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Titel:Termin steht fest: Langzeittherapie. Ein letztes mal vollgas!
Droge:Alkohol
Autor:anonym
Datum:25.03.2016 04:14
Nützlichkeit:9,22 von 10 möglichen   (59 Stimmen abgegeben)

Bericht::

Es geht um die 3 Wochen zwischen meiner vorletzten und letzten Entgiftung, auf die eine Langzeit-Entwöhnungstherapie folgte.



Ich schreibe hier nieder, was der Alkohol z.T. schon bei mir angerichtet hat. Das toppt keine Droge. Selbst die Amphetamine stehen da bei mir erst an 2. Stelle, was den Schaden angeht, den es verursacht hat.






Im Jahr 2014 entschloss ich mich das erste mal, in einer Klinik zu entgiften. Zumindest war das die erste freiwillige Entgiftung.



Ich schweife kurz ab:



Zuvor hatte mich der Alkohol bereits schonmal auf die internistische Intensivstation befördert, wo die Ärzte merkten, dass ich entzügig war und mich mit Diazepam behandelten.

Ich trank mittlerweile 1-2 Flaschen Wein, 1 Flasche Wodka und eine unbestimmte Menge Bier am Tag, als eines Abends die Schmerzen kamen. Heftigste Schmerzen im Oberbauch. Gürtelförmig in den Rücken ausstrahlend. Erbrechen, das Kaffeesatzartig aussah und leicht blutig war.

Die ganze Nacht krümmte ich mich vor Schmerzen und rief am nächsten Tag beim Hausarzt an.

Weil ich dort zunächst keinen erreichte, versuchte ich es auf dem Notfalltelefon, kam durch und schilderte meine Beschwerden. Die Arzthelferin meinte, Bauchschmerzen seien kein Notfall und ich solle auf der anderen Nummer anrufen. Was ich direkt danach auch tat und wieder die selbe dran hatte, nur damit sie mir sagen konnte, ich solle mal vorbeikommen. Also völlig unnötige Aktion mit dem "kein Notfall".

Da ich ahnte, wo das hinführt, packte ich meine Reisetasche mit Klamotten und Hygieneartikeln, Büchern, einem MP3-Player.

Ich ging zum Arzt und musste warten. Währenddessen ging es wieder los. Musste zur Toilette rennen und erbrach wieder blutig. Daraufhin wurde ich vorgezogen. Eine Infusion gelegt und ein Rettungswagen bestellt, dessen Besatzung beschloss, mit Sondersignal zu fahren, als es dort weiterging mit dem Erbrechen in das Riesenkondom, das die Sanitäter witzigerweise als "Eichhörnchen" bezeichneten.

In der Notaufnahme fiel dann erstmals einem Arzt auf, dass ich zitterig und am schwitzen war. Der wusste natürlich direkt Bescheid, was Sache ist und verordnete die erleichternden Diazepam.

Zunächst einmal wurde ich auf eine Onkologie/Hämatologie - Station verlegt. Das Wort "Onkologie" erschreckte mich. Als sich dort mein Zustand weiter verschlechterte, brachte man mich auf eine der modernsten internistischen Intensivstationen Europas, ich war also gut aufgehoben auf dieser hektischen, piependen, pfeifenden und röchelnden Station.

Aus dem ersten Zimmer wurde ich die Nacht noch rausgeholt, weil die Frau des Mitpatienten alleine mit ihrem Mann sein wollte, wenn er stirbt... totenkopf

Am nächsten Tag machte man eine CT und fand heraus, dass sich meine Bauchspeicheldrüse entzündet hatte (Pankreatitis). Ich bekam also nun Antibiotika-Infusionen und Opioide Schmerzmittel i.v. Das war meine erste Erfahrung mit BtM - Opioiden (Pethidin). Ertappte mich in dieser Zeit oft dabei, wie ich nach dem nächsten Schuss vom Arzt geierte.

Ich verbrachte dort 2 Wochen unter heftigsten Schmerzen trotz Medikamenten und bekam vom Oberarzt gesagt, dass ich nicht älter als 30 werde, wenn ich so weiter trinke.

Wenn ich bei dem hektischen treiben auf der Station mal zur Ruhe kam, dann nicht für lange, weil das Piepen irgendeines Geräts mich wieder weckte - oder eine Schwester, die Blut entnahm.

Ich hatte einen zentralen Venenkatheter in der Halsvene und musste deshalb die ganze Zeit im Bett bleiben und einen mobilen Toilettenstuhl nutzen.




Spoiler:
Einmal kam doch tatsächlich der Pizzaservice auf mein Zimmer und fragte mich, ob ich eine Sucuk-Pizza bestellt hätte. Ich hab mich einfach nur bepisst vor lachen, voll auf Schmerzmitteln. Kam einfach nicht auf den Gedanken klar, dass sich ein Patient eine Sucuk-Pizza auf die internistische Intensivstation kommen lässt. Schwer nachzuvollziehen, Situationskomik.

Zu allem Überfluss kam einige Minuten später ein Arzt zur Sonografie, der sichtlich genervt war von meinen ständigen Lachanfällen, während er an meinem Bauch herumhantierte. Er konnte auch nicht nachvollziehen, was ich daran so witzig finde.





Trotz allem begann ich 3 Wochen nach dem Klinikaufenthalt wieder zu trinken, was lange gut ging, weil ich aufgrund der anderen Drogen weniger als zuvor trank.






2 Jahre lang ging es so weiter: Alkohol, Amphetamin, ein Paar mal Hydromorphon und Heroin. Das Speed machte mich so fertig, dass ich mich 2014 entschloss, zu entgiften. Dort blieb ich 6 Wochen und organisierte einen Aufnahmetermin für die Langzeittherapie, bis ich entlassen wurde - eigentlich in die Übergangseinrichtung.

Ich verließ diese jedoch nach 1 Stunde, weil ich insgeheim schon geplant hatte, die verbleibenden Wochen zu "nutzen", um mich noch ein letztes mal richtig abzuschießen. rolleyes

Die "feuchten", häufig drogenverherrlichenden Gespräche auf Station hatten wohl auch ihren Teil dazu beigetragen, dass ich so am geiern war. (Deshalb sind solche Gespräche in der Therapie auch verboten und werden schlimmstenfalls mit Rausschmiss geahndet.)




Spoiler:
Außerdem waren die mir in der Übergangseinrichtung absolut unsympathisch und ich bekam direkt ein "Knast-Feeling". Freiheiten, die ich vorher hatte, sollte ich jetzt plötzlich verlieren. Bei der Durchsuchung meiner Taschen fanden sie einen frischen Wattetupfer vom Zahnarzt, kamen vor die Tür, wo ich gerade rauchte, bauten sich zu zweit vor mir auf und fragten mich anschuldigend, "was das soll". Die dachten wohl, es sei Baller-Equipment, aber es war nun mal keine Kanüle, sondern ein blöder Wattetupfer (nicht mal Alkohol dran).






Nun war ich also wieder zu Hause und machte direkt einen Abstecher zum Supermarkt, wo ich mich mit Wodka und Bier eindeckte. Außerdem hatte ich ein Päckchen Zopiclon, das mir ein Arzt merkwürdigerweise verordnet hatte (frisch aus der Entgiftung eek ). Ein Paar davon spülte ich mit einer halben Flasche Schnaps herunter und dann - Blackout. messer

Am nächsten Tag wunderte ich mich über das unangetastete frische Mett in meiner Küche, das ich nun leider mangels Kühlung nicht mehr essen konnte. Sogar geschnittene Zwiebeln hatte man mir liebevoll in ein Plastikdöschen gepackt. Nur von den Brötchen fehlte jede Spur. Hatte ich vergessen welche zu kaufen oder hatte ich sie verputzt, ohne sie zu belegen? Das wird wohl ein Rätsel bleiben...

Als ich in den Supermarkt ging, um Nachschub an Alk zu besorgen, kamen 2 Mitarbeiter mit ernsten Blicken auf mich zu und wiesen mich darauf hin, dass ich froh sein könne, kein Hausverbot zu haben, weil ich am Tag zuvor den halben Laden zerlegt hatte - habe nicht randaliert, bin aber überall reingestürzt.

Aha, da hatte ich also das Mett geholt. idee Und laufe nach der Aktion seelenruhig und schamlos am Tag danach wieder in den Laden, weil ich nichts mehr davon wusste... doh

So ging es jeden Tag weiter. Für mehrere Tage Alkohol zu kaufen gelang für maximal 2 Tage, weil ich mehr trank, wenn ich mehr hatte und wenn ich extra weniger holte, weil ich geplant hatte, weniger zu trinken, trieb mich die Sucht zwangsläufig ein 2. Mal in den Markt.

Ich wechselte jeden Tag die Märkte, weil es mir peinlich war. Teilweise verteilte ich die gekauften Mengen aus dem Grund auf mehrere Märkte.

Das Geld zählte ich meist vorher ab, weil ich sonst an der Kasse alles fallen gelassen hätte. In dieser Zeit hab ich mich sehr geschämt und hatte das Gefühl, jeder starrt mich an, wenn ich bezahle und merkt was bei mir Sache ist.

Irgendwann war ich so fertig, dass es ein körperlicher und psychischer Kraftakt war, Alkohol kaufen zu gehen. Das war auch meine einzige Aktivität am Tag. Nachmittags Aufstehen, Einkaufen, Abschießen, Schlafen.

Ich war bei 2 Flaschen Schnaps angekommen und bekam wieder Bauchschmerzen. Schon eine Woche nach der Entlassung rief ich wieder bei der Warteliste für die Entgiftung an und flehte um Aufnahme. Das sollte jedoch noch 2 Wochen dauern.

In Melancholie versunken zelebrierte ich meinen Untergang. Irgendwie genoss ich es, mich selbst zu zerstören. Aber ich hasste mich auch dafür. Langsam bekam ich Panik, dass ich nicht mehr rechtzeitig in der Entgiftung aufgenommen werden kann, um die nahende Therapie anzutreten. Es klappte auf den allerletzten Drücker aber doch noch.

Am Aufnahmetag der Entgiftung trank ich morgens eine Flasche Wein, war aber trotzdem noch sehr entzügig, als ich in den Bus zur Klinik stieg. Mir war kotzübel und ich schwitzte. Alles zitterte, sogar mein Kopf und Kiefer. Mein Blutdruck war ins unermessliche angestiegen, ich hatte einen hochroten Kopf und dachte, jeder starrt mich an. Meine Stimme war leise und zitterig, ich stotterte.

Endlich war ich unter Aufwendung meiner letzten Kräfte in der Klinik angekommen, wo ich 3 Stunden im Aufnahmezimmer verbrachte, bis man entschloss, mich nochmal auf die Notaufnahme eines somatischen Krankenhauses zu verlegen. (Ich hatte übrigens trotz der starken Entzugserscheinungen exclaim noch über 1 Promille auf dem Kessel.)

Was die Pflegerin zu mir sagte, werde ich nie vergessen. Ich sei ein Edelstein, der noch nicht geschliffen ist. Später ging ich oft mit ihr spazieren, sie hat mir Mut gemacht.

Nach den 3 Std. bis zum Transport ins Krankenhaus dauerte es nochmal 3 Std. bis ich endlich die erste Lorazepam bekam. Jeder Muskel fühlte sich bereits zum zerreißen angespannt an.

In der selben Nacht wurde ich noch zurück ins PKH gebracht, wo ich wach blieb. Eine nette russische Mitpatientin (viele Russen auf Station, war z.T. echt witzig wink ) machte mir Tee und versorgte mich mit allem nötigen, weil ich es nicht mehr hinbekam, die Tasse zu halten geschweige denn, mir was zu Essen zu machen. Runter bekam ich eh nichts.


Spoiler:
Ich saß später immer am "russischen Tisch" zur Esszeremonie, die servierten immer im Supermarkt gekaufte extras und die Stimmung war locker und z.T. so ausgelassen, wie man sich eine russische Hochzeit vorstellt (nur ohne Alkohol, was unrealistisch ist wink ). Wir saßen als erstes und standen als letztes auf. Die Russen riefen bei jeder Mahlzeit nach khleb (Brot)... "wir Russen essen zu allem khleb".



Ich versuchte zu Schlafen, lag aber wach und mein Zimmergenosse schnarchte, was sich anhörte wie geschnarchte Wörter. Irgendetwas sinnloses, weiß nicht mehr genau. Wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, was sich da anbahnt und fand es leicht störend, aber amüsant.

Als es wieder hell wurde, bemerkte ich auf dem Raucherbalkon, dass der Boden vibrierte und die Stühle sich leicht bewegten. Ich dachte, das läge an den Bauarbeiten, die zu der Zeit auf dem Klinikgelände liefen. Es wurde mit einer Rüttelplatte gearbeitet.

Von nun an wurde es beängstigend und das folgende glaubte ich damals, obwohl ich eigentlich wusste, dass das alles nicht sein kann...

Ich ging in mein Zimmer und dort pfiff die Lüftung. Zu dem Zeitpunkt war ich alleine. Irgendwann hörte ich in dem Rauschen das Wort "Gummizelle", das sich ständig wiederholte. Es wurde gesang daraus und irgendwann sagte eine helle Stimme: "häng dich auf, bring dich um". (Das klingt nach Klischee, das haben die Stimmen aber wirklich gesagt.) Außerdem wurde ich von "ihnen" die ganze Zeit verhöhnt, verspottet und beleidigt.

Draußen auf dem Gang redete man über mich. Man beschloss mich in den Wahnsinn zu treiben, auf das ich die Psychiatrie nie wieder verlasse. Die vielen am Vortag eingelieferten Patienten waren wegen mir da, um mich psychisch zu terrorisieren.

Wieder hörte ich gesang. Kinder die mich verspotteten. Ich ging zum Fenster, weil es von draußen kam und sah eine Gruppe wegrennen.

Beim Versuch ein Buch zu lesen, konnte ich den Inhalt zwar sinngemäß nicht erfassen, bekam es jedoch beim Überfliegen exclaim in meinem Kopf von einer elektronisch klingenden Stimme vorgelesen. Trance-Musik lässt grüßen. Langsam wurde ich panisch und packte meine Sachen, weil ich mich auf eine andere Station verlegen lassen wollte, wegen dem Glauben, alle wollten mich wahnsinnig machen. Ich glaubte, ich käme nie wieder aus der Klapse heraus.

Auf dem Weg zum Stationszimmer sah ich einen Mann, der die Tür abschloss, sich davor stellte und sagte: "so passen wir mal auf, dass hier keiner versucht rauszukommen". Wie ich später erfuhr, gab es diesen Mann niemals auf der Station. Ich bat um Verlegung aber teilte im gleichen Atemzug auch mit, dass ich Stimmen höre und optische Halluzinationen habe, paranoid bin usw. und dass das ja alles eigentlich gar nicht sein könne. So reflektiert und realitätsnah war ich zum Glück noch und bin nicht aggressiv oder so geworden...

Daraufhin bekam ich ziemlich viel Haldol und Tavor, mehrmals im Abstand von einigen Stunden. Ich wollte im Zimmer die Bettenseite wechseln, weil auf der einen Seite die Lüftung war, aus der die Stimmen kamen.

Es gelang mir dann irgendwann, etwas abzuschalten und die Stimmen wurden harmloser, wie in einem Dokumentationsfilm oder so haben die über verschiedenes gesprochen. Ich schlief dann nach einigen Stunden ein.

Am nächsten Tag war alles vorbei. Bis auf die Optics. Alles schien noch leicht zu "morphen" und die Stühle bewegten sich wegen der "Vibration" immer noch über den Boden.

Haldol, Akineton und Tavor leisteten jedoch ihren Dienst (ich nahm es ein paar Tage weiterhin). Das Akineton schwächte die durch das Haloperidol verursachten Störungen etwas ab. Ich biss aber trotzdem noch den Kiefer fest zusammen und war steif, lief wie ein Roboter und vom "Gefühl" das man unter dieser Medikation hat wollen wir gar nicht reden. Fast jeder hat mir direkt angemerkt, dass ich auf Medis bin.

Nach 5 Tagen hatte ich mich nahezu vollständig erholt und durfte alleine in den Ausgang, von da an sollte es auch nur noch 8 Tage bis zur Aufnahme in der Langzeittherapie dauern. Hab das zum Glück alles noch rechtzeitig über die Bühne bekommen, um die Therapie entgiftet und halbwegs klar antreten zu können.

Es war auf jeden Fall ein übler Horrorfilm, das wünsche ich keinem. So muss Schizophrenie wohl sein... Zum "Glück" war es "nur" ein Alkoholentzugsdelir.


Zitat:

Unbehandelt endet das Alkoholentzugsdelir in 15–20 % tödlich.



...krass. Glücklicherweise ist das nicht zu Hause passiert. Weiß nicht, was ich gemacht hätte. (Einem Mitpatienten ist zu Hause der Staubsauger ohne Strom hinterhergerollt und ein anderer hat das Fenster im 2. Stock mit der Terassentür verwechselt.)


Das war ein abschreckendes Erlebnis. Ich werde alles daran setzen, zu vermeiden, wieder psychisch und vor allem körperlich drauf zu kommen.

Kann nur jedem raten: geht für eine Alkoholentgiftung bitte immer in eine Klinik! (Gilt natürlich auch für andere Substanzen, wo die Gefahr von Delir/Krampfanfall besteht.)



Vielen Dank fürs lesen! Fragen und Feedback: gerne!