Tripbericht lesen

Übersicht:

Titel:Rausch und beschädigtes Leben. Kein Spiel
Drogen:Research Chemical
Autor:Stiller
Datum:08.02.2014 18:59
Set:stark schwankende Stimmung in letzter Zeit, am Abend selbst neutral
Setting:meine Wohung
Nützlichkeit:8,59 von 10 möglichen   (29 Stimmen abgegeben)

Bericht:

In meinem letzten Tripbericht schrieb ich über meinen angenehmen und interessanten ersten AL-LAD Rausch. In dessen Folge hatte ich in den vergangenen Monaten wieder mit verschiedenen psychedelischen Substanzen experimentiert. Ein Trip mit 30 mg 4 HO-MET bescherte mir die intensivste Erfahrung, im Guten wie im Schlechten. Faszination und Verzweiflung, grenzenloses Glück und unendliche Abgründe lagen in diesem Rausch eng beisammen. Diese Erfahrung will ich versuchen, beredt werden zu lassen. Über die Unzulänglichkeit eines jeden Tripberichts wurde schon viel Richtiges gesagt. In einem Bericht festzuhalten, was sich der begrifflichen Fixierung entzieht, ist nicht möglich. Unabhängig vom Vermögen des Autors kann das Erlebte nicht wirklich eingefangen und wiedergegeben werden. Guten Berichten gelingt es dennoch, das Fremde so zu beschreiben, als wäre es vertraut. Ich bin mir bewusst, dass sicherlich einige Leser mit dem Folgenden wenig werden anfangen können. Mancher wird als selbstgefälliges Gejammer betrachten, was als Verarbeitung und Einblick in mein Rauscherlebnis intendiert war. Der Rausch war geprägt durch mein Mindset, das vielen wahrscheinlich nicht zusagt. Meine Sicht auf die Realität ist, zumal in der letzten Zeit, eine eher schwermütige, die dazu neigt – überspitzt gesprochen – die Gesellschaft als realisierte Dystopie zu betrachten. Warum ich unter diesen Bedingungen trotzdem psychedelische Drogen nehme? Aus verschiedenen Gründen, nicht der unwichtigste - neben dem schlichten Bedürfnis nach Rausch - ist der Gedanke, durch bewusstseinserweiternde Drogen die Deformierung des Bewusstseins durch das falsche Ganze eventuell zeitweise suspendieren zu können. Naiv und dumm? Sicher. Selbstbetrug, der dem Rauschbedürfnis höhere Weihen verleihen möchte? Mag sein. Ich find es trotzdem interessant und hab dank der Drogen Erlebnisse haben dürfen, die mir ohne sie verwehrt geblieben wären. Oder kurz mit Baudelaire, dem rauscherfahrenen und unglücklichen Dichter: „Schenk ein dein Gift, dass es uns Kräfte spende!/Zu neuem Funde wollen wir ins Reich/Des Unbekannten tauchen bis zum Ende,/Ob Himmel oder Hölle gilt uns gleich!“

Genug der einführenden Worte und zum Wesentlichen:
Um 21.40 nahm ich das 4 HO-MET ein. Bereits nach 10 Minuten kribbelten mein Gesicht und die Arme, was weder unangenehm noch sonderlich behaglich war. Nochmals 10 Minuten später begannen die ersten Optics ein. Bis 22.20, als schneller als erwartet der Rausch sich in ungeahnte Sphären steigerte, habe ich einige Notizen gemacht. Der Rausch setzte schnell ein und ich verstieg mich immer weiter in traurige Gedanken, die ja auch eine kathartische Wirkung entfalten können und die ich von vornherein in Kauf zunehmen bereit war. Im Grunde drehten sich meine Sorgen darum, nach dem Studium meinen Weg, den ich mit wackeligen Beinen suche, nicht zu finden. Wäre ein geglücktes Bonmot am trunkenen Kneipentisch zu später Stunde die Währung dieser Welt, ginge es mit eventuell gut, dachte ich, doch leider hilft der kneipentaugliche Aphorismus wenig, um klar zu kommen. So lag ich auf meiner Couch und zu den unglücklichen Gedanken kamen körperliche Überdosierungssymptome hinzu, die zum Glück schnell wieder abklangen. Aber während ich so schwitzend und mit Schmerzen auf der Couch lag, war ich von mir selbst enttäuscht. Ich sah mich als jemanden, der mit der Realität nicht zurechtkommt, sich in die Drogen flüchtet und nun als eine kümmerliche Gestalt stöhnend und deprimiert in seinem Zimmer liegt, während um ihn herum ein buntes Feuerwerk stattfindet. Die Bierflaschen, gerade noch als solche zu erkennen, erschienen mir als Protokoll meines Scheiterns, die Bong als Instrument, das die Begleitmusik zu meinem Untergang spielt.

Um auf andere Gedanken zu kommen, stand ich auf und setzte mich an mein Fenster und beobachtete die abendlichen Straßen meiner Nachbarschaft. Doch auch hier gelang es mir nicht, aus dem Gestrüpp negativer Gedanken herauszukommen. Die Menschen auf den Straßen und in den gegenüberliegenden Wohnungen waren mir auf einer essentiellen Ebene fremd, ich fühlte mich in dieser Welt fremd, fremder noch als sonst. Kann es sein, fragte ich mich, dass vielleicht viele wirklich und ehrlich mit dem eigenen Leben und mit der Welt zufrieden sind? So unverständlich mir das wäre, so unverständlich wird anderen meine Realitätswahrnehmung sein und keine Seite wird der anderen ihren state of mind mit Argumenten plausibel machen können. Es besteht ein Abgrund zwischen den verschiedenen Zugängen zu Realität, der durch keine Brücke zu überwinden ist. Was dem einen als gutes Leben erscheint, ist für den anderen bloß eine fortgesetzte Katastrophe, in der man sich höchstens resigniert einrichten kann. Während einige im Biedersinn tatsächlich ihre Heimat sehen können, sind anderen die engen Mauern des bürgerlichen Lebens nichts als Pein. War Sisyphos ein glücklicher Mensch? Lass den Stein doch liegen! Danaiden, kanntet ihr Zufriedenheit? Kann das Hamsterrad Erfüllung sein? Für mich war es in diesem Moment ein krasser und erschütternder Gedanke, dass zu radikaler Gesellschaftskritik vielleicht tatsächlich kein Anlass besteht und ich nur meinen eigenen Fall auf die Gesellschaft projiziere. Was, wenn wir wirklich im Großen und Ganzen in guten Verhältnissen leben und das einzige, das in Ordnung gebracht werden muss, meine Psyche ist? Kann es sein, dass jeder Gedanke, den ich bisher in meinem Leben gedacht hatte, Lüge, Ideologie und Beruhigungsmittel war? In diesem Moment fühlte ich mich an 1984 erinnert, wo Winston am Ende seine Opposition gegen die Gesellschaft aufgibt und sein Einverständnis mit dem Allgemeinen erklärt. War ich dabei, auch zu kapitulieren und die Vernunft des Ganzen anzuerkennen, während es doch so unmenschlich ist wie je? Diese und ähnliche Gedanken waren drauf und dran mich fertig zu machen. Gedanken, die im nüchternen Zustand vielleicht ein leichtes Unbehagen auslösen würden, das versteinerte Selbst aber eigentlich kaum noch zu rühren in der Lage sind, sie schnürten mir unter dem Einfluss der Droge die Kehle zu. 4 HO-MET, oh du süßes Gift! Noch in dem Augenblick, in dem du mich in eine Krise stürzt, bist du mir auf eigentümliche Art behaglich. Denn in dem Leid spüre ich: Ich lebe. Das stumme Leiden - narkotisiert durch das alltägliche Dasein, das mehr Schlafwandeln ähnelt als einem wachen Leben, das als das eigene begriffen werden kann - findet hier zu seinem angemessen Ausdruck: der schreienden Verzweiflung der unglücklichen Kreatur. Mir wurde jetzt schon, noch bevor der Rausch sich voll entfaltet hatte, klar, es besteht die reele Gefahr zu tief in den Kaninchenbau vorzudringen, so dass man zum Ausgang im schlimmsten Fall nicht mehr zurückfindet. Ich sitze da, tue nichts und bin trotzdem überfordert, kenn ich diesen Zustand nicht auch nüchtern? Als ich mich im Spiegel sah - die Augen glanzlos und unsicher suchend, ohne zu wissen was – schaute mich ein Gesicht an, dessen Züge härter waren als mir lieb war. Sie waren hart und doch verletzlich. Als ich mich so im Spiegel betrachtete, fiel mir das Wort eines französischen Philosophen ein, demzufolge das Antlitz der Menschheit im Verschwinden begriffen ist, wie ein Gesicht, das am Meeresufer in den Sand gezeichnet ist und das, noch bevor es deutlich zu erkennen ist, von einer Welle weggespült wird. Dieses Bild löste sich für mich von seiner ursprünglichen Bedeutung und ich verstand es als Schreckensvision meiner eigenen Zukunft. Auch mein individuelles Gesicht, mein Charakter, meine Persönlichkeit, die ich doch gerade erst auszubilden begonnen hatte, sah ich bedroht durch die unweigerliche Integration in den bevorstehenden Berufsalltag und durch die Anpassung an dessen Erfordernisse. In dieser Anpassung, so meine Sorge, wird das Besondere zum bloßen Vollstrecker des Allgemeinen erniedrigt und die beschädigten Residuen des eigenen Selbst von der Welle der Imperative der Ökonomie weggewischt – wie ein in den Sand gezeichnetes Gesicht, dessen Individualität noch gar nicht zu erkennen war. Wie gelingt es, drängte sich mir als wichtigste Frage auf, nicht so zu werden, wie die Menschen aus der Generation meiner Eltern, die mit lichtem Haar und borniertem Geist stur ihre Pflicht erfüllen und die schon lange aufgehört haben von etwas anderem zu träumen als der täglichen Tretmühle. Sie haben doch auch geträumt, oder? Waren meine psychedelischen Reisen ein letztes Aufflammen der jugendlichen Rebellion vor der Einpassung in die Verhältnisse. Flammt die Kerze nochmal hell auf, bevor sie erlischt? Gab ich meiner Rationalität mit 4 HO-MET et al. ein Schlafmittel, bevor sie sich ganz der bestehenden Form der Vernunft, die nicht die meine ist, gleichmacht und dabei seine Individualität verliert? Viele Fragen, keine Antworten. Es begann mir immer schwerer zu fallen, etwas zu notieren. Ich wollte noch Gedanken aufschreiben und musste mich zwingen, ein paar Wörter auf das Papier zu kritzeln, die zum Teil für mich selbst unleserlich geworden sind. In diesem selbstauferlegten Zwang, den ich beim Schreiben empfand, meinte ich die – unaufhebbare? – Verschwisterung von Zivilisation einerseits und Züchtigung und Zähmung andererseits erblicken zu können.

Das bisher geschilderte war bloßes Vorspiel. Ich spürte, dass sich ein sehr starker Rausch anbahnte. Ich wusste nicht, ob ich wirklich bereit war, so mächtig sah das, was da auf mich zuraste, aus. Also sagte ich mir: mach dich bereit, öffne dich für die Erfahrung, verrenne dich nicht in negativen Gedankengängen, dazu neigst eh viel zu sehr in letzter Zeit, du bist dabei aus der Matrix aufzutauchen. Dieser Aufbruch ins Ungewisse ist doch genau, was du wolltest. Alles, wirklich alles hatte seine Selbstverständlichkeit verloren. Der Rausch riss mich von meinen Zweifeln und Sorgen fort und mir gelang es zu schreien: Ja, ich will diesen Wahn! Ich stellte Goa-Musik auf volle Lautstärke (über Funkkopfhörer, um nicht das Aufhorchen der Nachbarn zu erwecken) und setzte mich in die Mitte meines Raumes, oder besser: in die Mitte des Lichtkegels in den sich mein Zimmer verwandelt hatte. Gegen 22.30 begann der Wahnsinn, der sich mir zunächst als ein süßer Nektar darbot. Zwischen Wahn und Glück besteht ein Zusammenhang, der aber ein schmaler Grad ist. Zunächst gelang es mir auf der sonnigen Seite dieses Grades zu wandeln. Im Wahn, im Rausch, daran bestand für mich kein Zweifel mehr, kann man Dinge erkennen, für die einem sonst der Blick verstellt ist. Dem sich Entziehenden und dem Unfassbaren des Daseins, das doch anwesend ist, meint man in geglückten Momenten des Rausches ein paar Zentimeter näher zu sein, ich war mir sicher große Schritte in seine Richtung getan zu haben. Aus dem Sumpf der drückenden Existenz riss ich mich heraus. Von dem Unwohlsein, das schwer auf dem Leben liegt, flog ich davon. Verdammt, fühlte sich das krass an mit dem Licht zu verschmelzen und unterwegs zum Absoluten zu sein. Mein Zimmer war nicht mehr da, nur noch goldenes, helles Strahlen und tanzende Farben. Die Halluzinationen stellten alle meine bisherigen Halluzinationen in den Schatten und waren doch nur Beiwerk. Die Heiligkeit des Lebens konnte ich auf einer ganz neuen, nie empfundenen Ebene geistig und sinnlich spüren. Seelig verschmolzen geistige und körperliche Erkenntnis. Um mir von Fortuna zu singen, brauchte der Rausch keine Begriffe, keine Worte. So muss das Opium der Götter wirken, mir egal wenn es Selbstbetrug ist, wenn der sich so süß anfühlt. Ich fühlte mich getaucht in einen zauberhaften, unendlichen Aether, dessen Existenz vielen Menschen verborgen ist. Die sonst eingeschnürte Seele konnte in der Grenzenlosigkeit frei atmen. Die Gedanken, die der Normierung Entflohenen, ließ ich unkontrolliert schweifen und meinte gerade in diesem Kontrollverlust, in der frei gewählten Selbstaufgabe und in der Hingabe an ein Anderes und Fremdes, das zugleich nah und vertraut war, ganz bei mir selbst zu sein. In diesem Sinne war der Rausch die Feier dessen, wovor das bürgerliche Subjekt Angst hat. Gerade daran, nicht alles kontrollieren zu können, weder alles berechnen und beherrschen zu können noch es zu wollen, hat der Rausch sein Glück. Hier findet die Rationalität ihren wohlverdienten Schlaf, der im geglückten Fall nicht von den ungeheuren und destruktiven Alben des Wahns bevölkert ist.

Der Rausch steigerte sich noch und begab sich in Gefilde, in denen ich mich nicht mehr zurechtfand. Die Geborgenheit, die der Rausch eben noch geboten hatte, war zerschlagen. Der Flug in nicht gekannten Höhen, der Kopflose, endete allmählich und ich stürzte in ein undurchschaubares, düsteres Labyrinth. In einem Moment meinte ich hier noch den Faden der Ariadne in den Händen zu halten, war mir sich, ich halte ihn tatsächlich. Im nächsten erschrak ich. Denn am Ende des Labyrinths, durch dessen Gestrüpp ich mich hastig, beinahe in Panik einige Zeit durchschlug, erblickte ich ein großes, leeres Chaos. Es gab keine tieferen Ebenen in mir, die im Unterbewusstsein verschüttet waren und durch den Rausch zugänglich wurden, auch keine größeren Erkenntnisse. Auf dem Höhepunkt des Rausches erwartete mich bloß psychotischer Wahn. Ich war konfrontiert mit einer Derealisation, die ich in dieser Form noch nicht kannte. Sie hatte nichts mehr mit der in Glück versunkenen Selbstvergessenheit gemein, die ich vorher erlebt hatte. Stattdessen war die Derealisation begleitet von der ernsten Sorge, meinen Verstand verloren zu haben. Ich wusste zunächst nicht mehr, dass ich Drogen genommen hatte, hatte dann das Gefühl mein ganzes bisheriges Leben nur erträumt zu haben und frage mich, gibt es so etwas wie Drogen, gibt es mich, gibt es die Wirklichkeit oder ist das alles Einbildung. Ich war kurz davor, mitten in der Nacht, einen Freund anzurufen oder bei einem Nachbarn, den ich kaum kenne, zu klingeln, um zu fragen, ob es ihn, ob es mich, ob es die Welt wirklich gibt, ob das Leben nicht bloß Einbildung ist. Das war keine interessante Erfahrung mehr, die die eine oder andere Erkenntnis abwirft, sondern bloß der Verlust meines Verstandes. Fuck, dachte ich, bin ich verrückt geworden, Fuck, Fuck, Fuck, hab ich Drogen genommen, krass, nehme ich wirklich Drogen? Was sind Drogen, gibt es mich, muss ich in die Klapse, falls es mich, die Realität und eine Klapse gibt? Die Erinnerungen an die restliche Nacht sind dunkel, jedenfalls lag ich noch einige Weile panisch auf meiner Couch. Ich hatte mich wirklich ordentlich verlaufen in Gängen ohne Licht oder anderen Möglichkeiten der Orientierung. Nur Bilder der Verzweiflung und des Schreckens schmückten die Mauern meines Selbst, die ich kurz vorher noch glücklich zu sprengen vermocht hatte. Es dauerte, bis ich wieder Boden unter den Füßen spürte und mir ganz sicher war, dass ich gerade auf Drogen am trippen gewesen bin und nicht den Verstand verloren hatte.

Das ganze war insgesamt sonnig und schattig in einem. So unverständlich es sein mag, möchte ich nichts dieser Erfahrung missen. Noch das Dunkle an dem Rausch beeindruckt mich, zumindest im Rückblick betrachtet. Gleich der Fliege, die sich von der Flamme angezogen fühlt, die ihre Flügel versengt, geht für mich eine Faszination auch von dem Schädlichen aus, als das ich 4 HO-MET über weite Strecken des Tripps kennengelernt habe. Die Schematisierung und Standardisierung von Form und Inhalt des Denkens durch bewusstseinserweiternde Drogen abzustreifen ist mir trotz der erfahrenen Schattenseiten verlockend, wohlwissend dass das auch ohne Drogen sehr gut möglich ist und meiner Meinung nach hauptsächlich ohne Drogen vollbracht werden sollte. Der Rausch führt einen aber auf sehenswerte Quer- und Seitenstraßen der Erkenntnis, die allerdings, so scheint mir, nicht zu oft befahren werden sollten. Zum Schluss nochmal Baudelaire, weil es passt: „Ob schwarze Nacht, ob roter Morgenrausch – heil allen!/Kein Fleisch an mir, das nicht in diesem Schrei erstübe;/Geliebter Teufel, laß mich vor dir niederfallen!“