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Titel:MDMA, die Liebe, der Absturz
Droge:MDMA
Autor:schlaflosinhamburg
Datum:10.11.2018 14:39
Nützlichkeit:9,46 von 10 möglichen   (68 Stimmen abgegeben)

Bericht::

Hallo liebe Leute,

nach langer Pause melde ich mich wieder, diesmal mit einem LB. Seit meinem letzten Bericht sind paar Jahre vergangen, es ist viel in meinem Leben passiert, der Konsum hat sich verändert und einige Folgen mit sich gebracht. Aber eins nach dem anderen… Erstmal die Eckdaten:

Meine Drogenkarriere Mai 2014 - März 2017

Alkohol - Cannabis - MDMA - Speed - Kratom - Guarana - Kokain - Pilze - LSD

(wobei Kokain nur drei mal getestet, hat mich nicht von den Socken gehauen, war wohl keine besonders gute Quali, ist mir eher zu teuer. Mit LSD hab ich nur zwei mal die Erfahrung gemacht, aber dazu später mehr)

1. Wie alles beginnt

Im Mai 2014 mache ich mit Mitte 30 meine erste Erfahrung mit MDMA (siehe auch ein Bericht). Ganz diszipliniert, eine Nacht im Monat Feiern ca. 160 mg MDMA (ca.100 als Initialdosis, dann 60 nachgelegt). Ich bin neu in der Szene, verliebt in den Bass, immer 200 % auf der Tanzfläche mit einem Dauergrinsen im Gesicht. Tolle Leute, tolle Musik, spannende Gespräche und pure Euphorie! ...Das legt sich dann ein wenig, als ich feststelle, dass nicht viele Leute eine Blase am Ohr vertragen, also reduziere ich das Geplapper und konzentriere mich aufs Tanzen. Manchmal nach einem guten tiefgreifenden Gespräch wo man voll auf der gleichen Wellenlänge surfte, bin ich vor Freude erfüllt, endlich jemand getroffen zu haben, der einen versteht. Man tauscht die Nummern, doch die neuen Freunde melden sich nie wieder, also höre ich auf mir Freunde zu suchen und bei WhatsApp auf Antworten zu warten. Bin weiterhin alleine los, und geniesse die flüchtigen Bekanntschaften und die nonwerbale Kommunikation auf der Tanzfläche.

Es läuft 1,5 Jahre gut, ich kann mich nach den Partys schnell regenerieren, bewältige meinen Alltag und fühle mich ganz fit. In dieser Zeit fängt es in meiner Ehe an mächtig zu kriseln. Ich gehe weniger feiern, mein Mann beginnt mit mir zu Hause MDMA zu konsumieren. Das gibt zuerst neuen Schwung in der Beziehung, ich bin guter Hoffnung dass wir es schaffen. Doch ausschließlich unter Droge können wir wirklich lachen und reden.

2. Die Liebe

Herbst 2016, acht Monate vor dem Absturz. Doch davor beginnt die schönste Zeit in meinem Leben!

6.September, Sonntag, bin ausgeschlafen gleich morgen früh zum Baalsaal zur Afterhour, ich liebe diesen kleinen Keller! Super Anlage, Mega Musik, lustige Leute, etwas MDMA, bin nur am Zappeln. Nach einer Weile werde ich müde und suche mir einen Sitzplatz. In der Dunkelheit bemerke ich einen Mann, der allein neben der Tanzfläche sitzt. Er hat eine tolle Präsenz, wachen Blick trotz der anmerkenden Müdigkeit. Setze mich spontan zu ihm, er ist auch ein Alleingänger, wir reden kurz und er ist mir sofort sympathisch. Später erfuhr ich, daß er schon drei Tage alt war, dafür war er aber gut ansprechbar. Nach etwa 4 Stunden stellen wir beide fest, daß wir nicht aufhören wollen zu reden und daß es noch so viel gibt was man sich erzählen möchte. Er hat Erfahrung mit LSD, toll, ich wollte es schon immer mit meinem Mann ausprobieren, er könnte uns Babysitten denke ich mir. Bin fasziniert von seiner Weltanschauung, seiner authentischen Art. Sage ihm daß ich so einen tollen Typen nicht einfach weiter ziehen lassen kann und verspreche ihn mit einer guten Freundin zu verkuppeln (was für ein bescheuerter Einfall )). Er will es sich überlegen, wir tauschen die Nummern. …so lerne ich H. kennen.

Seitdem haben wir ab und zu Kontakt per sms, mein Mann ist auch von der Idee angetan H. als Tripsitter einzuladen. Ich verspreche mir durch LSD neue Wege in meiner Ehe zu finden. Freue mich riesig darüber eine tiefere Freundschaftsbeziehung mit H. aufzubauen. Endlich eine verwandte Seele, jemand der die Musik genauso liebt wie ich, mit dem man feiern und sich austauschen kann!

Einen Monat später verabreden sich H. und ich wieder im Baalsaal. Mein Mann will nicht mitkommen, er ist weder für Deephouse noch fürs Tanzen zu begeistern. Dann nicht. Ich aber! Fahre los, hab nur 9 Stunden und eine Pille, egal, mache das Beste daraus! H. mag kein MDMA, es meint er ist dann nicht mehr der Herr seiner Emotionen und das nervt ihn. Er ist wie immer auf Speed. Diese Nacht wird magisch. Der Bass geht unter die Haut, wir sind nur am Abgehen und tanzen bis die Socken zischen! Einfach nur WOW!!! Habe es schon mal geschrieben, dass geteilte Freude die beste ist. Gegen 6 Uhr früh ziehen wir weiter, Kurhotel. Die Namen von den Locations für elektronische Musik entsprechen genau dem Gegenteil von dem was man damit assoziiert. Klein, verraucht, steile Treppen zur Dachtrasse, aber hey - cooler Ausblick! Als wir etwas müde werden, sitzen wir wieder quatschend zusammengequetscht mit anderen Logoröeerkrankten (Wortdurchfall) in der Ecke auf dem Dach. Nichts stört mich, der süffige Fußboden, das Gequassel von jeder Seite, man unterhält sich mit allen, lacht, fühlt sich irgendwie wie zuhause. Das mag ich so an diesen heruntergekommenen Buden: sie sind auf das Wichtigste komprimiert: gute Musik, spannende Lebensgeschichten, Freude, das Miteinander. Kein unnötiger Schnickschnack, denn die Leute machen die Atmosphäre aus, nicht die vergoldeten Wände. Ich sehe H. an und denke ich schaue in den Spiegel, so viele Parallelen stelle ich fest. Er nimmt die Herausforderung an mich und meinen Mann beim LSD Trip zu begleiten. Ausserdem will er meine Freundin kennen lernen. Super, abgemacht! Neun Uhr früh, wir umarmen uns herzlich zum Abschied, er merkt daß ich nicht gehen will und gibt mir lächelnd einen leichten Tritt in den Hintern. Meine Tanznacht ist vorbei, ich fahre Heim.

Zwei Wochen später starte ich die Verkupplungsmission. Auch mein Mann soll H. kennenlernen. Meine Freundin, (die übrigens die Ex von meinem Mann ist) ist auch dabei. Wir fahren in den Wald Maronen und Steinpilze sammeln. Ungezwungenes Schlendern in netter Gesellschaft und eine gemeinsame Aufgabe - genau das Richtige um miteinander warm zu werden. Meine Freundin zeigt sich kühl und uninteressiert an H, er macht sich aber auch keine besondere Mühe sie mit seinem Charme zu ködern. So trennen wir uns langsam, ich gehe vor mit H, die anderen beiden bleiben irgendwo hinter uns. Wir reden wieder ununterbrochen, ich erzähle ihm über Steinpilze und er mir über Psylos. )) Mit einer guten Ausbeute bei uns angekommen, bereiten wir die Maronen zu, und essen zusammen. Ein ganz netter Abend. Später erfahre ich von meiner Freundin, daß zwischen ihr und H. der Funke nicht übergesprungen ist und dass sie eher den Eindruck hätte, ich wäre an ihm interessiert. Nein, sage ich, wir sind bloß Freunde. Damit belüge ich nicht nur sie, meinen Mann, sondern auch mich selbst. Fakt ist, ich spürte vom ersten Augenblick an eine unglaubliche Anziehung zu H. Wir bleiben im Kontakt, er schickt mir Musiklinks, wir telefonieren gelegentlich und planen unseren LSD Trip. Mit jedem Tag merke ich wie meine Gedanken nur noch um H. kreisen, fühle mich beschwingt wie auf Kratom, aber nein es ist nur die Aufregung vor dem Trip)

3. Ein Tropfen LSD und mein Leben steht Kopf

Noch zwei Wochen später, mein Mann hat Urlaub, H. auch. Unser erster LSD Trip bei uns zu Hause. (Wir lebten damals in einem Zweifamilienhaus mit meinen Eltern und den beiden Kindern). Die Eltern sind verreist, die Kinder bei der Großtante, es kann also endlich losgehen. Ich überlege ob es immer noch eine gute Idee ist… auch H. äußert seine Bedenken, ob er sich da nicht zuviel aufgetragen hat. Wir wiegen es noch mal ab: was kann schon schief gehen? H. und ich haben einen guten Draht zu einander, in seiner Gegenwart fühle ich mich wohl und sicher. Mein Mann scheint auch mit ihm klar zu kommen. Wer nichts wagt, der nicht gewinnt!

Die Pappen haben ich schon lange besorgt, H. bringt seine eigene mit. Wir nehmen jeder eine Hälfte, kauen etwas daran und spülen sie mit Sekt runter. Anschnallen bitte und Abfahrt! Bin positiv aufgeregt, mal sehen was kommt. Wir drei reden über Gott und die Welt, nach ca. 1,5 Stunden merke ich dass sich etwas in mir ausbreitet, es steigt langsam von unten hoch. Die Sicht wird ein bisschen unscharf und der Boden schlägt leichte Wellen. Vom vielen reden werde ich plötzlich müde, aber gleichzeitig irgendwie zappelig. Ich kann nicht mehr sitzen, mache Musik an und fange an zu tanzen. Das Laufen fühlt sich komisch an, der Boden scheint weich zu sein. Ich friere, wickele mich in eine Decke ein und versuche dem Gespräch vom meinem Mann und H. zu folgen. Aber ich kann die Zusammenhänge in den Sätzen immer weniger nachvollziehen, alles verlangsamt sich wie in Zeitlupe, das Zeitgefühl ist gar nicht mehr vorhanden. Die beiden unterhalten sich weiter als wären sie absolut nüchtern. H. bemerkt meine Müdigkeit und bietet mir eine Line Speed an. Das macht mich wacher und etwas konzentrierter. Im Kopf steigen gleichzeitig mehrere Gedanken auf, bin etwas überfordert, lasse sie dann fließen und gebe die Kontrolle auf. Wir sind immer noch am reden, dann fange ich an zu begreifen, dass meine Ehe nicht mehr zu retten ist und dass mir dieses tolle Haus nicht die Lebensfreude geben kann, die ich suche, dass ich eine gut funktionierende Fassade aufgebaut habe und allen eine glückliche Ehefrau und die brave fröhliche Tochter nur vorgespielt habe. Schicht für Schicht fängt die Fassade an zu bröckeln und ich kann die Tränen nicht mehr aufhalten. Ich muss es meinem Mann sagen, so kann es nicht weiter gehen. Ich bin nicht ehrlich zu ihm. Schluchzend bemühe ich mich das was in mir vorgeht in Worte zu fassen, weiß aber nicht wie ich es ausdrücken soll. Dann fange ich mich wieder für einen Moment. Mein Mann zieht sich in das andere Zimmer zurück, ich bleibe bei H. Wir hören Musik, ich gucke ihn verheult an und merke dass ich meine Emotionen nicht mehr unterdrücken kann. „Kannst du mir sagen warum ich gerade hier neben dir sitzen will und nicht bei meinem Mann? Was ist das zwischen uns, ist es nur eine Sex Sache und danach ist alles wieder vorbei?“ Er sagt: „Nein, ist es nicht“. „Und was machen wir jetzt?“- frage ich. „Ich weiß es nicht“.

Es ist hell, ich biete H. an ihn zur Bahn zu bringen. Draußen kriegen wir beide erstmal einen Lachanfall. „Das haben wir doch wunderbar hingekriegt, findest du nicht?!“ - meint er. Als der Zug kommt, umarmen wir uns, mein Herz blutet, ich denke, dass ich ihn nie wieder sehen werde.

Fast alles woran ich fest hielt ist zerbrochen. Das was mir noch übrig bleibt, ist der sinnesbetäubender Geruch von H. an der Tagesdecke.

Paar Tage denke über das Geschehene nach und entscheide mich offen mit meinem Mann zu reden. Ich sage ihm, dass ich mich in H. verliebt habe und das ich die Trennung will. Er nimmt es mit Fassung auf.

Die Trennung verläuft ganz friedlich, wir stellen keine Besitzansprüche, kein Streit, keine Vorwürfe, das rechne ich ihm hoch an. Er sagt nur: "Ich kann dir nicht böse sein, du hast mir einen Sohn geschenkt." Wir einigen uns darauf, dass er den Kleinen jederzeit sehen kann.

Meine Eltern dagegen sind entsetzt. Weniger wegen der Trennung, eher darüber dass ich das Haus verlasse. Der Konflikt mit meinen Eltern belastet mich sehr. In ihren Augen hab ich sie als einzige Tochter enttäuscht, ihr Traum vom Mehrgenerationhaus ist geplatzt. Es war aber ihr Traum, nicht meiner. Mein Fehler bestand darin es nicht früher erkannt zu haben.

Ich berichte H. von der Trennung, er kann es kaum fassen und macht mir ein Liebesgeständniss. Zwei Wochen später unser erstes offizielles Date, er kommt auf mich zu und küsst mich ohne „Hallo“ zu sagen. Der erste Kuss. Wir sind verliebt und auf Wolke sieben, fühle mich frei und bin euphorisch wie auf MDMA.

4. Willkommen in der Wirklichkeit

Und cut, ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Es lebe Sex, Drugs and Deephouse!

Meine verheirateten Freundinnen halten mich für übergeschnappt. Eine heimliche Affäre wäre doch viel entspannter gewesen. Nein, nicht für mich, das will ich nicht. Von meinem Drogenkonsum weiß keiner. Nach einer kurzen Zeit finde ich eine Wohnung und ziehe mit den Kindern aus.

Meine finanzielle Lage fordert nach neuen Lösungen, also mit etwas Glück finde ich sehr schnell einen anderen Job. Normaler Tagesablauf: Kindergarten, Arbeit, Mittag fällt aus, Überstunden, halbes Brot am Steuer auf dem Weg zum Kindergarten, Einkaufen, Kochen, Bespielen und Betüdeln, Kinder im Bett… Ohnmacht.

Paar Monate später lege ich mich mit meiner Chefin an, sie hält sich nicht an unsere Absprachen und schiebt mir immer mehr Arbeit zu. Bekomme nur Ausreden, ja, halten Sie noch durch bis der und der aus dem Urlaub kommt. Doch nichts ändert sich. Mittlerweile wiege ich nur noch 45 kg bei 158 Größe, eingefallene Wangen, zerschrottete Nase, ich konsumiere vor, während und nach der Arbeit, nicht täglich, aber oft genug.

Morgenritual auf dem Klo, Handy raus, zwei Nasen Speed und los gehts, jetzt spüre ich auch keinen Hunger mehr wie praktisch… Abends dann einen Joint zum runterkommen. Jedes zweite Wochenende arbeiten, jedes zweite Wochenende feiern. Ein Leben auf der Überholspur, rasend und selbstzerstörerisch. Aber nein doch, alles im Griff, ich kann das, ich schaff das… wie naiv von mir zu glauben daß es lange gut geht.

Ich wage mich zum zweiten Mal an LSD. Diesmal nur ich und H. bei ihm zu Hause. Halber Trip und wir sind am Lachen und Quatschen. Der Zeitpunkt ist aber idiotisch gewählt: wir waren davor auf Amphe feiern und sind beide schon ziemlich müde. Mir kommt es vor, als könnte H. meine Gedanken lesen, bin etwas erschrocken und fasziniert. Sein Gesicht strahlt wie die Sonne in orange und rot, ich staune über die Schönheit dieses Anblicks. Doch der Gedankenwirrwarr überfordert mich, ich bin zu müde. Der Trip hält an und er kommt mir ewig vor. Wir kuscheln uns zusammen, die Harmonie wechselt sich mit einem Zustand der Bedrohung an. Dann falle ich in einen Halbschlaf und habe einen Traum: ich schwebe durch bunte wunderschöne Landschaften, dann taucht H. auf, er will dass ich ihm folge. Doch plötzlich wird alles schwarz weis, als würde alles verwelken, Panik steigt in mir hoch, ich fühle wie ich von der grauen Masse verschlungen werde, oh nein, ich sterbe! Die Gestalt von H. verschwindet und ich wache schreiend auf.

Ich fühle mich verändert, es gibt kein Zurück mehr, nichts wird so sein wie früher. Ich habe Angst. H. beruhigt mich, ich schlafe wieder ein. Am nächsten Tag ist die Angst verschwunden, doch seit dem wird sie immer wieder kommen und das Thema Sterben wird mich noch lange begleiten. Ich habe von einigen Leuten gehört, dass sie auf LSD eine Todesnahneerfahrung gemacht haben. Das Ego muss sterben, damit man sich frei fühlt. Bitte schreibt falls ihr ähnliches erlebt habt.

5. Der Absturz

Ende Mai 2016, H. und ich haben eine durchgetanzte Nacht hinter uns, MDMA, die Morgensonne strahlt mit uns zusammen. Wir gehen singend durch die Straßen zu einem Open Air, fühle mich blendend, losgelöst und frei. Die Leute drehen sich um und Lächeln zurück, ich liebe mein Leben, der Tag kann nicht schöner sein! Noch mal mächtig abgetanzt, H. baut einen, ou ja danke bin dabei, danach etwas Speed und noch einen Joint, heute gönn ich mir das. Zu Hause angekommen, komisch noch gar nicht müde, wir bauen uns noch einen.

...ich weiß nicht mehr genau wie viele es dann waren und erinnere mich nur bruchhaft an die folgenden Stunden. Ich verliere das jegliche Zeitgefühl. Bestehe nur noch aus einem Gedankenkarussell das mir den Schlaf unmöglich macht. Ich denke, dass wenn ich mich jetzt schlafen lege, sterbe ich. Während H. eingeschlafen ist, wandere ich ziellos von einem Zimmer ins andere, wecke H. auf, er soll Wasser trinken, weil er sonst auch sterben wird. Er ist zu müde und zu druff um zu merken dass ich völlig neben mir stehe. Meine Identität scheint sich komplett aufzulösen. Ich weiß nicht mehr wer ich bin, versuche mich gedanklich an etwas festzuhalten. Da ist H., er ist meine Liebe, Liebe ist Licht und Licht ist Leben. Immer und immer wieder wiederhole ich es wie ein Mantra. Hab das Gefühl dass meine Seele sich vom Körper gelöst hat und sich immer weiter von ihm entfernt. Bin eine leere Hülle, versuche mich an meine Kindheit zu erinnern um mein ich wieder zu rekonstruieren, doch die Gedanken kommen in endlosen Schleifen, ich vergesse alles und fange von vorne an. Ich halte unseren Kater für den Allmächtigen selbst (er hat auch den passenden Namen - Zeus). Zeus spürt wohl das es mir nicht gut geht und weicht mir nicht von der Seite. Die Nacht über bleibe ich wach und drifte immer weiter weg. Am nächsten Tag, H. wacht auf, ich bin kaum ansprechbar, sage ihm nur dass er meine Liebe ist und wiederhole meine Mantren. Er versucht mich zu beruhigen, doch alles ohne Erfolg. Irgendwann ruft er den Notarzt, ich komme ins Krankenhaus.

Da ich kaum zwei zusammenhängende Sätze sagen kann, berichtet H. der Ärztin was geschehen ist. Zu dem Zeitpunkt bin ich davon überzeugt dass ich bereits gestorben bin und durch das Krankenhaus rumgeistere. Ich bekomme 1,5 g Tavor unter die Zunge, das Blut wird abgenommen und ein EKG gemacht. Das Tavor wirkt wenige Minuten später, ich sitze im Krankenzimmer auf der Fensterbank, die Sonne scheint, H. redet immer noch mit der Ärztin. Ich bin nicht tot, ganz klar, ich bin ein Yogi, der sich gerade auf einem Trip befindet!)) Wenn ich mich gut genug konzentriere, dann kann ich wieder in die Realität zurück. Ich schließe die Augen für eine Weile und mache sie wieder auf in der Überzeugung ganz wo anders aufzutauchen. Doch ich befinde mich immer noch auf der Fensterbank. Hmmm, hat nicht geklappt, dann bin ich wohl tatsächlich tot. Ich habe keine Angst, bin ganz zufrieden mit meiner Situation, H. ist auch da, nach dem Krankenhaus fahren wir direkt in den Himmel. Als H. für einen Moment den Raum verlässt, kommt ein freundlicher Arzt rein. Ich halte ihn für H's Reinkarnation. "Es ist so schön, dass du da bist, du siehst so gut aus", - ich lächle ihn verliebt an. Er schmunzelt))

Ich werde in eine psychiatrische Klinik überwiesen. H. selbst auf Amphe begleitet mich dorthin. Ich komme auf eine offene Station, jetzt begreife ich langsam dass es nicht Richtung Himmel geht, ich realisiere wer und wo ich bin, mir wird wieder 1 mg Tavor verabreicht, danach Filmriss.

Ein großes Zweibettzimmer, ich wache auf, muss wohl zwei Tage am Stück geschlafen haben. Von dem Beruhigungsmittel fühlen sich alle Muskeln bleischwer an. Laufen geht nicht, schleichen. Von dem ganzen Wahn ist nichts mehr da bis auf den Zwangsgedanken, dass ich alle paar Stunden trinken muss, weil ich sonst sterben kann. Nach einer Woche träume ich immer noch vom Jenseits und wache schreiend auf "Licht!" Meine erste Diagnose: Drogen induzierte psychotische Störung. Bekomme einen Entlassungsbrief vom Arbeitgeber.

Ich lerne viele nette Leute kennen, fange wieder an zu rauchen und gewöhne mich langsam an die Klinik. Die Ärzte empfehlen mir etwas länger zu bleiben, doch ich will in mein Leben zurück, vermisse meine Kinder, die zu der Zeit bei meinem Ex Mann sind. Ich werde auf Neuroleptika eingestellt. Doxepin 100 mg wirkt Suchthemmend und Risperidon 1,5 mg hilft die Gedanken zu sortieren. Nach drei Wochen verlasse ich die Klinik ganz gut gelaunt mit der Überzeugung dass ich da nie wieder lande.

Ich reduziere den Konsum auf drei Lines Speed im Monat beim Feiern. Mal klappt es, mal weniger. H. und ich gehen nur noch ausgeschlafen tagsüber feiern. Das läuft eine Weile ganz gut.

Doch zunehmend verschlechtert sich mein Zustand. Ich bekomme Panikattaken, Albträume, die sich so real anfühlen, dass ich noch tagsüber komplett neben der Spur bin. Die Zwangsgedanken kommen jetzt auch ohne Drogen. Z.B.: Wenn ich eine Zigarette rauche, stirbt ein Mensch. Ich fange an überall Zeichen zu sehen, jedes Plakat jedes T-Shirt spricht mich an. So als ob alle Filter weggefallen sind und die Realität auf mich mit voller Wucht der Information stürzt. Absolute Reizsüberflutung.

Im Jahr 2016 folgen zwei weitere Klinikaufenthalte. Diesmal mit einer schweren depressiven Episode. Mein Selbstwertgefühl ist im Eimer, ich traue meinen Wahrnehmungen nicht mehr, bin total verunsichert und fühle mich hilflos wie ein Kleinkind in einer Großstadt. Meine neue Diagnose: Akute polymorphe psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie. H. besucht mich so oft er kann, wir wohnen mittlerweile zusammen, er unterstützt mich mit jeder Kraft.

Nach der Klinik geht es mir einigermaßen besser. Meine Diagnose macht mir Angst, ich versuche alles zu verdrängen und will so schnell es geht zur Normalität zurück. Doch die Depression dauert an, ich bin matt, kein Antrieb, die Albträume kommen regelmässig. Ich bekomme Angst vorm Schlafen. Zur Beruhigung nehme ich Atosil 25-50 mg. Die Schlaftabletten wirken morgens immer noch, bin müde und völlig unmotiviert.

Im Februar verliere ich meinen Führerschein. Amphetamin am Steuer. Wir waren am Sonntag feiern, die Nacht geschlafen, habe meine Tochter zur Schule gefahren, auf dem Rückweg werde ich erwischt. Ein Jahr, 500 € Strafe, Haartest, MPU. Das macht mein Leben nicht gerade einfacher.

Ich isoliere mich vom Freundeskreis, dieses "Reis dich mal zusammen, macht dir eine neue Frisur dann gehts dir gleich wieder besser". Bin nur noch genervt von gut gemeinten Ratschlägen. Bin am Ende und nur noch am Verzweifeln, es scheint alles so aussichtslos. Bin nicht mehr lebensfähig. Dann bekomme ich Fieber, liege fast eine Woche mit 40 im Bett, kann nicht mehr klar denken, aus Affekt greife ich zum Messer und schneide mir in den Hals. ...mein vierter und bis jetzt letzter Besuch in der Klinik. Wieder glaube ich tot zu sein.

Die Wunde ist nicht tief, ich komme zum Glück auf die Station, wo ich schon alle Betreuer kenne. Am nächsten Tag kann ich klar denken. Was für ein bescheuerter Einfall! Was hat mich da bloß geritten?! Ich schäme mich dafür, doch alle Pfleger und Mitpatienten zeigen sich verständnisvoll. Diesmal lasse ich mich auf die Therapie ein, nehme an Gruppen für affektive Erkrankungen und Psychose teil. Male ganz viel und beteilige mich aktiv an allen möglichen Therapien. Nach zwei Monaten Klinik werde ich entlassen. Doxepin, von dem ich 16 kg zugenommen habe wird abgesetzt, bekomme statt dessen Sertralin 150 mg (MAO Hemmer, fast MDMA auf Rezept). Ich habe neuen Mut gefasst, bin froh dass ich noch lebe. Das neue Medikament hält die Depression im Schach. Ich setze mich intensiv mit meinen Gefühlen und Gedanken auseinander. Langsam werde wieder fröhlicher, die Angstzustände verschwinden. Kann problemlos ohne Nachhilfe einschlafen und die Albträume kommen auch nicht mehr.

6. Das Leben geht weiter

Meinen letzten Rausch hatte ich im März 2017 auf Amphe beim Tanzen. Die Musik war so gut, dass ich euphorisch wurde wie auf MDMA. Da hab ich für einen Moment die Psychose vergessen und fühlte mich fit und frei. Das war schön.

Zur Zeit bin ich auf Entzug, seit März clean, zumindest was die illegalen Drogen betrifft. Dennoch bleibe ich wohl ein Rauschliebhaber. Ich nehme zwar nichts, trinke aber um so mehr, auch wenn es nur zwei Bier sind, gern aber auch Caipi oder Wein. Ich gehe regelmässig zur Suchtberatung, hab das Auto abgemeldet und mir einen e-Bike gekauft. Bin seit einem Jahr arbeitsunfähig, bin aber froh dass ich den Alltag wieder im Griff hab und stabil bin. Erst jetzt ein Jahr nach der ersten Psychose habe ich Mut gefasst alles aufzuschreiben. Langsam hab ich die Situation akzeptiert und es geht mir ganz gut. Bald fange ich eine Langzeittherapie an. Das Aufschreiben hilft mir ebenfalls die Ereignisse zu verarbeiten. Meine Drogenerfahrungen möchte ich trotzdem nicht missen, es war eine schöne Zeit und ich habe tolle Einblicke in die Parallelwelten bekommen. Im Oktober kommt meine Ausstellung, ich freue mich darauf. Einige Bilder sind bereits verkauft.

Zu den Leuten aus der Klinik habe ich regelmässigen Kontakt. Wir nennen uns liebevoll "Kloppies". Alles gescheiterte Existenzen aus der Sicht der heutigen Gesellschaft, für mich aber sind es sehr liebenswerte Menschen. Die meisten haben eine Drogengeschichte am Laufen. Ich bin mittlerweile froh, dass ich zu den Außenseitern zähle, denn man muss total verschoben sein um in unserer kranken Gesellschaft zu funktionieren. Mit den Kloppies fühle ich mich sowieso am wohlsten. Die Nachricht dass ich mich umbringen wollte und in der Klinik war hat sich in der Gegend wie ein Lauffeuer verbreitet. Einige Muttis aus dem Kindergarten meiden mich jetzt. Was soll's, dann sind es wohl nie meine Freunde gewesen.

Mit H. feiern wir bald zwei Jahre unserer turbulenten Beziehung. Alle haben uns nach dem schweren Start den Untergang prophezeit, doch wir halten zusammen. Er versteht sich bestens mit meinen Kindern und ich hoffe dass auch meine Eltern es irgendwann kopieren, dass es nicht bloß eine Affäre war. Mit meinem Ex Mann sind wir befreundet, auch er unterstützt mich mit dem Kleinen wenn ich Hilfe brauche. In meinen alten Job kann ich nicht mehr, zu stressig, da besteht die Gefahr dass die Psychose wieder kommt. Bin aber guter Dinge und suche nach neuen Wegen beruflich Fuß zu fassen. In einem halben Jahr wenn ich die MPU bestehe, bekomme ich meinen Führerschein wieder. Ob ich danach wieder zu Drogen greife, kann ich jetzt nicht sagen. Habe aber auf jeden Fall großen Respekt vor den Psychedelika.

...das war's eigentlich. Was ich unter anderem aus all dem gelernt habe, ist dass man nie aufgeben darf, egal wie scheiße es sich anfühlt. Es wird besser! Das braucht nur seine Zeit. Danke für's Lesen :)



Nachtrag 7.November 2018



Und noch ein Jahr ist vergangen, wo mir einiges klar geworden ist. Darüber möchte ich gerne berichten.

Mit der Langzeittherapie hat es bis heute nicht geklappt, es ist so schwer sogar einen Kennenlerntermin zu bekommen, die Wartezeiten sind oft bei 1 Jahr. Irgendwann hatte ich keinen Nerv mehr und beschloß mich selbst mit Meditation und CBD Öl zu therapieren. Und es zeigt tatsächlich Erfolge.

Ich bin erstaunt über den Heilungsprozess und die Regenerationskraft der Psyche. Im Vergleich zu meinem Zustand vor zwei Jahren, sogar noch vor der eigentlicher Psychose, wo scheinbar alles noch in Ordnung war, bin ich heute nach dieser schmerzhaften Krise viel mehr ich selbst. Die Heilung begann mit dem Akzeptieren der Situation, als ich nach dem beschriebenen gescheitertem Suizidversuch ganz unten angekommen war. Alle Ängste sind tatsächlich Realität geworden (weil ich sie mit meinen Gedanken erschaffen habe, sind sie auch eingetreten). Job weg, Führerschein weg, enttäuschte Eltern, Freunde, die sich abgewandt haben, kein Selbstwertgefühl, keine Selbstliebe, keine Lebensfreude, keine Perspektive. Das war der absolute Nullpunkt. Doch genau dann verschwand die Angst plötzlich. Was kann mir jetzt noch passieren, dachte ich. Also schaute ich mich damals in der Klinik um: da ist ein intelligenter sympathischer Typ mit gescheiterter Ehe, der mit einer Gaspistole versucht hat sich das Leben zu nehmen. Mit mir auf dem Zimmer eine ganz jung Frau, Borderline, unsicher und etwas verwirrt, dennoch mit einem neugierigen Blick und immer einem Offenem Ohr für mich. All diese Menschen habe ich gern und fühle mit ihnen mit. Ich fragte mich also - wieso verurteile ich mich selbst? Bin ich ein schlechter Mensch weil es mir gerade schlecht geht? Ich darf auch schwach sein. Ich darf alles fühlen und ich urteile über meine Gefühle nicht mehr! Ab da fing ich wieder an zu leben, mich wieder zu mögen mit all den Sachen die zu mir gehören.

Mit dem Führerschein... da habe ich auf deutsch gesagt drauf geschissen, nachdem in meinen Haaren nach 8 Monaten trotz kompletter Abstinenz 0.02 Mikrogramm Amphe nachgewiesen wurde. 200€ weg, davor schon 500 Strafe bezahlt, nichts konsumiert, brav wöchentlich zur Drogeberatung und trotzdem durchgefallen? Leute, wie wollt ihr mich denn noch bestrafen? Es reicht schon wenn man jemanden die Hand schüttelt, der konsumiert hat, und sich dann über die Haare fährt - so scheiß empfindlich sind die Tests. Also im nachhinein würde ich mich für den Pinkeltest entscheiden. Aber im Moment komme ich wunderbar ohne Auto zurecht.

Da ich nach wie vor nicht arbeite, widme ich die meiste Zeit meinen beiden Kindern. Wenn ich sie sehe, steigt in mir so viel Freude auf, so aufgeweckt, frech und selbstsicher wie sie sind, habe ich wohl als Mutter paar Sachen doch gut hingekriegt. Auch mir nehme ich jetzt Zeit zum Abschalten, Lesen, Freunde treffen... früher hab ich pausenlos 200 % gegeben und schlechtes Gewissen gehabt, wenn ich mal einen Tag rumgegammelt hab. Das habe ich mir abgewöhnt, oder genauer gesagt von H. abgeguckt - er brachte mir die Kunst des Chillens bei. Er erwartet nichts von mir, wir stellen uns keine Vorderungen auf und schränken uns gegenseitig nicht ein - es ist die erste Beziehung in meinem Leben wo ich mich frei und bedingungslos geliebt fühle. Keine Heirat, keine Versprechen, keine gegenseitigen Erziehungsmaßnahmen. Er ist nach zwei anstrengenden Jahren definitiv so kriesenerprobt - das ist viel mehr als ein romantisches Heiratsversprechen und ein Diamantring am Finger. Jeden Tag aufs Neue verliebe ich mich in ihn. Er ist der wunderbarste und ehrlichste Mensch dem ich je begegnet bin.

Nach Aussen sind meine Vorschritte nur an meiner guten Stimmung zu sehen, doch in mir hat sich seit dem soviel gewandelt, wie nicht mal in den letzten 10 Jahren! Meine Selbstsicherheit ist wieder da und die Freude und ich habe neue Freunde, die mich genau so nehmen wie ich bin. Alle Antidepressiva habe ich nach und nach langsam abgesetzt.

Rückblickend bin ich dankbar für die Krise, die absolut notwendig war um die Dinge in meinem Leben, angefangen in meinem Kopf, in Ordnung zu bringen. Dieser Umbruch war das logische Resultat meiner mit dem Verstand getroffener Fehlentscheidungen, der jahrelanger Ignoranz meiner inneren Stimme und der Unterdrückung der Gefühle. Die Drogen haben diesen Prozess nur beschleunigt. Denn keine Substanz kann in einen Kopf etwas induzieren, es verstärkt nur genau DAS was bereits lange da war und gefühlt werden wollte. Dennoch bin ich sehr vorsichtig mit Experimenten, beschränke mich z.Z. nach fast zwei Jahren Abstinenz auf gelegentlichen Amphetamin Konsum. Die ersten zwei Mininasen nach der Pause haben so heftig geballert, daß ich beim Tanzen stundenlang abging wie eine Rakete :-)

Nach der Krise ist viel Ruhe und Gelassenheit in mein Leben gekommen. Der ganze Druck ist abgefallen: wem soll ich was beweisen? Wie hieß es so schön: wir arbeiten viel und hart um Sachen zu kaufen, die wir nicht brauchen, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen.

Mein Motto lautet nun: keine Wünsche, keine Suche, kein Ziel - einfach nur sein und das sein genießen.