Tripbericht lesen

Übersicht:

Titel:Die Zeit, die Zeit; oder: Wie Pilze Seele und Körper spalten
Drogen:Mischkonsum von Psilocybinhaltige Pilze und Cannabis (Reihenfolge vom Autor festgelegt)
Autor:Nyokki
Datum:22.11.2015 13:37
Set:aufgeregt, leichte Kopfschmerzen, viele Gedanken im Voraus gemacht, neugierig
Setting:Im eigenen Zuhause, Spaziergang zum See; mit bestem Freund und Tripsitter
Nützlichkeit:8,86 von 10 möglichen   (21 Stimmen abgegeben)

Bericht:

Zwei Monate sind nun vergangen, seitdem ich zusammen mit meinem besten Freund auf Pilzen (Psilocybe cubensis) unterwegs war. Viele Wochen lang habe ich mich nicht getraut, mich intensiv und in Ruhe mit dem auseinander zu setzen, was im September diesen Jahres mit mir geschehen ist. Jetzt endlich habe ich das Gefühl, einen klaren Kopf zu haben und möchte das Erlebte mit euch teilen.

Hintergrund

Ich bin 23 Jahre alt und habe vor drei Jahren das erste Mal an einem Joint gezogen. Damals habe ich meinen inzwischen besten Freund, ich nenne ihn hier mal Jonas, kennen gelernt. Durch ihn lernte ich die Welt der Drogen kennen, und zu dem gelegentlichen (inzwischen täglichen) Cannabis-Konsum kam nach einem Jahr auch der gelegentliche Ecstasy-Konsum hinzu. Pilze hatten mich auch früher schon fasziniert, jedoch hatte ich deren Konsum nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Grundsätzlich bin ich Drogen gegenüber sehr vorsichtig. Die Vorstellung, hängen zu bleiben, war der Grund. Nichts Schlimmeres konnte ich mir vorstellen, als wegen Drogen einen Knacks zu bekommen und sein Leben wegen so etwas wegzuschmeißen. Ein Jahr lang habe ich darüber nachgedacht, bevor ich das erste Mal Ecstasy nahm. Nach einem halben Jahr nahmen Jonas und ich 5-MeO-MiPT ein und es zeigte sich, dass die Angst vor dem Hängenbleiben während des (mittelmäßig schönen) Trips immer wieder von mir Besitz ergriffen hat. Ein Jahr später hatte ich das Gefühl, mal wieder für etwas Neues bereit zu sein und so kam die Idee eines Pilztrips wieder auf. Im Nachhinein betrachtet hatte ich mich womöglich etwas zu sehr in das Thema Hängenbleiben reingesteigert, da ich viele Berichte las und deswegen das Risiko als immer stärker wahrnahm.

Mein Wesen

Generell würden mich andere Leute als humorvolle, aufmerksame Person bezeichnen. Jonas ist der Mensch, dem in den drei Jahren Freundschaft tiefe Einblicke in meinen Charakter gewährt wurden, und so würde ich mich mit seinen Worten weiterhin als sensible, liebenswürdige Denkerin beschreiben. Vieles, was in dieser Welt vor sich geht, entzieht sich meinem Verständnis und so tut es mir oft weh, das Verderben in der Welt betrachten und die Ignoranz der Menschen gegenüber einander tagtäglich beobachten zu müssen. Seit meinen ersten Malen Ecstasy bin ich (wieder) stark mit der Natur verbunden und sehe sie als das Wichtigste und Grundlegenste allen irdischen Seins an. Könnte ich die Welt verändern, so würde ich allen Menschen dieses Bewusstsein ins Herz legen und sie so von ihren wahnwitzigen gesellschaftlichen Konstrukten wie Politik und Macht, Schönheitsidealen und der Zerstörung unserer wundervollen Umwelt abbringen wollen. Bezogen auf meinen Alltag bin ich misstrauisch und unsicher und denke viel über mich und meine Wirkung auf andere nach. Dabei bewundere ich stets diejenigen, die meiner Meinung nach zu 100 Prozent in die Gesellschaft integriert sind und denen Kommunikation, Freunde finden und Selbstidentifikation leichter fallen als mir (das alles war jetzt vielleicht ein bisschen out of topic, aber ich finde es immer wieder schön, wenn andere Foren-Mitglieder so etwas schreiben und ich wollte hiermit ausdrücken, dass ich auch jemand "von dieser Sorte" bin).

Der Trip

Set und Setting


Obwohl ich Trips eigentlich immer am meisten genoss, wenn ich mit Jonas alleine war, wollte ich dieses Mal sicherheitshalber einen Tripsitter dabei haben. Moritz, ein Freund von Jonas, erklärte ich dazu bereit und kam am Nachmittag zu uns nach Hause. Moritz war nie jemand, dem ich großartig vertraut hatte, den ich nach einigen Begegnungen jedoch "eigentlich ganz sympathisch" fand. Im Nachhinein würde ich sagen, dass der Auslöser zu diesem Horrortrip seine Anwesenheit war - aber dazu später. Das Setting war perfekt, da ich mich in meiner vertrauten Umgebung befand und später zu dem See gelaufen bin, den ich schon seit meiner Kindheit kenne.

Verlauf des Trips

Um 13:00 Uhr nahmen wir die Pilze ein, ich 1,5g und Jonas 1,6g. Nach etwa 45 Minuten setzten bei mir die ersten visuellen Veränderungen ein. Diese kannte ich schon von meiner einmaligen Erfahrung mit 5-MeO-MiPT. Bald entschieden wir uns, zu dem nahegelegenen See zu laufen. Auf dem Weg dorthin wurden Jonas und ich immer vergnügter und als wir schließlich am See ankamen, konnten wir uns vor Lachen kaum noch halten. Die Gänse watschelten mit ihren absurden Plüschköpfen an uns vorbei, während wir völlig unbeholfen über den Sandstrand staksten. Ich war nur noch mit Naseputzen und Tränen wegwischen beschäftigt, so sehr musste ich lachen. Wir ließen uns an einer Bank am Wasser nieder und während Moritz ein Buch las, lachten Jonas und ich hysterisch weiter (ich konnte nicht mal mehr trinken und spuckte das Wasser stattdessen fast auf Jonas, während ich lachte). Nach einiger Zeit ließ der Lach-Wahn langsam nach und Jonas und Moritz begannen sich zu unterhalten. Wir entschieden uns für einen Joint - und hier begann es. Nach einem einzigen Zug kippte alles weg und der bad trip begann.

Der bad trip

Neben mir hörte ich das Gespräch von Jonas und Moritz. Ich beobachtete die Wolken am Himmel und die Gänse auf dem Wasser und hing meinen Gedanken nach. Die immer wiederkehrende Frage war: "Wie viel Uhr ist es?" und so stellte ich sie an Moritz. Er meinte, es sei 15:30 Uhr und die Wirkung der Pilze müsse schon langsam wieder aufhören - das war der Moment, in dem mir vor Schock und Angst alles zu engleiten drohte. "Halb vier? Was bedeutet halb vier und wann habe ich eigentlich die Pilze genommen?". Immer wieder versuchte ich mich zu konzentrieren und die Zeit zwischen Einnahme und Jetzt auszurechnen. Es sollte mir einfach nicht gelingen, stattdessen wurde ich in einen Gedankenstrudel gezogen, der mich immer weiter von der Realität entfernte. Mir entglitt das Verständnis für die Zeit, aber anstatt mich mitzuteilen, distanzierte ich mich von Moritz und Jonas und hatte Angst, etwas zu sagen. Die Wirkung des Psilocybin kam mit solch einer Wucht und ich konnte einfach nicht glauben, dass Jonas schon wieder zurückkam. Es war mir peinlich, dass ich scheinbar so "überreagierte" und deshalb verfiel ich in Schweigen (hier sehe ich den großen Fehler: Jonas und ich hätten zu zweit trippen sollen, denn dann hätte ich mich sofort mitgeteilt und es wäre nicht zu diesem psychischen Zusammenbruch gekommen). Als wir uns auf den Rückweg machten, hatte sich ein Gedanke in mir manifestiert: Während Jonas schon längst wieder nüchtern war, war ich in dem Trip gefangen und nicht mehr zurückgekommen. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt noch verstanden, was Zeit bedeutet, so hätte ich mich vielleicht selbst vom Gegenteil überzeugen können. Allerdings hatte ich lediglich Moritz' Aussage als Orientierungspunkt und so verlor ich mich langsam aber sicher in dieser Gewissheit. Daheim angekommen, setzten sich Moritz und Jonas ins Wohnzimmer und redeten weiter. Währenddessen lief ich in mein Zimmer und stellte mich ans Fenster - völlig überfordert, den Tränen nahe und verloren. An dieser Stelle möchte ich einfügen, was ich einen Tag nach dem Trip aufgeschrieben habe:

Die Zeit, die Zeit… Wie lange dauert ein Trip? Ich denke Stunden, Minuten, Tage und weiß nicht einmal, was diese Wörter bedeuten. Ich stehe vor dem Fenster, sehe in die Welt dort draußen. Menschen ziehen vorbei, die Blätter wehen im Wind der Zeit. Mein Körper steht in Verbindung zu dieser Welt, während sich das Ich, meine Seele, an einem anderen Ort befindet. Kein Ort, sondern eine zeitlose Parallelität zu dem, was die Menschen die Realität nennen. Angst und Unsicherheit kommen in mir auf, denn ich erinnere mich daran, dass es ein Leben vor dem Trip gab. In diesem Leben konnte ich lachen, weinen und genießen, ohne dass es mir falsch vorkam oder unecht. Im Zimmer neben mir höre ich die Stimmen des Tripsitters und meines Mitreisenden. Während die Wirkung des Psilocybin bei ihm wieder aufgehört hat, bleibe ich zurück im Nirgendwo.

Die Zeit, die Zeit… Hat das Leben schon lange ohne mich weitergemacht? Seit wann stehe ich an diesem Fenster? Warum konnte ich nicht zurückkommen, als es noch nicht zu spät war? Sehnsucht treibt mich in die Enge und die Unausweichlichkeit der Trennung von Seele und Körper gibt mir das Gefühl, verrückt zu werden. Die Idee des Hängenbleibens nimmt immer mehr Platz in meinen Gedanken ein. Zwar weiß ich, dass ich irgendwie weitermachen könnte, doch die Distanz zu dem Leben, das ich einmal hatte, ist zu groß. Ich erinnere mich an meinen Partner, an meine Mutter und an meinen besten Freund und frage mich, ob ich mein früheres Leben denn wirklich weiterspielen muss. Was bedeutet schon Freundschaft, Liebe und Familie, wenn man sich von allem losgelöst hat, sogar von der Realität, von der man lange dachte, es wäre die einzige.

Die Zeit, die Zeit… Mein Blick schweift ab, die Uhr auf meinem Schreibtisch erregt meine Aufmerksamkeit. Der Sekundenzeiger trifft den Minutenzeiger, streicht daran vorbei, wird schneller. Alles verschwimmt vor meinen Augen, während ich verzweifelt versuche, die Erinnerung an die Bedeutung von Zeit zu finden. Irgendwo weiß ich, dass ich mich ablenken sollte, dass ich mich nicht von diesem Thema vereinnahmen lassen sollte. Doch wenn ich nicht jetzt versuchte, die Zeit wieder kontrollieren zu können, sie verstehen zu können, würde ich mit ihr davontreiben und Jahre würden vergehen, ohne dass ich es wusste. Das Leben würde dann weitergehen, ohne dass ich mit ihm gehen konnte. Ich fange an zu weinen. Überrascht erinnere ich mich daran, dass Weinen eine Reaktion des Körpers auf Trauer und Hilflosigkeit ist. Ich spüre die heißen Tränen auf den Wangen und sehe die Reaktion meiner Freunde, die mich in meinem Zimmer entdecken und mir gut zureden. Ihre Augen sind auf meine gerichtet, doch blicken sie nur auf die Augäpfel, während ihnen die Seele, die wirklich mit ihnen kommunizieren will, entgeht. Ich versuche zu sprechen, den Kontakt zu diesen anderen Körpern aufzunehmen, die ich irgendwann mal als Freunde und Bekannte begriffen habe...

Und plötzlich fühle ich mich fast eins mit meiner Körperhülle. Das Gefühl, die Realität wieder als einzige Existenz auffassen zu können, wird stärker. Vielleicht ist es doch noch nicht zu spät? Ich bin mir sicher, die Zeit wieder begreifen zu können als etwas, das der Existenz einen Rahmen gibt und mich mit meinem Gegenüber auf einer Ebene vereint. Ich nehme all meine Kraft zusammen und versuche, die richtigen Worte zu finden, die meinen Zustand beschreiben. Während ich spreche, merke ich, dass das Gefühl der Sicherheit langsam schwindet. Es fällt mir einfach zu schwer, diesen Mund zu bewegen, ihre Worte mit diesen Ohren zu hören, mit dieser Hand die Hand der anderen zu berühren. Langsam entferne ich mich wieder und falle in die Zeitlosigkeit des Seins zurück. Das Gesprochene rauscht an mir vorbei, ohne dass die Bedeutung für mich noch irgendeinen Wert hat. Was nützt es, auf dieser Ebene der Realität in Kontakt zu stehen? Sind die anderen Menschen nicht auch nur gefangene Seelen? Warum nehmen sie die Anstrengung auf sich, um durch die Körper in dieser „Realität“ zu agieren? Kommunikation ist zwecklos. Meine Lippen sind schwer und so entscheide ich mich zu schweigen.

Die Zeit, die Zeit… Ich weiß, dass ich den Moment verpasst hatte, der mich wieder in das alte Leben gebracht hätte. Ich war nie wieder zurückgekehrt. Zwei Dinge werden mir gleichzeitig bewusst: Die Welt, in der ich mich befinde, ist jetzt meine Welt, meine Wirklichkeit. In der Realität, die mein früheres Leben ausgemacht hat, ist sie jedoch die Welt der Verrückten. Ich denke an Bekannte, die sich durch Drogen verändert haben und bin mir sicher, dass ich nun in die gleiche Welt eingetaucht war. Plötzlich verstehe ich, was das Verrücktsein wirklich bedeutet. Mitleid mit mir selbst und all den anderen verlorenen Seelen macht sich in mir breit. Wieso verlieren manche Seelen die Verbindung zu diesem Leben, treiben im Nirgendwo, während ihre Körper als verrückt deklariert und weggesperrt werden? Welch unglaubliche Trauer werde ich als Seele nun durchstehen müssen, wie oft klägliche Versuche unternehmen, Hilferufe an die Welt dort draußen zu schicken?

Nachdem ich es nicht schaffe, mich zu beruhigen, hat mein Freund die Idee, mir eine Benzo zu geben, die wir extra für den worst case besorgt hatten. Obwohl er es mit diesem Vorschlag nur gut meint, packt mich das nackte Ensetzen, denn die Erkenntnis, dass ich bereits mit Tabletten ruhig gestellt werde, gibt mir wieder das Gefühl, nicht zu wissen, seit wann ich bereits nicht mehr am Leben teilnehme. Da es mir als Seele gleichgültig ist, was mit diesem Körper geschieht, willige ich letztlich doch ein und schlucke die Tablette. Nach einiger Zeit höre ich endlich aufhören zu weinen und beruhige mich langsam. In immer kürzeren Abständen kommt das Verständnis über die zeitliche Dimension zurück. Sekunden- und Minutenzeiger werden langsamer und geben eine für mich verständliche Einheit wieder. Weiterhin kommt mir alles fremd vor und ich nehme nur mithilfe dieses Körpers an der Realität teil. Ich hülle mich in Schweigen, starre Wände an, kann mich kaum bewegen. Ich muss mich ausruhen und wenigstens weiß ich wieder, dass ich dadurch nicht Jahre verpasse.


Die Zeit danach

Auch zwei Monate später erzählt Jonas mir manchmal, wie schrecklich mein Blick während des Trips war. Nie hatte er meine Augen so leer und mich so unglaublich traurig gesehen. Ich denke, dass man normalerweise nie in eine solche Situation kommt, in der man zwar weiterlebt, aber alles was einem wichtig erscheint verliert. Nicht durch Distanz, nicht durch Streit, sondern einzig und allein durch den Verlust des Verständnisses für alles, was den Menschen ausmacht und seinem Leben einen Rahmen gibt. Ich bin mir absolut sicher, dass Seele und Körper zwei verschiedene Dinge sind und bin irgendwo auch dankbar, dass ich durch den Trip einen Blick über den Tellerrand erhaschen konnte. Trotzdem, eine Woche lang hatte ich mit den Folgen des Trips zu kämpfen: Ich fühlte mich verloren, distanziert, nicht mehr zugehörig, allein (und war mir sicher, dass ich das Gefühl niemals mehr verlieren werde). Mit anderen Dingen habe ich bis zum heutigen Tag zu kämpfen: Eine zweite Stimme in mir flüstert mir manchmal zu, dass ich verrückt werde, die Kontrolle verliere oder gleich ausflippe und jemanden schlagen muss. Manchmal sagt mir eine Stimme, dass ich zu nichts Nütze bin, dass ich armselig bin und weniger wert, als ich denke. Ich vermute, dass der Grund, dass ich am heutigen Tag dazu imstande bin, dies alles niederzuschreiben, folgender ist: Ich habe seit etwa einer Woche kein Cannabis mehr konsumiert. Nach dem Pilztrip habe ich keine Pause gemacht, sondern wie gewohnt jeden Tag gekifft. Vor allem wenn ich high war kamen mir diese Gedanken des Verrücktwerdens, aber irgendwie war ich wohl schon zu sehr ans Kiffen gewöhnt, als dass ich es einfach so unterlassen hätte können bzw. den Zusammenhang erkannt hätte. Vor einer Woche ist mein Vorrat zur Neige gegangen und ich spüre deutlich, wie viel besser es mir nach der kurzen Zeit schon geht.

Die Stimme in mir schweigt meistens - und endlich bin ich wieder im normalen Leben angekommen.


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"Die Zeit, die Zeit" ist einem Buchtitel von Martin Suter entlehnt. Im Deutschunterricht mussten wir seinen Roman "Die dunkle Seite des Mondes" lesen - einem grandiosen Buch über den Verlust des Realitätsbezugs aufgrund von Pilzkonsum, bis hin zur vollständigen Distanzierung und Isolation von der Gesellschaft. Dieses Buch hat mich damals fasziniert und war auch der Auslöser für mein Interesse an Pilzen (wenn das mal meine Deutschlehrerin wüsste hehe). Jedenfalls kann ich dieses Buch sehr empfehlen!