Tripbericht lesen

Übersicht:

Titel:Das schwarze Fragezeichen
Drogen:Cannabis
Autor:souljacker
Datum:27.01.2010 23:57
Set:körperlich noch leicht angeschlagen, seelisch gefestigt und gedanklich vorbereitet
Setting:alleine daheim, auf dem Weg zum Bus, im Bus, auf dem Weg zu einer Party an einem See, am See
Nützlichkeit:8,76 von 10 möglichen   (75 Stimmen abgegeben)

Bericht:

Ich blickte auf die Uhr: Halb zehn Uhr Abends. Entschlossen lief ich die mir wohl bekannte Straße entlang, die ich fünf Mal in der Woche zum Bus laufe. Doch irgendetwas war anders als sonst. Wo war die vertraute Umgebung geblieben? Ich fühlte mich komplett neu in dieser Gegend, in der ich doch seit meiner Geburt lebte. Während dem Laufen verlor ich mich in Gedanken, schweifte ab in den endlosen Fantasien meiner Vorstellungskraft. Ich war überwältigt.

Es war ein warmer Spätsommerabend im Jahr 2008. Ich glaubte mittlerweile nicht mehr, dass THC wirklich eine Wirkung hatte. Ein paar Mal hatte ich versucht zu kiffen, was jedoch nicht wirklich geklappt hatte, da ich Nichtraucher war und es auch bis heute geblieben bin. Jedenfalls wollte ich an jenem Tag einen letzten Versuch wagen, dieses Mal mit oraler Aufnahme. Ich war auf der Jagd nach einem Zustand, der mich an die Gefühle und Empfindungen meines ersten Pilztrips ein Jahr zuvor erinnern sollte. Gegen halb acht begann ich den von meinen erfolglosen Versuchen übrig gebliebenen Brocken von ca. zwei Gramm kleinzumachen. Alles oder nichts.

Die Konzentration auf die Hauptaufgabe wurde für mich immer schwieriger. Ich musste zur fünf Minuten entfernten Bushaltestelle. Obwohl es nur geradeaus ging, war ich mir manchmal nicht mehr sicher, ob ich den Weg noch finden werde. Längst vergessene Szenarien aus Träumen und Erlebnisse aus meiner Kindheit bildeten sich immer wieder in meinem Kopf. Doch das schien meiner Vorstellungskraft nicht auszureichen. Ich begann die Erinnerungen in die Umgebung einzubauen. So veränderte sich meine reelle Umgebung ständig auf erstaunliche Art und Weise. Nicht dass ich halluzinierte, nein, ich sah die mir bekannte Straße nur aus einem noch nie da gewesenen Winkel. Alles machte Sinn. Meine ganze Vergangenheit konnte ich in dieser Umgebung sehen und gleichzeitig war alles was ich sah absolut neu für mich. Verwundert über den paradoxen Widerspruch schüttelte ich überwältigt den Kopf und ich lief weiter.

Während ich den braunen Würfel zerkleinerte dachte ich an meinen ersten Pilztrip. Kann ich jemals wieder eine solch intensive Erfahrung machen? Die Abendplanung war auch mehr als improvisiert. Da ich kaum jemand kannte, der was mit Drogen am Hut hatte, wollte, ja man kann fast sagen musste ich das Ding alleine durchziehen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam ich am Bushäuschen an. Da andere Leute ebenfalls auf den Bus warteten fühlte ich mich etwas seltsam. Durch die Anwesenheit dieser nüchternen Menschen fühlte ich erst so richtig, wie sehr verstrahlt ich eigentlich war. Wobei ich ja nicht wusste, ob sie nicht genau dasselbe wie ich gerade erlebten. Jeder hat seine persönliche Route, die er verfolgt; ein Ziel, auf das er hinarbeitet. Ich für meinen Teil wollte nur in diesem Bus zu der Party am See fahren. Die ganze Vorstellung der Party wurde zu etwas größerem, als es eigentlich war. Oh mein Gott, hatte ich die ganze Zeit so ein krankhaftes Grinsen im Gesicht?

Ich hatte ursprünglich gar nicht vor, an den fünfzehn Busminuten entfernten See zu gehen und dort mit meinen Freunden Party zu machen. Doch als ich die fertig gebackenen Hasch-Toasts vor mir liegen hatte und das Handy klingelte, schien es mir ein vernünftiger Plan für den Abend zu sein. Also sagte ich zu.

Da der Bus bereits sehr bald kam, konnte ich mir nicht länger überlegen, wie mein Gesichtsausdruck wohl auf die anderen Menschen gewirkt hatte. Ich stieg ein, schaffte es irgendwie meinen Busausweis vorzuzeigen und setzte mich auf den nächsten Sitzplatz. Der Bus war nicht sehr voll, doch ich spürte bereits kurz nach dem Hinsetzten, dass er voller Leben war. Erleichtert über das erfolgreiche Ankommen im Bus belohnte ich mich mit meinem Mp3-Player. Die Musik die ich hörte hatte jedoch wenig mit der zu tun, die ich auf dem Player gespeichert hatte. Meine Umgebung wackelte bereits vorher was das Zeug hielt, doch jetzt merkte ich, wie sämtliches THC sich langsam aber sicher den Weg in meinen Blutkreislauf bahnte. Dieses Lachen und Gekichere und diese klare hohe Stimme, die Stimme einer Frau, nein, die einer Göttin. Sie war nun überall. Jedes Lied wurde durch die Töne und Stimmen, die mich komplett umgaben, perfektioniert. Von allen Richtungen wurde ich mit nicht verständlichen, aber trotzdem wunderschönen Phrasen und Lauten bombardiert. Ich war mir sicher etwas außergewöhnlich Schönes gefunden zu haben: Euphorie.

Ich nahm einen herzhaften Bissen von dem knusprigen Toast. Hmmm, da war der Käse, da war die Salami und da war die Curry Sauce. Doch dann schoss etwas Dunkles auf meine Geschmacksnerven zu, etwas, das alle anderen Geschmäcker sofort ausstach. Ich verzog das Gesicht. Der Dampf des Sandwichs stieg in meine Nasen und verschlimmerte die Situation noch. Ich hatte mit erheblich weniger Widerstand meines Körpers gerechnet. Egal. Nase zu und durch.

Auf dem Platz hinter mir schien es richtig abzugehen. Zwei Kinder tollten herum und spielten sich gegenseitig Streiche, lachten und führten Gespräche. Im Fenster spiegelten sie sich, so dass ich sie sehen konnte. Sie sahen aus wie 2 Puppen ganz klein und zierlich. Plötzlich merkte ich, dass um sie herum alles leuchtete und die Farben extrem intensiv waren und mir wurde klar wie absurd die Situation war. Da ich mich nicht traute mich umzudrehen, werde ich nie wissen, wer oder was an diesem Abend tatsächlich hinter mir im Bus saß, wer so ein gigantisches Leuchten ausstrahlte. Schade eigentlich.

Viertel nach acht hatte ich die Hälfte des dampfenden Toasts heruntergewürgt. Unfähig den Rest sofort nachzulegen gab ich meinem Magen eine Verschnaufpause und wartete eine Weile. Um 20:45 Uhr widmete ich mich voller Vorfreude auf das einzigartige Geschmackserlebnis dem restlichen Toast. Geschafft. Ich wartete eine Weile auf der Couch sitzend und hatte mich kurz vor neun damit abgefunden, wohl keine Wirkung mehr zu bekommen. Als ich jedoch um neun Uhr aufstand um auf Klo zu gehen wurde ich eines besseren belehrt.

Das Körpergefühl war himmlisch. Das Lachen erheiterte auch mein Herz und mir wurde richtig warm, im ganzen Körper, in jeder Ader. Ich entfernte mich plötzlich immer wieder für kurze Momente total von der Realität. Ich sah heraus, weil ich mir klarmachte, dass ich die Haltestelle auf keinen Fall verpassen durfte. Die Aufgabe, an dieser Party anzukommen war zu einer allumfassenden Idealvorstellung geworden. Doch die Welt verzerrte sich immer weiter. In meinem Kopf bildete sich ein Bild, das die gesamte Busfahrt ziemlich gut beschreibt: das Titelbild von Fear and Loathing. Dieser Strudel, der alles ins ich zieht. Ich spürte ihn auch.

Wie ein ICE schoss mit dem Aufstehen plötzlich ein unglaublich leichtes Körpergefühl durch mich. Ich fühlte mich, wie als würde ich schweben und meine Schritte wurden irgendwie automatisiert abgerufen. Ich musste nicht mehr aktiv laufen, diese integrierte Maschine in mir regelte alles von selbst. Ich bemerkte, dass sich auch mein Blick ziemlich verzerrt hatte. Das Ganze war mit absolut nichts zu vergleichen, was mir bekannt war. Ich spielte ein bisschen Gitarre und merkte, dass mir plötzlich tausende Ideen für Lieder, Texte und wunderschöne Melodien einfielen. Meine Kreativität hatte ein Maximum erreicht.

Ich hatte es geschafft, ich war fast da und stieg an der dem See nahesten Haltestelle aus. Der Weg zum See war schwer, sehr schwer sogar. Ich hatte mich ja bereits auf dem Weg zum Bus fast verlaufen. Diese Strecke lief ich vielleicht einmal im Jahr. Dementsprechend wunderte ich mich nicht sehr, als ich mich fühlte, als würde ich mit meiner Familie auf der Via Appia in Rom laufen. Obwohl ich teilweise absolut nicht mehr wusste wo ich war und wo ich hin musste merkte ich, wie ich dem Ziel immer näher kam. Endlich war ich angekommen. Mein Ziel war erreicht, meine Aufgabe erledigt. Jetzt konnte ich mich voll und ganz auf den Trip einlassen. Die Umgebung nahm ich nur noch durch einen bunten, kaleidoskopartigen Filter war. Meine Freunde störten sich nicht besonders an meinem Zustand und ich begann nun automatisch sie alle zu analysieren und zu charakterisieren. Es geschah alles von selbst, ich hatte keinerlei Kontrolle mehr über meine gedanklichen Handlungen. Mir wurden sämtliche Eigenschaften, positive und negative, meiner Freunde klar. Innerhalb einer Sekunde hatte ich sie alle komplett auseinander genommen und wusste, wer sie wirklich waren. Ich ordnete sie zunächst in Prototypen ein, denen ich jedoch anschließend eine persönliche Note gab. Es gab den Außenseiter, den Aufreißer, den Witzemacher, den Tagträumer, den Einfältigen, den Naiven, den Gelehrten, den Streber, den Mitläufer… Ich fragte mich in welche Sparte ich gehöre, doch bei meiner Person versagte mein Analyseapparat. Ich sah nur ein großes, schwarzes Fragezeichen.

Rückwirkend betrachtet war dieses bildliche Fragezeichen wohl der Höhe- und Wendepunkt des Trips. Ich wusste nun warum ich die Reise zu diesem See angetreten hatte. Mein Geist hatte mir klargemacht, was ich wirklich wollte. Ich wollte nicht den See finden, ich wollte mich finden. Die ganze Zeit.

Mit dem Gefühl sehr viel über mich, meine Freunde und die Welt gelernt zu haben schlief ich schließlich zufrieden ein. Am nächsten Tag wachte ich um vier Uhr nachmittags relativ nüchtern auf. Irgendwie fühlte ich mich leer, ausgelaugt und erschöpft. Nach dem Aufstehen konnte ich nicht länger als zehn Sekunden aufrecht stehen oder laufen; mir wurde sonst sofort schwarz vor Augen. Ich setzte mich an den Computer und begann das Erlebnis aufzuschreiben.

Ich machte mich langsam fertig und zog meine Schuhe mit Vorfreude auf die bevorstehen Reise an. Dass es eine sehr intensive Erfahrung werden würde wusste ich, da die zweite Hälfte des Toasts noch gar nicht wirken konnte. Ich checkte noch mal ab, ob ich alles dabei hatte. Mp3- Player, Handy, Busausweis, Schlüssel. Alles da. Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte machte ich mich auf den Weg. Ich blickte auf die Uhr: Halb zehn Uhr Abends.

Während ich versuchte die Erfahrung in Worte zu fassen, kamen sehr viele Gedankengänge und Erinnerungen der Reise des Vortages zurück. Ich überlegte wo ich anfangen sollte, wie sollte ich das alles denn am besten verarbeiten? Es war ein schöner Tag, ein sehr schöner Tag sogar. Ich erinnerte mich an die Wärme, die Geborgenheit und die Euphorie, die ich im Bus erlebt hatte. Mir fiel auf, dass es auch vom Wetter her ein nahezu perfekter Tag gewesen war. Die Blockade in meinem Kopf war plötzlich gelöst und ich begann zu tippen:

Es war ein warmer Spätsommerabend im Jahr 2008. Ich glaubte mittlerweile nicht mehr, dass THC wirklich eine Wirkung hatte.