychologische Therapiesitzung an die andere reihte. Die behandelnde Person würde mit größter Sicherheit weiblich sein, und eben das berührt mein zentrales Trauma...



Dementsprechend würde ich es, da es nicht viel zu verlieren gab, einmal mit psychedelischen Substanzen versuchen. Obwohl sich meine damalige Drogenerfahrung auf Alkohol, Nikotin und einige weit zurückliegende, als unangenehm empfundene Erlebnisse mit Cannabis beschränkte, wusste ich, dass es andere, stärker das Bewusstsein verändernde Substanzen gab, und begann zu recherchieren. Da ich zu der Zeit keine Möglichkeit sah, an das von mir favorisierte LSD zu kommen, entschied ich mich für einen DXM-Trip. Direkt am nächsten Tag ging ich in der Apotheke vorbei und kaufte Hustenstiller. Das Resultat ist dieser Tripbericht und darüber hinaus nicht viel mehr, da die Reise zwar visuell beeindruckend, aber nicht psychedelisch wirksam war. Im Nachhinein fragte ich mich, warum ich mir von einer dissoziativen Droge Hilfe erwartet hatte bei einer Grunderkrankung, deren Hauptmechanismus die Dissoziation ist. Aber immerhin hatte ich jetzt die visuelle Dimension eines ausgewachsenen Halluzinogens erlebt und sah es als sinnvolle Vorbereitung für weitere psychonautische Experimente.



Da ich nach wie vor nicht an richtige Psychedelika kam, ließ ich meinen Vater, wenn er mal wieder Gras besorgte, hin und wieder etwas für mich mitbestellen. Ich versuchte mit dem Gras zu arbeiten und stellte fest, dass die Reise in Dosen, bei denen das Unbewusste gerade einmal ansatzweise zugänglich wurde, kaum noch zu kontrollieren war. Dennoch gelang es mir, auf einer Reise ein fliegendes raumschiffartiges „Tor“ materialisieren zu lassen, hinter dem sich meine letzten verdrängten Erinnerungen befanden; es wollte sich jedoch nicht öffnen.



Das Cannabis spielte bloß mit mir, auf eine schizophrene, chaotische Weise. Das war nicht wirklich mein Ding. Enttäuscht fing ich an, mich in die Standardliteratur zu psychedelischen Tryptaminen einzulesen. Irgendwie wusste ich bereits, dass da die „Bestimmung“ lag.



Schließlich kam der Sommer, und mit ihm eine Cubensis-Growbox. Ich ließ mir Zeit mit dem Trip bis nach der zweiten Ernte, da ich wusste, dass er gut vorbereitet sein wollte. Ich begann die Reise schließlich in einer lauen Spätsommernacht Ende August.



Bereits in den ersten Sekunden des Trips merkte ich, dass diese Droge mystisch und existenziell war, „schamanisch“. Innerhalb weniger Augenblicke wurde ich Lichtjahre weit durchs Universum geschleudert, sah nichts, doch fühlte ich jeden einzelnen von tausenden Himmelskörpern an mir vorüberziehen. Auf einem weit enfernten Planeten kam ich als Tier zu mir und wurde von diesem mit dem Pilz bekannt gemacht, der in Wirklichkeit mein Unbewusstes war. Ich kommunizierte telepathisch mit dem Pilz, der mir im absoluten Nichts als Fraktal mit einer unendlichen Anzahl von Dimensionen erschien, und fand mich anschließend in einem unermesslichen Urwald wieder, den ich räumlich und zeitlich durchreiste. Schließlich zeigte mir der Pilz anhand einer Szene, dass ich offenherziger gegenüber anderen Menschen auftreten müsse, um Kontakt und Zuneigung zu erhalten. Dann blickte ich in der diesseitigen Welt in den Spiegel und sah mich selbst, beziehungsweise blickten ich und das Jenseits-Ich einander durch den Spiegel hindurch auf den Grund der Seele.



Ich wusste, dass ich „meine“ Droge gefunden hatte. Tiefgründig, leicht kontrollierbar, aufrichtig, ein Schlüssel zur Seele. Dieser erste Trip reichte bereits aus, meine Zwänge völlig und dauerhaft hinwegzufegen. In den folgenden Wochen bekam ich des öfteren zu hören, dass ich mich zum Positiven verändert hätte, dass ich gelassener, extrovertierter und humorvoller wäre.



Einen Monat darauf setzte ich das Experiment mit einer ebenfalls ziemlich hohen Dosis fort. Der Trip begann damit, dass ich mich im Inneren eines Aztekentempels auf einer Strohmatte wiederfand und das von der Wand prangende Symbol der sich selbst in den Schwanz beißenden Schlange betrachtete; neben mir kniete der Schamane und erlegte mir die Prüfung auf. Eine Prüfung der Willenskraft... ich verfiel in eine körperliche Ekstase, wand mich, lachte und weinte gleichzeitig, durchlebte alle denkbaren Gefühlszustände und kämpfte mit dem sich verkrampfenden Magen. Kurz vor dem Plateau, als ich sicher sein konnte, dass der Wirkstoff restlos absorbiert war, suchte ich das Bad auf und entleerte mich aus nahezu allen Körperöffnungen, was auf eine spirituelle Weise unglaublich befreiend war. Prüfung bestanden! Der Rest des Trips hatte eine äußerst mystische, traumartige Dimension. Ich fand mich an unzähligen Orten zu verschiedenen Zeiten wieder, ich dachte und assoziierte sehr viel, ohne mich dafür bewusst anstrengen zu müssen, und das sich bereits in der Morgendämmerung erhellende Zimmer sah zeitweise stark verändert aus, wie mit Moos überwachsen und mit markanteren Winkeln und Linien.



Ich beschloss, fortan niedrigere Dosen zu nehmen, nur noch einen 2,0-2,2 g-Beutel statt zwei, um die körperlichen Effekte zu verringern und länger mit dem Vorrat auszukommen.



Der erste solche „Low-Dose“-Trip, welchen ich im Frühherbst unternahm, wurde letztlich zu einem Bad Trip, unter anderem weil ich mental völlig klar blieb und daher die Wirkung unterschätzte. Nachdem der Trip sich durch ein von vornherein schlechtes Set bereits verdüstert hatte, schlug ich den falschen Weg ein und wünschte mir wieder das fliegende Tor. Es erschien prompt, gewaltig, detailliert, inmitten einer flammenden Szenerie voll umherschwirrender „Drohnen“ und Trümmer. Der Pilz zeigte mir wieder einmal, dass er ein wahres Psychedelikum ist... Vor allem aber wusste ich, dass diese Inkarnation des Tores sich öffnen würde, was ich auch umgehend einforderte. Von diesem Augenblick an wurde das ganze zum unangenehmen Selbstläufer. Ich wurde von Schatten angegriffen, das nur ein Stückchen geöffnete Tor schloss sich wieder und entfernte sich, und der Rest des Trips führte mich unentrinnbar immer tiefer in meine inneren Abgründe hinein. Es war nicht angstvoll (warum sollte ich auch Angst vor mir selbst haben?), doch durchaus mental anstrengend. Nach dem Peak, auf dem ich gegen Dissoziation ankämpfen musste, orientierte ich mich nach außen, malte ein wenig und reflektierte das Erlebte.



Bereits eine Woche später unternahm ich die nächste Reise, und zwar im gewohnten Setting zuhause, da mir die Lust auf diesbezügliche Experimente erst einmal vergangen war (den vorherigen Trip hatte ich im Park angefangen und mich dort unwohl gefühlt). Dieser Trip war recht schön, jedoch verging auf ihm die Zeit sehr schnell. Ich gelangte immer wieder in eine Art Grundzustand zurück, konnte von dort in Assoziationen „hineinzoomen“, sie auf vielen Wegen zugleich erforschen und wieder in den Grundzustand „herauszoomen“. Dieser Trip war nicht sehr visuell, sondern fast ausschließlich gedanklich. Allerdings konnte ich im Grundzustand, mit offenen Augen, die Assoziationen als kleine irreguläre „Zellen“ vor mir im Raum schweben sehen und konnte zum Zoomen z.B. mit dem Finger darauf zeigen, worauf die jeweilige Zelle sichtbar reagierte, z.B. durch Aufleuchten oder Schwingen. Leider vergaß ich auf diesem Trip oft zu denken, so dass ich vermutlich ständig in Gedankenschleifen geriet und mir große Teile der Reise fehlen.



Drei weitere Trips folgten in kurzen Abständen von 2-3 Wochen. Ein unergründliches Gefühl von Melancholie und Sehnsucht in Bezug auf mich selbst, sowie die Gewissheit, dass da „noch etwas sein musste“, trieb mich dazu. Die Trips waren alle ziemlich unspektakulär und hatten die Gemeinsamkeit, dass ich mich beim Hochkommen unglücklich und einsam fühlte, und unterschwellig immer unzufriedener mit dem Fortschritt meiner „Selbsttherapie“ war. Immerhin machte ich mir ausgiebig Notizen über den Pilztrip und seine Nachwirkungen, da ich vorhabe, irgendwann einmal ein FAQ oder ähnliches zu schreiben.



Ende Oktober erntete ich das erste Mal aus meiner zweiten Growbox. Es handelte sich um sporenlose, stark bläuende Mutanten, und ich spekulierte, dass sie mindestens so potent wie Hawaiianer sein würden. Mittlerweile verkaufte ich ab und zu einen Beutel Pilze im engeren Bekanntenkreis und erklärte mich auf Anfrage eines Kollegen bereit, die Ernte zu testen. Da mein Nachbar zur Zeit nachtaktiv und dabei ziemlich laut war, beschloss ich, mit meinem Vater auf einen abgelegenen Privatparkplatz zu fahren. Er besitzt einen zum Wohnmobil umgebauten Laster, nicht so beengt wie ein normales Wohnmobil voller Stolperfallen, so dass ich keine Probleme mit einem möglicherweise sehr starken Trip sah.



Leider war hundert Meter weiter ausgerechnet an diesem Abend Disco, so dass öfters wummernde Autos vorbeifuhren. Ich trank zur Verbesserung meines Befindens ein paar Tassen Damianatee und als sich anscheinend alles in der Disco eingefunden hatte, begann ich auf dem Hochbett im hinteren Teil des Lasters den Trip, während Vater sich am Tisch einen dicken Johnny baute und in Meditation versank. Das Hochkommen war anders als sonst, sehr kurze Wellen von 3-4 Minuten, jede ein wenig stärker. Die dritte Welle brachte bereits gegenständliche Visuals mit sich. Ich flog einem Urwald entgegen, in ihn hinein, alles zu Musik von Orchester und Panflöten... dies wurde jäh unterbrochen, als draußen ein wummernder Nachzügler vorbeikreuzte. Der Pilz schaltete sofort auf LSD-Optik um, wie Pop-Art in pink, violett, gelb und blau, was mich zunächst nervte. Aber dann akzeptierte ich es, um mir den Trip nicht zu versauen; ich konnte das Setting jetzt halt nicht mehr ändern. Definitiv konnte ich auch kein spirituelles Set mehr erwarten. Nach einiger Zeit war ich der Ansicht, auf dem Peak zu sein und machte Anstalten, vom Bett herunterkommen, damit Vater dort schlafen konnte. Da traf mich unvermittelt eine so unglaublich starke Welle, dass ich homerisch loslachte. Licht an, verpeiltes Gespräch mit Vater, Licht aus, weitertrippen, verklatschte Bemerkungen, totlachen, das alles wiederholte sich mehrmals, schließlich Heizstrahler an, alles rot im Laster. Vater stand am Strahler und wärmte sich die Kehrseite, während am Fußende des Hochbetts orientierungslose Spinnen die Wand entlangwuselten, schmerzverzerrte Gesichter aus den Schränken herausschwebten und ein kleines Äffchen von der Decke schaukelte. Ich konnte schließlich kaum noch etwas sehen und fand die Leiter am Fußende nicht. Vater ließ den Laster schaukeln, ich hatte dadurch kurz klare Sicht und konnte herunterkommen. Licht an, ich nahm in der Sitzecke Platz. Alle Kanten waberten extrem, wie Basssaiten. Es folgte eine stundenlange verstrahlte Diskussion. Vater merkte an, dass ich mich teilweise wie auf LSD verhielt, aber man merke, dass ich etwas anderes genommen hätte. Später wurde auch mit der Decke diskutiert, die ich vom Hochbett geholt und in der Sitzecke verstaut hatte. Wir belegten die Decke mit Kirchenbann, nahmen ihr Sachen übel und so weiter. Recht lustig.



Dieser Trip hatte mir nicht viel gebracht außer einer Menge Gelache und außergewöhnlich langer und starker Nachwirkungen. Für mehr als zwei Wochen sah die Welt für mich sehr kontrastreich und leicht rosastichig aus, und meine Zeitwahrnehmung war ziemlich variabel. Nach außen wirkte ich jedoch völlig normal, wie mir versichert wurde.



Kurz darauf testete ein Freund die zweite Ernte und befand sie für außergewöhnlich spirituell wirksam. In der Hoffnung, endlich neue Erkenntnisse durch den Pilz gewinnen zu können, beschloss ich, den nächsten Trip schon bald nach dem Abklingen der Nachwirkungen des letzten Trips zu unternehmen. Die Gelegenheit ergab sich kurz vor Weihnachten, in der Nacht vom ersten auf den zweiten Tag meiner Betriebsferien.



Ich gab mir dieselbe Dosis wie beim vorigen Mal. Der Trip setzte rasch ein und war von Anfang an visuell voll ausgeformt; er kam nicht in Wellen, sondern verlief völlig gleichmäßig, so dass ich die gesamte Tripzeit zum Nachdenken verwenden konnte und ich mich fast an den gesamten Trip erinnern kann. Ganz zu Anfang erwachte ich an einem Waldrand, unweit eines Maisfeldes. Ich schlenderte dorthin und sah den Indianern beim Arbeiten zu. Schließlich lief ich einem etwa dreizehnjährigen Mädchen über den Weg, sie kam auf mich zu, als wolle sie mir etwas sagen... Ich-Auflösung. Aufschlagen der Augen; das Zimmer, in dem alles begonnen hatte, veränderte sich, eine andere Kulisse wurde „herbeigeweht“ und legte sich über das Vorhandene. Mit offenen Augen waren nun Decke, Wände und Säulen eines Tempels zu erkennen; nach einer Sekunde war dies die aktuelle Realität. Die Person, die an diesem Ort die Augen aufgeschlagen hatte, war das Mädchen. Es lag dort, unstet und verwirrt glitt sein Blick über die rissigen Muster über ihm, es kannte diesen Ort, viel lieber aber hätte es im Wald herumgetollt. Der 32-jährige Mann, der ihm auf dem Feld begegnet war und der die Pilze eingenommen hatte, existierte in diesem Moment nur in seiner Erinnerung, und diese Person war doch gleichzeitig das Mädchen, hatte an seinen Erinnerungen und kindlichen Vorstellungen teil, lebte sein Leben. Ich-Auflösung. Erwachen. Ein vernarbter alter Soldat schlug sich missmutig durchs Unterholz; er kam vom Wirtshaus und war angetrunken. Auch er erinnerte sich an den Mann, der die Pilze genommen hatte, und dieser war auch er. Es hatte Streit im Wirtshaus gegeben und der Soldat ärgerte sich noch immer über den Verlauf der Auseinandersetzung. In seiner erzürnten Vorstellung formte sich ein Schlachtfeld, auf der sich zwei Roboterarmeen bekämpften; kleine Droiden, riesige Mechs und allerlei andere Maschinen beschossen und verstümmelten sich; jeder Fetzen Metall und jeder Funke war hyperrealistisch sichtbar. Schließlich ermüdete der Soldat und beschloss, sich unter einem Felsvorsprung schlafen zu legen. Mitten in der Nacht erwachte er und musterte gelangweilt den morschen, rissigen Stein über sich. Eine Person trat heran und sah auf ihn herab; es war das Mädchen. Es hatte sich im Wald verirrt, aber sie kannten sich aus dem Dorf, und so machten sie sich gemeinsam auf den Weg. Ich-Auflösung. Halbstündiger Filmriss. Das Maisfeld. Wir alle drei hatten uns im Morgengrauen schlussendlich gefunden, alles war gut ausgegangen, wir waren Freunde geworden.



Dieser Trip war besonders bedeutsam und wertvoll, das war mir sofort klar. Da ich aber auch wusste, dass man alles erst ein paar Tage „einsacken“ lassen muss, bevor man das Erlebte umfangreich aufarbeiten kann, stürzte ich mich zunächst in die Arbeit, die ich mir für die ersten Urlaubtage vorgenommen hatte: die Verbesserung beziehungsweise weitläufige Runderneuerung einiger ziemlich verlotterter Wikipedia-Artikel. Da ich von den Pilzen noch „gedopt“ war, ging dies mitsamt Recherche sehr schnell und effizient von der Hand. Darauf folgte das übliche Besuchen und Gefeiere um Weihnachten und Silvester herum.



Spätabends am zweiten Tag des neuen Jahres unternahm ich einen Spaziergang im Park. Ich stapfte durch den recht hohen, teilweise überfrorenen Schnee und versetzte mich in einen inneren Zustand, in dem ich frei assoziieren konnte; ich meditierte sozusagen im Gehen. Eine tiefe elementare Trauer und Bedrücktheit stieg vom Grund meiner Seele auf und überwältigte mich fast; ich ließ es mich durchdringen, kontemplierte es nüchtern und stellte fest, dass es mein Urgefühl war, auf dem ich seit meiner Kindheit „festhing“. Ausgelöst durch meine Mutter, die sich früh zu einer abweisenden Person entwickelt hatte und später anfing, mich gewohnheitsmäßig zu schlagen. Es folgte Mehrfachtraumatisierung durch sexuelle Gewalt außerhalb des Elternhauses. Auch diese ging vom anderen Geschlecht aus.



All dies würde ich ausschließlich mit mir selbst ausmachen müssen; in unserer Gesellschaft ist diese geschlechtliche Konstellation von Gewalt vollkommen tabuisiert.



Ich stand da im Park und lachte trotz der unerbaulichen Gedankengänge ein wenig; dann merkte ich, dass die Persönlichkeitsanteile, die mir auf dem letzten Trip begegnet waren, emporgestiegen und mit der Hauptpersönlichkeit gemeinsam präsent waren. Ich begann tiefer zu atmen, kommunizierte mit ihnen und integrierte sie in die von ihnen schließlich akzeptierte Hauptpersönlichkeit. Dies gelang offenbar beim ersten Versuch, und ich freute mich sehr, doch die Freude empfand ich dann doch als sonderbar stark und ungestüm – was hatte ich losgetreten? Zuhause merkte ich, was schief hing: Ich halluzinierte, obwohl ich nüchtern war, und jede kleinste Aufregung, auch Rauchen oder Kaffeetrinken, intensivierte die Effekte prompt. Wahrnehmungsverstärkung, permanente quälende Reizüberflutung, „wandernder“ Druck im Kopf, Tinnitus. Alles, was ich ansah, bewegte sich, zitterte, wanderte fort, verfärbte sich. Ich betrachtete fast zwanghaft die riesige kahle Buche vor meinem Fenster und nahm jeden Ast, jeden kleinsten Zweig gleichzeitig wahr; mein unverändertes, nicht trippendes Wachbewusstsein war damit überfordert. Mit geschlossenen Augen sah ich im Wachzustand wie im Schlaf nichts als eine Parade unausgeformter Halluzinationen, knetgummi- oder plastikartig, im Zeitraffer, nichtssagend.



Dieser monströse Flashback erstreckte sich langsam abklingend über etwa 36 Stunden. Obwohl ich dank meiner psychiatrischen Vorgeschichte definitiv wusste, dass ich keine psychotische Veranlagung habe (aufgrund einer diesbezüglichen Fehldiagnose), führte ich ständige Realitätschecks durch.



Ich hatte glücklicherweise ein Röhrchen „Baldrian-Dispert 45“ im Haus, sehr kleine Filmtabletten mit niedrig dosiertem Baldrianextrakt, die man gut unterwegs ohne Flüssigkeit einnehmen kann. Das half, wenn ich rausmusste. Und ich wollte viel raus, Kontakt zur äußeren Realität und anderen Menschen halten. Mein Reizfilter war jedoch für gut eineinhalb Wochen äußerst labil und schaltete sich immer wieder komplett aus. Glücklicherweise musste ich in dieser Zeit nicht arbeiten, da ich meinen restlichen Vorjahresurlaub an die Betriebsferien angehängt hatte. Bis ich schlussendlich nervlich wieder voll belastbar war, vergingen gut drei Wochen.



Trotz des unangenehmen vorläufigen Endes meines Experiments sehe ich dieses als vollen Erfolg. Zwar habe ich fehlende Erinnerungen nicht zurückholen können, dafür aber verlorene Teile meiner Persönlichkeit: meine teils verdrängte Opfermentalität (Mädchen) und eine abweisende, seit Jahren verneinte Schutzpersönlichkeit (Soldat) sind nun Teil des zentralen Ganzen. Separate Persönlichkeiten, in die ich ungewollt hineingeraten konnte und nicht mehr herauskam, sind nun normale Gefühlszustände und es fühlt sich gut an, gelassen und kontrollierbar. Ich bin nicht mehr derselbe wie letztes Jahr und doch um so mehr ich selbst.



Wenn ich mir vor Augen halte, dass mir damals 15 Monate durchgehender stationärer und teilstationärer Behandlung weniger gebracht haben als jetzt diese vier Monate konsequenter substanzgestützter Selbsttherapie, halte ich es für unverantwortlich, Psychedelika nicht wenn angezeigt in der Psychotherapie zur Erzielung rascher punktueller Fortschritte einzusetzen.



Die Pilze müssen nun vorerst Pause machen, damit ich die komplette Erfahrung in mein Leben integrieren kann. Vielleicht experimentiere ich in absehbarer Zeit mal mit Salvia oder DMT, denn Forscherdrang und Neugierde lassen mir keine Ruhe; im Moment bin ich aber schlichtweg substanzfrei glücklich und stehe eindeutig mehr im Leben als zuvor.



Auf denn... Euer Tryptomane wink