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Traumländer



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  Geschrieben: 22.01.22 11:37
zuletzt geändert: 22.01.22 16:41 durch Crystalix (insgesamt 6 mal geändert)
Das Thema Hängenbleiben bzw. umgangssprachlich “Kleben bleiben” ist von Mythen, Faszination und Übertreibung, sowie der Frage, ob so etwas überhaupt möglich ist, geprägt. Jeder Drogen Konsument kann einem da viele Geschichten aus seinem Party-Bekanntenkreis erzählen und fast jeder kennt auch den einen oder anderen Betroffenen. Eine klare Definition für das Hängenbleiben existiert meines Wissen nach nicht, so bleibt vieles im Unklaren, den Meisten ist das Thema vor allem durch Anekdoten ihrer Party Freunde bekannt.

Ich kann auch keine eindeutige Definition für diesen Begriff liefern. Als selbst Betroffener versuche ich aber hier das Thema aus meiner Sicht möglichst verständlich zu beschreiben.

Kurz zu mir, ich war schon in jungen Jahren sehr intensiv und exzessiv feiern und habe dabei fast alle der gängigen Partydrogen konsumiert. Mit gerade mal 19 Jahren habe ich mit meiner Clique ein halbes Jahr jedes Wochenende psychedelische Pilze konsumiert und war auf unzähligen Goa Partys. Auch Mdma und Speed und natürlich LSD-Trips gehörten damals zu einem “normalen” Wochenende mit dazu. Durch meinen Blog und meine Buchveröffentlichung habe ich zu vielen Hängengebliebenen Kontakt gefunden und konnte mir deren Geschichten anhören. Dabei fällt auf, dass die Vorgeschichte in den meisten Fällen sehr ähnlich verläuft. Der Kern des Problems ist der oft frühe Einstieg in eine politoxe Drogenkarriere.

In der frühen Jugend beginnt das Kiffen, noch vor der Volljährigkeit kommen Mdma, Speed und andere Drogenerfahrungen hinzu. Wenn man einmal in der Goa Szene angekommen ist, gibt es dort mindestens ein dutzend Substanzen, die nur darauf warten, von einem risikobereiten Konsumenten entdeckt und ausprobiert zu werden. In dieser Phase des Drogen Missbrauchs gibt es sehr wenig, was dagegen sprechen würden, all diese Substanzen selbst auszuprobieren. Schliesslich ist man jung, körperlich und geistig zumindest in der Selbstansicht (noch) unverwundbar.

Die Bad Trips und späteren Warnschüsse der Psyche als Reaktion auf die seelischen Achterbahnfahrten scheinen noch in weiter Ferne, man denkt selbst noch nicht mal an diese Dinge. Hier beginnt schon der rasante Entfremdungsprozess aus der als spießig empfundenen “Normalität” der Menschen um einen herum, z.B. der Eltern, der Lehrer oder einfach aller Menschen, die keine Drogen konsumieren. Man findet nicht nur in den Freunden und Bekanntschaften der Goa Szene eine neue gefühlte Heimat, sondern empfindet die überaus beeindruckenden emotionalen Erlebnisse im Rausch des MDMA´s und anderer Drogen als den eigentlich viel besseren Normalzustand. Ein Freund von mir schrie einmal, direkt nachdem wir auf der Party ankamen und die erste Pille in ihm eine glückselige Wirkung entfaltete, laut heraus: “Endlich wieder normale Leute!”.

Das geht dann im weiteren Verlauf der Drogenkarriere so weit, dass man die Eltern und alle anderen nüchternen Leute einfach nur bedauert, nicht in dieser neuen, hoch emotionalen Welt leben zu dürfen. Was mir ganz wichtig ist zu sagen, in dieser Phase ist das Konsumieren und tagelange Feiern auf verschiedenen Substanzen auch von unglaublich tollen Gefühlen und nie dagewesenen Glückszuständen begleitet und damit eine ohne Frage zwar intensive, aber doch in weiten Teilen schöne Zeit, an die man sich sein ganzes Leben mit Wehmut zurückerinnern wird.

Was in dieser Phase leider fehlt, ist das Verständnis dafür, auf welch wackeligen Beinen dieses Konstrukt steht. Wenn man in der frühen Jugend zu Kiffen beginnt und kurze Zeit später regelmäßig von Freitag bis Montag sehr verstrahlt auf Goa Partys feiert, hat die eigene Persönlichkeit kaum eine realistische Chance auf einem gesund gewachsenen und stabilen Fundament zu stehen. Man hat oft weder die Beziehungen zu seiner Familie und den Mitmenschen gut aufbauen können, noch den Schulabschluss und die Berufswahl auf einen geordneten und stabilen Weg bringen können. Dazu kommen noch viele durch den Konsum entstandenen Schwierigkeiten und damit verbundenen Persönlichkeitsveränderungen, z.B. eine zwanghafte Beschäftigung mit abstrusen Theorien oder zunehmende Aggressionen. All die in der Jugend und dem frühen Erwachsenenalter dringend nötigen Entwicklungen hat man sich durch den Drogenkonsum im Ansatz abgewürgt. Stattdessen setzt man seine Psyche mit unglaublichen Schüben an Serotonin, dauerhaften elementaren Denkveränderungen durch Pilz- und LSD Trips und regelmäßigem Mischkonsum vieler verschiedener Substanzen aus. Die Mischung dieser Faktoren führt zu einer großen Instabilität der eigenen Psyche und kann in den meisten Fällen nicht länger als einige Jahre gebändigt werden.

Ähnliche Vorgeschichten habe ich bei fast allen jungen Konsumenten erkennen können, die später auf einem Trip hängengeblieben sind. Ich habe selbst exakt so eine Drogenkarriere durchlebt und kann aus eigener Erfahrung berichten, wie man nach einigen solcher Jahre psychisch denkt und wie verändert die eigene Persönlichkeit aus so einer Lebensphase hervorgeht. Ich habe während des Höhepunkts meiner Konsumphase eine Ausbildung gemacht, wobei ich die Anforderungen immer schlechter erfüllen konnte. Nachdem mein Schulleiter mich mehrfach ermahnt hatte, war ich ganz kurz davor, ihm einfach zu sagen, dass er doch nicht alles so ernst nehmen solle, da das Leben doch eh einfach nur ein unkontrollierbarer, chemischer Prozess sei. Ich musste ständig über das Funktionieren des Universums nachdenken und konnte mit den aus meiner Sicht völlig belanglosen Alltagssorgen der “normalen” Leute gar nichts mehr anfangen. Ich hätte die normalen Leute am liebsten wachgerüttelt und ihnen gesagt, dass Sie überhaupt nichts kapieren davon, wie das Leben hinter den Kulissen funktioniert.

Die Psyche verändert sich durch Pilze, LSD und Co viel mehr, als die meisten Menschen das glauben mögen. Schon ein einzelner Trip verändert das Denken eines Menschen auf Lebenszeit. Man könnte sagen, in den paar Jahren Goa Szene braut sich im Gehirn etwas sehr Mächtiges zusammen, was irgendwann kaum mehr zu kontrollieren ist. Man reisst sich als junger Mensch durch den Drogenkonsum die eh schon instabile und nicht voll entwickelte Denkbasis immer weiter zusammen. Das ist also zumeist die Ausgangslage und die Vorgeschichte, über die man sich im Zusammenhang mit dem Hängenbleiben bewusst sein muss.

Das Hängenbleiben kann dann auf unterschiedliche Weise ablaufen, der Begriff ist nicht genau definiert. Im Endeffekt gibt es unterschiedliche Wege hin zu einem Zusammenbruch der Psyche durch die Vorprägung des Konsumenten und dann einem entscheidenden, die Katastrophe auslösenden Ereignis.

Ein Freund von mir hat sich im Übermut und als er bereits auf einem Trip war ganze 7 Hofmänner (LSD-Trips) unter die Zunge gelegt. Er wollte einfach einmal so richtig auf LSD sein. Wenige Stunden später wurde er in dem Club von dem Krankenwagen abgeholt und verbachte viele Wochen in der Psychiatrie. Heute lebt er in einer antroposophischen Einrichtung und wirkt nach wie vor sehr durch den Wind, er ist nie mehr wirklich von dem LSD-Trip runtergekommen. Bei anderen entwickelt sich über einige Wochen eine Phase, in der Sie immer paranoider werden und plötzlich sehr komische Dinge erzählen. Oft fühlen die Betroffenen sich beobachtet und kontrolliert, im Verlauf kann das dann immer heftigere Ausmaße annehmen. Auch dieser Weg endet meist in der Psychiatrie und damit der Einstellung auf ein Neuroleptikum, was fast immer lange Folgen nach sich zieht. Eine hochgradig schwierige Phase, in der nicht nur die Welt an sich, sondern auch die eigene Existenz grundsätzlich in Frage gestellt wird.

Bei einigen wird an dieser Stelle die Diagnose drogeninduzierte Psychose gestellt, weil das Muster der Symptome exakt auf diese Krankheit einzuordnen ist. Als ich meinen letzten Trip genommen habe, bin ich zunächst scheinbar noch einigermaßen runtergekommen, direkt am nächsten Tag habe ich dann aber eine immer stärker werdende Euphorie verspürt, die sich innerhalb kürzester Zeit zu einer Manie mit psychotischen Zügen entwickelt hat.

Das Muster wie Menschen auf Halluzinogenen hängenbleiben ist sehr vielfältig und passt manchmal auch gar nicht auf die Lehrbücher und Diagnoseschlüssel der Schulmedizin. In meinem Klinikbericht wurde damals vermerkt:

“Die Interaktion zum jungen, stets freundlich, jedoch eher passiv und meist wenig emotional berührt erscheinenden Patenten war insbesondere geprägt durch das Auftreten unerwarteter und bizarrer Geschehnisse im Behandlungsverlauf, die bis zuletzt auch für uns nicht klar einzuordnen waren.”

Ein anderes Beispiel war ein guter Freund von mir, der sich auf einer Goa Party in der Schweiz bei einem Dealer einen Tropfen LSD gekauft hat. Als der Tropfen nicht so recht eingefahren ist, hat er den Dealer gefragt, ob er noch mal einen Tropfen bekommen könnte. Der Dealer fühlte sich damit in seiner Ehre verletzt und hat ihm so viel LSD drauf geschüttet, dass es schon von der Hand runtergelaufen ist. Zwei Stunden später war er so stark drauf, dass er nicht mehr sprechen konnte und nur noch mit einem seltsamen Gesichtsausdruck dagesessen ist. Die Nachwirkungen dieser Nacht haben ihn über Jahre begleitet, er ist auf diesem Trip hängengeblieben in Form von starken Denkveränderungen, Gedanken hören, optischen Halluzinationen und vielem mehr. Erst nach einem schweren Jahr haben sich die Symptome wieder etwas gebessert.

Das Hängenbleiben beschreibt meiner Ansicht nach immer den Scheitelpunkt zwischen einer oft vorher stattfindenden politoxen Drogenkarriere und dem Punkt, an dem das Denken und jegliche Stabilität des Konsumenten in sich zusammenbricht. Ein LSD-Trip dauert ca. 8-10 Stunden und stellt in dieser Zeit so ziemliche alle Denkvorgänge auf den Kopf, das Gehirn funktioniert in dieser Zeit nach völlig anderen Gesetzen. Ein Mensch mit einem stabilen Fundament wird es einfacher haben, nach diesen Stunden wieder in seine gewohnte, stabile Nüchternheit zurückzufinden. Im Gegensatz dazu halten diese Denkveränderungen bei Menschen mit einer eher labilen Verfassung in vielen Fällen oft dauerhaft an, die Verläufe sind aber doch recht unterschiedlich. Auch der Grad der auftretenden Veränderungen der Psyche sind überhaupt nicht miteinander vergleichbar. Im Grunde bleibt jeder LSD Konsument auf seinem Trip hängen. Das ist auch gewünscht, viele erhoffen sich eine Bewusstseinserweiterung, die dauerhaft den Fokus der Prioritäten im Leben neu justiert. Oft klappt das auch in gewünschter Weise, es gibt sehr viele Menschen, die positiv von LSD oder Pilztrips beeinflusst wurden und die diese Erfahrung nicht missen möchten. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle, eine politoxe Vorgeschichte, wie ich sie oben im Text beschrieben habe, ist sicher die schlechteste Vorbereitung auf weitere Trips. Die in vielen Erzählungen angenommene Vorstellung, man würde bei dem Hängenbleiben einmal einen Trip nehmen und wäre dann für immer auf diesem Trip, ist so vereinfacht dargestellt vermutlich nicht das, was in der Realität oft passiert.

Dass Hängengebliebene aber oft jahrelang oder auch ihr komplettes Leben unter dem Einfluss des Trips leben und zurecht kommen müssen, ist wahr und gehört zum Alltag vieler betroffener Menschen. Seiner eigenen Familie erklären zu müssen, dass man auf einem LSD-Trip hängengeblieben ist und man für lange Zeit ein stark veränderter Mensch sein wird, gehört zu den schwierigsten Momenten in dieser Phase. Ich habe von vielen Betroffenen erfahren, dass alleine das Wort “Hängenbleiben” oder “Hängengeblieben” ein enorm starker Trigger sein kann und das Aussprechen dieser Worte allein schon nicht selten zu Angst und Panik führt. Der Ausdruck “Kleben bleiben” wird von vielen, auch von mir als selbst Betroffener, als respektlos empfunden. Von ärztlicher Seite gibt es oft keine passende Diagnose, meist ist es ein größeres Sammelsurium aus Symptomen die in alle Richtungen gedeutet werden können. Das macht es für die Hängengebliebenen nicht leicht, leider folgt auf das Hängenbleiben meist eine jahrelange Phase der Unklarheit mit regelmäßigen Besuchen in der Psychiatrie und einer Einstellung auf ein Neuroleptikum, was die Sache auf lange Sicht auch nicht wirklich leichter macht.

Ich selbst habe über 10 Jahre lang versucht, ein Medikament zu finden, welches mich aus diesem Zustand wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringt und endlich eine Landung einleiten könnte.

Eine einfache und allgemein wirksame Behandlungsmethode ist nicht bekannt, meist ist der Verlauf ein langer Weg des langsamen Runterkommens mit guten und schlechten Phasen, teilweise unterstützt durch eine medikamentöse Behandlung und einer möglichst großen Stressreduktion für einige Jahre. In jedem Fall ist Hängenbleiben eine extrem fordernde Anstrengung und Prüfung der eigenen Persönlichkeit. Die Rate der Menschen, die infolge so eines Falls an einer schweren Depression erkranken, ist aus meiner Beobachtung sehr hoch. Das Alltagsleben mit einem nicht mehr normal funktionierenden Gehirn bei gleichzeitig vollem Bewusstsein über die Situation, ist schwer zu ertragen, dazu kommt die völlig ungewisse Zukunftsperspektive und das Absinken im sozialen Gefüge des Alltags (Verlust der Arbeitsstelle, Sozialhilfefall, Beziehungsschwierigkeiten, soziale Phobie usw.)

Jeder Betroffene muss seinen eigenen Weg finden mit dieser Situation umzugehen und versuchen, sein Leben wieder auf eine stabile Basis zu bringen. Dieser Prozess kann unter Umständen viele Jahre dauern bzw. nicht selten auch zu einer Lebensaufgabe werden. Mir selbst hat es sehr geholfen eine Verhaltenstherapie (Psychotherapie) zu absolvieren. Während der 14 Monate in Unterstützung meiner Psychologin konnte ich meine bisher größten Fortschritte hin zu einem „normalen“ Leben erreichen.

Vielen Dank für´s Lesen!



Abwesender Träumer



dabei seit 2014
489 Forenbeiträge

  Geschrieben: 22.01.22 12:26
danke, crystalix, für diese tiefschürfende analyse u das zusammentragen von erfahrungen betroffener...vor allem die erkenntnis, dass oft eine politoxe vorgeschichte psychosen triggert/verstärkt/ermöglicht, ist key...
kopf aus, herz auf...
Traumländer



dabei seit 2006
932 Forenbeiträge
6 Tripberichte

  Geschrieben: 22.01.22 16:10
Ja, Danke für all deine wertvollen Erfahrungsberichte zu dem Thema. Wenn ich an das Thema "Hängenbleiben" denke, muss ich als oft an deinen Langzeit-TB denken. Das sollte Pflichtlektüre für jeden sein, der Psychedelika konsumieren will. Grade weil ich immer noch denke, dass sich das Risiko verringern lässt, wenn man sich an bestimmte Regeln hält. Auch wenn das sehr schwer sein dürfte, wenn man voll so in einer Goa-Szene drin ist.
 

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