Tripbericht lesen

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Titel:Verzweiflung und Ego-Gemetzel - Unterschätzt Cannabis niemals!
Drogen:Cannabis
Autor:Judaha
Datum:01.02.2012 20:35
Set:Miserabel drauf, traurig und kaputt.
Setting:Beim Freund zu Hause, im Stätchen
Nützlichkeit:8,52 von 10 möglichen   (27 Stimmen abgegeben)

Bericht:

Eines schrecklichen Abends...

Hätte nicht gedacht dass aus diesem Abend ein derart negativer TB wird, geschweige denn, dass ich überhaupt einen schreibe.

Es war Mitte Mai.
Mein Onkel ist zwei Nächte zuvor urplötzlich und aus unerklärlichen Gründen gestorben (Versagen ALLER Organe, unglaublich).
Mir gings ziemlich übel, er war mir sehr wichtig.

An besagten Abend begab ich mich zu meinem langjährigen Freund Martin, wo wir ein bisschen was assen und dann noch ein bisschen Simpsons schauen wollten. Ich, natürlich völlig abwesend und am äusserlichen Geschehen uninteressiert, suchte verzweifelt Ablenkung und versuchte mit allen Mitteln, die Tränen endlich zu unterlassen.

Mir kam ein Gedanke..."Ein bisschen Gras würde sicher ablenken". Ich sagte es sogleich Martin. Er war nicht davon überzeugt, ob dies der richtige Zeitpunkt dafür ist...auch ich wusste, dass Cannabis so seine gewissen Seiten hat. Ich hatte längere Erfahrung mit Gras, auch schon erfahren, dass es schlimme Dinge bewirken kann, und war der Überzeugung, ich hätte es durchschaut und wäre abgehärtet. So kam es, dass ich einen Ballon mit Martin’s Vapo rauchte und mich dann in sein Bett legte. Auf dem Bildschirm lief schon eine Simpsons-Folge und ich versuchte, so gut wie es halt ging, zu entspannen. Martin war noch irgendwas am machen, kam erst später dazu.

Schon nach wenigen Minuten fing mir an, heiss zu werden, und ich legte die Decke ein bisschen beiseite. Auf einen Schlag überkam mich wellenartig eine derartige Kälte, dass ich geschockt mit dem Kopf in die Wand hinter mir fuhr. Autsch.
Ich war mir im Klaren, dass das nicht normal ist, doch hatte ich noch keine grossen Bedenken und hüllte mich halt wieder in die Decke ein. Unterdessen kam Martin ins Zimmer und machte sich bettbereit.

Nun fing es an, unangenehm zu werden. Ich konnte nicht mehr klar definieren, ob mir nun kalt oder heiss ist, konnte nicht mit diesem rauen Flowen umgehen, das durch meinen ganzen Körper fuhr. Es riss alles mit und verdrehte mir den Magen. Nun bekam ich es mit der Angst zu tun. Nicht einmal eine Angst wegen dem Reissen - eine erzwungene, manische Angst vor nichts. Einfach eine Angst. Ich sprang aus dem Bett und wurde nervös. Martin fragte was los sei, ich antwortete mit "mir gehts nicht so gut, das ist nicht gut, nicht gut!", wurde nervöser und nervöser, und teilte ihm schlussendlich mit, dass ich raus muss!
An dieser Aussage war er verständlicherweise nicht erfreut und versuchte mir zu sagen, dass ich mich hinlegen solle, dass es dann besser werde. Ich legte mich nochmal ins Bett - es wurde nur schlimmer. Gedanken überschlugen sich, Gefühle rasten mit schwindelerregender Geschwindigkeit auf einander zu und explodierten, meine Hände fingen an zu zittern und ich schwitzte wie ein Sumoringer.
Nun war’s wirklich nicht mehr auszuhalten. Ich schnappte mir die Hose, versuchte verzweifelt, den Gürtel aufzukriegen und hatte schwere Schwierigkeiten beim anziehen.
Es dröhnte in meinem Kopf und ich hörte erstmals Stimmen aus dem Nichts schallen. Nicht unverständlich, sondern klar und völlig gefühllos. Es brauchte eine Weile, bis ich merkte, dass diese Stimmen Produkte meines Bewusstseins waren - ich dachte in meiner angsterfüllten Verworrenheit zuerst, es seien mehrere Personen anwesend.
Beim realisieren dieser Tatsache tat mein Herz ein Sprung und stolperte über seinen eigenen Schlag. Ich schnappte nach Luft und erschrak fürchterlich. Das war nun wirklich nicht mehr gut. Alles rumorte und riss an mir, dröhnte und schleuderte.

Ich hatte bereits zuvor Probleme mit meinem Herz aufgrund einer Psychose, unter anderem von Malaria-Tabletten ausgelöst (ich war für längere Zeit in Kenia). Bei den damaligen Panikattacken machte mein Herz dermassen Überschläge und pochte in unglaublichem Tempo, dass ich dachte, es bleibe jeden Moment stehen.
Ob es wirklich ein physisches Problem gab, weiss ich nicht - ich nehme an, das war ebenfalls Einbildung meiner durchgedrehten Wahrnehmung.

Aber zurück zum "Trip".
Ich rannte die Treppe hinunter, Martin versuchte sichtlich überfordert, nachzukommen.
Ich packte eine Scheibe Brot und ging aus dem Haus. Kurz darauf kam er nach und fragte, wohin wir denn gehen wollen. "Ein bisschen laufen.", sagte ich. Hätte ich wahrheitsgemäss geantwortet, hätte ich gesagt: "Ein bisschn sterben."
In die Hölle.

Ich lief in schnellem Schritt zur Busstation und von dort weiter die Strasse hoch. Dort fing es dann an, richtig übel zu werden. Ich wusste nicht recht, wo ich war. Immer wieder stellte ich mir die Frage, und irgendwann verredete sich meine innere Stimme und aus dem "Wo" wurde eine "Wer". Dumm, echt dumm, denn nun stürzte sich mein versklavtes Denkvermögen auf diesen Satz, und als ich nicht auf ein befriedigendes Ergebnis kam, fing mein Unterbewusstsein an, sich aufzulösen. Gedanken, Erinnerungen und Gefühle wurden vergessen und es blieb ein unglaublich schlimmes Existenzbewusstsein, doch hatte ich keine Ahnung, was für eine Existenz es ist.
Gegen aussen wirkte ich nur ein bisschen aufgerüttelt, erklärte mir Martin später, doch innerlich war die Hölle los.
Ich redete wirres Zeug, nur um meine Stimme zu hören. Diese wurde mir aber mehr und mehr fremd und ich hörte schlussendlich eine völlig unbekannte Stimme sprechen. Und dann auch noch diesen zusammenhanglosen Stuss...meine Güte.
Mein ganzes Ich-Bewusstsein verabschiedete sich von meiner Existenz. Ich (oder eben nicht mehr ich) lief die Strasse hoch und verlor auf einen Schlag den Rest meiner Eigenschaften. Was bleibt? Unglaubliche Panik, eine unendliche Verlorenheit über den Tod und auch den nächsten und überhaupt alle Gezeiten, eine Verblassung - ich konnte nicht mehr denken, denn um zu denken, muss man "Ich" sein. Vor mir sah ich mich - halt mal, was?!
Ich sah allen Ernstes mich selbst vor mir, wie ich auf mich zukomme - und wusssssch, da war ich wieder in mir, konnte für einen kurzen Moment meine manisch getriebenen Gedanken verfolgen, die sich noch immer überschlugen, und konnte die Stimmen hören, die seelenlos die Einbildung schafften, in einer grossen Halle zu sein. Und ehe ich schreien oder weinen konne, nach Hilfe rufen konnte, war ich durch mich durch und lief die Strasse runter. Ich sah mich hinter mir verschwinden, ohne umzudrehen.
Wieder waren alle Gedanken weggefegt und verloren. Doch die Gefühle waren da, und sie waren schlimmer als je zuvor.

Wieder sah ich mich vor mir auf mich zukommend. Das gleiche Spiel, immer und immer wieder. Es schien nicht aufhören zu wollen. Zeit war nicht mehr relevant, ja, nicht einmal mehr vorhanden. Hier bleiben meine Erinnerungen in einem Schleier hängen, alles ist sehr verschwommen...ich weiss nur noch, dass es keineswegs besser wurde.

Schlussendlich erreichten wir das Spital. Martin fragte mich, was ich tun will. Das Spital war in diesem Moment die einzige Aushilfe aus diesem schrecklichen Drama. Meine Füsse liefen mir davon, ich fiel, stand wieder auf, wusste nicht wo oben und unten ist und fühlte nur noch den tiefen Abgrund. Da ich schon mal Erfahrungen mit dem Spital auf einem schrägen (oder besser gesagt schlimmen) Trip hatte, damals einfach auf Pilzen, wollte ich auf keinen Fall wieder in der Notfallaufnahme landen. Mal ganz abgesehen davon hat mich der Spass damals auch satte 1500.- Franken gekostet (rund 1200-1300 Euro).
Ich riss mich also zusammen, so gut es halt gieng und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Unterdessen war ich ein Wrack, weinte, rotzte, kratzte förmlich ab.
Ich wusste, wenn ich so reingehen würde, liessen die mich nicht mehr raus. Aber ich tat es trotzdem. Warum ich in diesem Moment nicht einfach Martin reingeschickt hatte, ist mir bis heute ein unbekanntes Rätzel. Vielleicht war dies ein verzweifelter Versuch, mich selbst wieder zu finden, irdisch zu kommunizieren. Martin hat mir dabei sehr geholfen, doch mit der Zeit war er ein so fester Bestandteil meiner durchknallenden Fantasiewelt geworden, dass auch er mir nicht mehr wirklich irdisch vorkam.
Also betrat ich die Notaufnahme und ging gerade auf die Anmeldekabine zu. Hinter dem Fenster sass eine ältere Dame. Von Anfang an war sie mir unsympathisch, ein Bild der Verrotung. "Ja?" sagst sie in barschem Ton. "I-i-ich.....ääh.....draussen.....ein Kolleg, er hat zu viel geraucht.....haben sie Medis?"
"Wo ist denn ihr Kolleg? Und was ist genau das Problem?"
"Äääh.....er weint...und ihm gehts nicht gut!"
"Also wir können Ihnen nicht einfach Medizin rausgeben, ohne den Patient in die Station aufzunehmen. Bringen sie ihn doch her, und ich hole ein Arzt der ihn untersucht."
Das war zu viel. Ich wurde in Sekundenschnelle unglaublich nervös und fieng an zu zittern wie ein Wackelpudding. Damit wars vorbei mit meinen Beinen, ich stolperte über meine eigenen Füsse, denn da waren plötzlich viel mehr als zwei davon. Ich fiel - und verlor mein letztes Bisschen Bewusstseinskraft. Ohnmächtig wie ich war, realisierte ich erst draussen, dass unterdessen Martin reinkam, mich an den Beinen packte und rausschliff. Die Dame hinter dem Glas rufte uns noch lange nach, kam aus ihrem Kabinchen und fuchtelte wild mit den Händen herum. "Alles ok, das kann passieren, das ist normal! Völlig normal!!!", schreit Martin verzweifelt. Gestützt laufe ich die Strasse runter, kotze ins Gebüsch und setze mich hin. Irgendwie hab ich mich wieder ein bisschen gefunden, nun war mir vorwiegend übel geworden. Ich übergab mich ein weiteres Mal und stand dann wieder auf. Die Heimreise (rund 20-25 Min zu Fuss) war mühsam und anstrengend, ganz im Gegensatz zur Hinreise, wo ich getrieben von Panik fast rannte.
Nun war ich so erschöpft wie schon lange nicht mehr. Angekommen in Martin’s Domizil, lag ich in sein Bett und schlief sogleich ein. Am nächsten Morgen musste ich mich erst mal für längere Zeit sammeln. Ich fühlte mich fremd, sonst eigendlich ganz gut.
Fazit: Seit dieser Nacht ist mir die Verarbeitung von Onkel’s Tod um vielfaches leichter gefallen. Ich konnte mir akzeptieren; Akzeptanz ist der erste Schritt zur Verarbeitung.

Cannabis wird vielmals grob unterschätzt - Es kann grosse Narben reissen, kann aber auch genau das Gegenteil bewirken - Es kann heilend sein. Das war hier wohl der Fall - Doch wars alles andere als angenehm.