Langzeit-Berichte lesen

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Titel:Freunde sind wie Sterne
Droge:Heroin
Autor:moonchild
Datum:12.11.2012 01:55
Nützlichkeit:8,69 von 10 möglichen   (91 Stimmen abgegeben)

Bericht::

Hallo liebe Träumer,

das hier ist ein Langzeitbericht. Aber nicht über mich, sondern über eine gute Freundin von mir. Und wo ich jetzt überlege, ist es auch über mehr als den Konsum von was-auch-immer. Ich hoffe, es ist nicht zu anmaßend, über jemand anderen zu erzählen. Aufgeschrieben diesen März und nun nahezu original an euch. Natürlich alles anonymisiert. Ein riesen Wust an Worten…

Mara und ich haben uns vor ein paar Jahren auf einem Festival kennen gelernt. Es war Sommer, irgendwer machte Musik und Mara hat getanzt. Nur für sich und als wäre sie ganz alleine da. Das hat mich beeindruckt. Und auf einmal haben wir uns schon unterhalten, getanzt, uns die Leute angeguckt. Nach dem Festival sind wir gemeinsam zu ihr gefahren. Die nächsten Tage sind wir viel mit dem Rad durch die Gegend gefahren. Wenn wir einen schönen Baum sahen, oder einen Springbrunnen, der ein einziges Glitzern ist, da sind wir beide minutenlang vor stehen geblieben. Sind nur wenige Menschen, die das mitmachen, die meisten rennen dran vorbei. Abends haben wir es uns gemütlich gemacht mit Tee und Musik. Eine wunderbare, sprühende Freude habe ich in diesen Tagen erfahren dürfen. Das waren ein paar Tage, denn dann wollte Mara nach Frankreich, einfach durch die Gegend reisen. Sie hat oft von dort geschrieben und erzählt. Ursprünglich wollte ich sie dort besuchen, bekam das aber nicht hin. Die Überlegungen führten dafür etwa ein Jahr später zu meiner eigenen Frankreich-Reise, yihah! Schließlich kam Mara wieder her und zog in einer Nachbarstadt in eine WG. Sie ist immer mal wieder umgezogen, hat einen Schulabschluss nachgemacht, eine Ausbildung angefangen und abgebrochen. Wir trafen uns alle paar Wochen. Wir ließen uns durch die Stadt treiben, feierten, erlebten seltsame Dinge. Einmal schliefen wir im Wald, und Mara war echt bei Sonnenaufgang wach und sagte, „hey, die Sonne scheint, komm, wir baden im See!“. Irgendwann war ich mal bei ihr, wir standen wieder irre früh auf, keine Ahnung warum. Ich weis nur noch, wir sitzen vorm Bahnhof, und wie da die Sonne auf uns schien und der Himmel ganz blau war… Zwei oder drei Sommer, was für eine abgefahren schöne Zeit! Wenn wir mal Stress hatten, haben wir das echt gut bewältigt. Ansonsten bekam ich noch mit, dass Mara kaum Kontakt zu ihrer Familie hat, aber ab und zu ihr kleines Geschwisterkind besucht. Als wir uns kennen lernten, hat Mara nichts zu sich genommen, jedenfalls nicht so, wie früher. Da war sie anscheinend multitoxisch und hatte schwarze Haare. Ich fand das befremdlich und fast lustig. Weil es einfach nicht zu der Mara passte, die ich kannte. Obwohl, ich glaube, ich habe das einfach verdrängt. Denn man hat es ihr angesehen, dass sie nicht so stabil ist, wie man erstmal denken könnte.



Im Sommer 2010 habe ich Mara noch besucht. Und ich dachte, es wäre alles normal. Sie wusste zwar nicht, was sie jobmäßig tun sollte, und sie verliebte sich immer wieder in Menschen, die nichts von ihr wissen wollten. Aber haben wir doch alle mal, oder? Ich glaube, sie hatte viele Leute um sich, die sie sehr mochten. Aber das reicht manchmal nicht. Man sieht die Zeichen und kapiert es nicht. Das letzte Mal gesehen haben wir uns, als ich sie in einem Obdachlosenwohnheim besuchte. Die WG hatte Mara rausgeworfen. Sie war sehr distanziert, das war in der Zeit immer öfter so. Sie erzählte, dass sie einen Freund hat, schien aber nicht gesprächig, also verkniff ich mir meine Neugier. Ich gab ihr nochmal meine Nummer und meinte, wenn sie will, soll sie sich melden. Nach diesem Tag haben wir nichts mehr voneinander gehört. Mara war nicht zu erreichen. Ich überlegte, dass ich mal dorthin fahren und sie suchen könnte. Nur war ich zu beschäftigt mit anderem Zeug. Und schließlich hatte sie ja meine Nummer. Wieso habe ich sie nicht trotzdem gesucht? Wo ich doch an sie dachte und sie vermisst habe?

Im Dezember 2011 waren ein guter Freund von mir und ich in einer ganz anderen Stadt unterwegs. Und in der Nähe höre ich plötzlich Mara, die nach mir ruft. Das war eine Freude! Wir erfuhren, was Mara so das letzte Jahr gemacht hat. Erstmal hat sie Kokain genommen. Das gab eine Psychose, die sie sehr effektiv mit Heroin bekämpft hat. Dann gab es noch einige persönliche heftige Sachen. Wir waren jedenfalls alle froh, uns zu treffen. Mein Freund und ich beschlossen, sie zu besuchen. Zu dem Besuch kam es nicht, denn 2 Tage später rief Mara uns an. Ihr Freund hatte sie geschlagen und bedroht. Vielleicht, weil sie ihr H nicht mit ihm geteilt hatte, oder weil er gerade betrunken war. Eben der Freund, mit dem sie schon einige Monate zusammen war und an dem sie so unheimlich hängt. Ihr Traum war es gewesen, mit ihm eine Entgiftung zu machen.

Noch am selben Abend kam Mara zu uns. Am nächsten Tag fuhren wir in ihre Stadt, um ihre Sachen zu holen. Unterwegs trafen wir auf ihren „Freund“. Der ignorierte sie ganz ordentlich. Als wir beschlossen, zu gehen, wurde er munter und forderte lautstark 30 Euro ein, die Mara ihm noch schuldet. Wir holten also ihre Sachen aus einem Obdachlosen-Container. Erstaunlich, wie trostlos Orte sein können. Auf dem Rückweg holte Mara H. So ergab sich die Gelegenheit, mal zu sehen, wie sich jemand einen Schuss setzt. Im Grunde nix besonderes. Wenn das Zeug aufgekocht wird, zuerst hab ich es gar nicht gemerkt, aber später: Immer dieser süßliche Geruch. Und ich sah, wie vernarbt Maras Arme waren. Bis sie da Blut zieht, braucht es einige Versuche. Da, wo es nicht klappt, kommt trotzdem ein Blutstropfen hervor. Die wunderbare Mara, die mit mir im Frühling durch den Wald geradelt ist. Schließlich lehnte sie sich zufrieden zurück wie jemand, der zu heftig an der Bong gezogen hat.

Insgesamt war Mara nur 3 oder 4 Tage bei uns. In der Zeit haben wir z.B. gekocht. Selber, mit frischem Gemüse und so Zeug! Mara war begeistert. Am 2ten Tag bei uns war sie nichts holen. Sie hat ihre Filter aufgekocht, aber das war wohl nix. Dafür hatte sie an dem Tag einen Fressflash. Das war cool, Mara pennt tagsüber ein paar Stunden, und als ich nach ihr sehe, ist sie wach, hat ihren Teil vom Essen gegessen, dazu noch 3 Brötchen und ein halbes Glas Marmelade. Dann liefen wir durch die Gegend, sprachen über ihren Freund, und was sie nun tun könnte. Wir suchten Suchtberatungs-Zentren in unserer Gegend, und auch nach anderen Unterkunftsmöglichkeiten, damit Mara nicht wieder in die alte Stadt zurück fährt. Es war die meiste Zeit, als wäre Mara in Watte gepackt. Trotzdem war sie noch ein bisschen wie früher. Die Verbindung, die mal da war, vielleicht ist die nur verschüttet unter allem.

Mara sagt, sie braucht H, um normal zu sein. Ohne würde sie den Aff kriegen, vielleicht auch einfach durchdrehen. Mal meint sie, sie würde gerne entgiften, dann wieder fragt sie, warum sie das tun sollte. Die Welt um sie herum ist die alte Scheiße. Sie sagt, es gibt nichts, das es für sie wert wäre, mit H aufzuhören. Da hilft es auch nichts, wenn ich ihr von früher erzähle und wie schön doch die Welt ist. All die Sachen, die mir helfen, sind für sie nichts wert. Bei allem, was ich zu geben habe, ist das, was ihr fehlt, nicht dabei. Das, wonach sie sich sehnt, wann wird sie das bekommen? Ich kann nur zusehen, wie sie sich hasst und zerstört. Mein Freund und ich hatten die Abende für uns, um das Geschehen zu verarbeiten. Das war besonders für mich wichtig. Mein Freund stürzte auch irgendwie ab wegen allem, was er sonst so verdrängte.

Am 3ten Tag war ich krank, mein Freund sperrte sich in einem Zimmer ein und wollte nichts mehr tun. Mara spürte nach einem Tag ohne H den Flattermann kommen und fuhr los zum Schnorren und Kaufen. Zur Sicherheit „borgte“ sie noch 10 Euro aus der Gemeinschaftskasse. Mein Freund war also verbarrikadiert und Mara auf Einkauf. Ich redete zwar mit ein paar Leuten, erzählte aber immer nur von Maras Freund. Für einen Sturm von Fragen über H hatte ich keine Kraft. Also machte ich mir einen Tee und guckte ins Leere. Mara kam wieder, aus irgendeinem Grund sah ich ihr nochmal beim Drücken zu. Später an diesem Tag sagte sie mir, ich soll aufhören, ihr helfen zu wollen. Also bekam ich am Abend eine echte Wut auf alle, die vor meinen Augen abkacken, und denen man nicht helfen kann. Sprich: ich tobte ordentlich rum, verbarrikadierte mich in meinem Zimmer und drehte gut Mucke auf. Mein Freund wusste nicht so richtig, wie er damit umgehen soll, glaube ich, aber Mara verstand mich und nahm es nicht weiter übel. Sie sagte, es wäre blöd, mich zu verlieren. Die Freunde von früher haben den Kontakt zu ihr abgebrochen. Da fällt es ihr nicht mehr auf, dass sie inzwischen mit den kaputtesten Leuten rumhängt. Wir sind die letzten cleanen Menschen, zu denen sie noch einen Bezug hat. Wie eine feine Verbindung zu früher. Eine andere Welt. Schließlich hat sie einen Menschen erreicht, der wohl ganz nett ist, und demnächst entgiften will. Bei dem kann sie unterkommen und sich sortieren. Und warum geht das nicht bei uns? Einerseits fühle ich mich ziemlich bürgerlich und scheiße, weil ich sie nicht hier behalten habe. Aber ich bin eben nicht stark. Ich hätte sie nach einer Woche in Frauenhaus oder in eine Klinik geschleift. Wenigstens habe ich ihr gesagt, dass ich sie mag, und dass sich das nicht ändert, auch wenn ich wütend oder fertig bin. Sie hat zwar gemerkt, dass wir nichts tun können als kochen und ermahnen, aber sie hat auch gemerkt, dass wir sie nicht hängen lassen, dass wir wirklich tun werden, was wir können.

Die Tage mit Mara waren kurz vor Weihnachten. Tatsächlich hat sie sich wieder gemeldet und eine Entgiftung gemacht. Großer Jubel! Zwei Tage später nahm sie wieder H. Wir trafen uns noch ein paar Mal. Das war schön, aber auch anstrengend. Ich benehme mich ihr gegenüber anders als früher. Verkrampft und aufgesetzt. Ziemlich blöd. So fixiert auf diesen Drogen-Scheiß. Vor einigen Wochen wollte Mara noch einmal bei uns schlafen, was ich aber ablehnte. Mara hat mir das alles wohl übel genommen, denn ein paar Tage später rief sie an, um mir die Freundschaft zu kündigen. Weil ich sie echt nerve und sie meint, sie würde mich belasten. Ich habe gemerkt, dass mich das an meine Grenzen gebracht hat. Deshalb versuche ich auch nicht, wieder Kontakt zu Mara aufzunehmen. Es würde nichts nützen. Es ist seltsam. Die Zeit mit Mara ist für mich auch jetzt noch etwas wunderbares, sie hat mein Leben wirklich bereichert. Sie hat mir die Freude geschenkt. Und trotzdem. Wie auch das Schönste manchmal nicht gegen die Einsamkeit ankommt… Wie man sich einfach verliert.

Der Titel des Berichts bezieht sich auf eine Karte, die Mara mir mal geschickt hat.

Freunde sind wie Sterne am Himmel. Oft kann man sie nicht sehen, aber es ist gut zu wissen, dass es sie gibt.