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Titel:Grenzüberschreitung
Droge:Ketamin
Autor:fruehlingserwachen
Datum:09.07.2013 16:30
Nützlichkeit:8,57 von 10 möglichen   (68 Stimmen abgegeben)

Bericht::

Ich lebe in Berlin und bin seit über einem Jahr fast jedes Wochenende in der Technoszene unterwegs. Anfangs immer auf Teile und Pepp bin ich (nachdem das MDMA nicht mehr seine erwünschte Wirkung erzielen konnte) irgendwann bei Ketamin als Standard-Partydroge gelandet und habe mir mehrere Wochenenden hintereinander immer ca. 1/2-1 g Nasal zugeführt.

Während dieser Zeit hat sich die Wirkung des Ketamins stark verändert. Anfangs, in der Zeit in der ich es nicht in großen Mengen konsumiert habe, immer schön am Filme schieben, die klare und zeitlich teilweise verschobene Optik, das veränderte Körpergefühl (leicht & schwer gleichzeitig) und die veränderte Wahrnehmung der Realität (unterschiedliche Ebenen, surreale Gedanken über mein normales Leben, Auflösen der Verbindung zwischen Körper und Gehirn).

Das alles waren Aspekte, die die Wirkung für mich interessanter und anziehender gemacht haben als bei jeder anderen Droge. Die Unerforschten Möglichkeiten der Wirkungsweise hatten für mich und mein gesamtes Umfeld eine enorme Anziehungskraft und Wochenende um Wochenende stieg die konsumierte Menge. Nur habe ich im Nachhinein den Eindruck, während dieser Zeit immer auf der Suche nach dem perfekten Erlebnis oder einer bahnbrechenden Erkenntnis - in Bezug auf den Nutzen der Wirkung für mich persönlich - gewesen zu sein, die ich nicht erreichen konnte.

Die Wirkung des Ketamins wurde mit der Zeit natürlich immer schwächer, sodass man enorm viel mehr konsumieren musste. In der Wirkungsweise veränderte es sich extrem. Wenn ich es kurz beschreiben müsste, würde ich sagen es war später dann kein Trip mehr sondern eher nur ein Gefühl. All die interessanten Aspekte, durch die ich von der Droge anfangs so begeistert war, traten nicht mehr ein und in den Vordergrund rückte das dumpfe Verlangen, sich einfach nur noch weiter hochzudosieren (der Effekt einer Bahn lässt dann schon nach ca. 20 Minuten wieder nach).

Am Ende war ich dann entweder in einer vollkommen anderen Dimension auf der Tanzfläche (für den Moment war der Zustand geil, wenn man sich darin fallen gelassen hat. Im Nachhinein hatte man nicht viel davon.) oder bin vollkommen verstrahlt und unfähig, die Wirkung noch irgendwie als sinnvoll einzustufen durch den Garten des Clubs gelaufen. Ich habe meine Freunde nicht gefunden, obwohl sie ganz in der Nähe saßen, weil ich sie nicht erkannt habe. Mir ständig auf die Zunge gebissen. Oder mir während des Trips Gedanken darüber gemacht, warum ich das Zeug überhaupt nehme bzw. dass es keinen Sinn macht. Das war vor allem in den letzten Wochen dieser (für mich) intensiven Konsumphase.



Als ich Ketamin dann für einen längeren Zeitraum nicht mehr angefasst habe, konnte ich mein Verhalten von damals besser reflektieren. Mir ist klar geworden, was für ein extremes Abhängigkeitspotential es hat - am Ende hab ich teilweise die Bahnen gelegt, schon mit dem Gedanken im Kopf dass der Effekt sowieso kein positiver sein wird und mich nur weiter verwirren wird - trotzdem habe ich weitergezogen.

Die erste Bahn hatte eigentlich nie eine andere Wirkung als dass sie mich geil auf noch mehr Ketamin gemacht hat. Und dann habe ich mich so lange hochdosiert bis es zu viel war, immer auf der Suche nach irgendeinem positiven Effekt oder dem erstrebenswerten Effekt, den es noch am Anfang für mich hatte.

Außerdem ist mir in den letzten Wochen dieser Phase auch unter der Woche aufgefallen, dass ich teilweise neben mir stehe, daraus hat sich mit der Zeit eine Art "Zwangsgrübeln" entwickelt, wobei ich an meinem Leben nicht mehr richtig teilhaben konnte, weil sich mein Kopf die ganze Zeit auf irgendwelche Abstrakten negativen Gedanken fixiert hat. Es gab keinen Grund dafür in meinem Leben, aber ich wurde diese Gedanken einfach nicht los. Vor allem die Angst, psychisch krank zu sein, hat schlussendlich zu der depressiven Verstimmung geführt, die daraus resultiert ist. Am Höhepunkt bin ich zusammengebrochen und war mit meinem Leben einfach nur noch komplett überfordert. Ich hatte keine Lust auf nichts mehr und hab auch eine negative Einstellung zu vielen Dingen entwickelt, die mir früher Spaß gemacht haben.

Damit habe ich heute noch zu kämpfen, wenn auch sehr abgeschwächt. Ganz verschwinden wird dieses Gefühl aber wahrscheinlich nie.



Da Keta auch als Antidepressivum wirkt, bin ich mir sicher, dass es einen großen Teil dazu beigetragen hat. Interessant finde ich, dass sich die Depression erst entwickelt habe, als ich aufgehört habe zu konsumieren - also quasi als Entzugserscheinung. Als Antidepressivum muss Ketamin auch jede Woche neu eingenommen werden, um weiterhin zu wirken.



Gleichzeitig bin ich in einer Phase, wo mir das ständige Feiern auch mehr und mehr sinnlos erscheint. Das liegt aber auch daran, dass sich viele Leute zu sehr auf die Drogen fixieren und zu wenig auf die Party.

Ketamin trägt einen großen Teil dazu bei - ich beobachte bei sehr vielen Bekannten und Freunden (vor allem die jüngere Generation), wie schon bevor die Begeisterung für die Musik und die Leute überhaupt entstehen konnte, die Begeisterung für das Keta viel größer ist. Die meisten sind auf ihrem Turn dann auch überhaupt nicht mehr aktiv, sitzen irgendwo rum und trippen für sich alleine oder führen geistlose Gespräche (im Klartext: reden die größte scheiße) und Tanzen ist auch nicht mehr interessant. Hauptsächlich sind diese Leute dann mit sich selbst beschäftigt, und damit, ihre nächste Dosis zu organisieren.



Bei mir hat Keta immer noch so gewirkt dass ich gut (und vor allem schnell) darauf tanzen konnte, aber zugehört habe ich dabei nicht. Es ging mehr um Rhythmus und Schnelligkeit. Danach ist es mir schwer gefallen, wieder eine vernünftige Verbindung zur Musik zu bekommen, das hat einige Zeit gedauert. Da die Musik für mich das wichtigste ist auf einer Party, ist das ein ziemlich bitterer nachgeschmack meines damals unvorsichtigen Konsumverhaltens.



Wenn ich nicht auch drauf bin, habe ich zu Leuten auf Keta dann gar keinen Draht mehr, auch nicht, wenn ich unter der Woche eigentlich viel mit mit ihnen zu tun habe. Das Gemeinschaftsgefühl und der positive Vibe, wie er zum Beispiel durch MDMA entsteht, werden einfach zerstört.

Bei einigen merkt man deutlich, wie die Droge ihren Charakter verändert. Die eingefleischten Konsumenten halten eine Menge von sich und der Droge und stellen sich über andere, auch wenn eigentlich nichts dahintersteckt. Einige Konsumieren auch unter der Woche. Sie haben alle die gleiche Art zu reden, sich anzuziehen, die gleichen Blicke. Auf irgendeine Weise schaffen sie es dadurch aber, eine Anziehungskraft auf ihr Umfeld auszulösen. Viele wollen dazugehören, das war bei mir anfangs ähnlich. Allerdings hab ich Erfahrungen immer für mich allein gesammelt und mich nicht von einer Gruppe mitreißen lassen, was sich in dieser Beziehung wirklich positiv ausgewirkt hat.



Das sind alles die Eindrücke, die ich in den letzten Monaten gesammelt habe. Ich hoffe, dass alles gut nachvollziehbar ist.

Vor noch nicht mal einem Jahr haben mich die Leute beim Feiern noch gefragt "Ketamin? Dieses Pferdebetäubungsmittel gibst du dir?" - heutzutage gibt es kaum noch Feierleute, die es nicht nehmen. Und viele, die sich meiner Meinung nach gar nicht darüber im Klaren sind, wie tief sie schon in einer Abhängigkeit stecken und was passiert, wenn sie plötzlich damit aufhören.

Meiner Meinung nach ist das Zeug ziemlich unterschätzt und gerade dabei, die Feierszene nach und nach kaputt zu machen. Die Leute feiern seit 20 Jahren auf Ecstasy und das hat immer funktioniert, aufeinmal ziehen alle Keta und schon jetzt sind einige vollkommen abgedriftet.

Ein Kumpel von mir war während seiner Ketaphase zum Ende hin fest davon überzeugt, dass ihm sein Leben nichts wert ist und dass er den Rest seines Lebens in irgendwelchen Clubs verbringen will, bis er dann irgendwann stirbt. Andere haben von einer Überdosis einen epileptischen Anfall erlitten oder sind im Krankenhaus wieder aufgewacht. Und trotzdem noch ne Bahn keta hinterher. Auch ich habe mich schonmal unabsichtlich ins K-Hole befördert und war für mehr als eine Stunde absolut unzurechnungsfähig - zum Glück gab es um mich herum Leute, die sich gekümmert haben.

Ich will auch niemandem den Spaß an der Droge nehmen. Solange ich Keta nicht als die Feierdroge sondern eher vereinzelt mal gezogen habe, ist das auch alles kein Problem gewesen, da hat es einfach nur Spaß gemacht. Allerdings habe ich meinen eigenen Konsum in dieser Zeit auch sehr viel weniger reflektiert.

Wenn ich heute Keta ziehe habe ich sofort wieder dieses unangenehme Gefühl, was mir sagt dass ich etwas falsches tue und mich gleichzeitig dazu bringt, noch mehr zu nehmen, um eben das zu vergessen. Ich kann mich weder darin fallen lassen, noch hat die lange Pause dazu geführt dass es wieder ansatzweise so wirkt wie am Anfang. Teilweise rede ich einfach nur irgendeinen Schwachsinn. Nur wenn ich dann wieder unten bin, bin ich aufeinmal supergut gelaunt - die antidepressive Wirkung eben.



Ich hoffe einfach, dass die Menschen um mich herum in nächster Zeit aufwachen und dieser psychedelischen Droge wieder etwas mehr Respekt entgegenbringen. Damit wir wieder zusammen die Musik feiern können - nicht die Droge.