Tripbericht lesen

Übersicht:

Titel:Kratom: ein fataler Irrweg
Drogen:Kratom
Autor:anonym
Datum:14.10.2012 05:04
Set:Ängstlich, neugierig
Setting:Zu hause am Schreibtisch
Nützlichkeit:8,25 von 10 möglichen   (126 Stimmen abgegeben)

Bericht:

Die Motivation war folgende: Suche eine Substanz, die nicht verboten und nicht chemisch ist. Möglichst viel erprobt und somit ungefährlich. Kurz gesagt: die perfekte “Droge”.

So kam ich nach einiger Recherche auf Kratom. Das Wirkungsspektrum sagte mir zu und so bestellte ich 100g des Thai Pimp.

An einem Freitag Morgen beschloss ich, mich an das Kratom heranzutasten. Ich hatte eine wichtige Aufgabe zu erledigen und dachte, dass es möglicherweise mit Kratom ein wenig leichter von der Hand gehen könnte. So machte ich mir einen Kaffee und und stopfte mir drei Kapseln (= 3 Gramm) mit Kratom. Ich wählte diese Darreichungsform, weil ich bei meinen Recherchen fast einhellig die Meinung las, das Zeug würde einen fiesen Geschmack besitzen. Zu einem Kaffee mit Sahne also schluckte ich die Kapseln. Es war ungefähr 9 Uhr.

Es dauerte nicht lange und ich war auffällig motiviert. Die anstehende Aufgabe schien nicht mehr so groß und ich setzte mich an den Schreibtisch. Leicht euphorisch begann ich zu schreiben und fasste bereits den Entschluss, in Kürze weitere Kapseln vorzubereiten. Den zahlreichen Internetquellen entnahm ich die ungefähren Dosierungen und so wusste ich um die paradoxe Wirkung. Dass also zunächst eine pushende Wirkung einsetzt, diese bei höheren Dosen dann eher einer sedierenden Platz macht. Genau darauf zielte ich insgeheim sowieso ab: Sedierung. So dann präparierte ich zehn weitere Kapseln und schluckte sie hintereinander weg. Dazu gab es wieder einen Kaffee mit sprühsahne, was ich als äußerst anregend und passend empfand. Die beiden Substanzen waren echte Freunde geworden.

Die Wirkung der großen Dosis flutete angenehm am. Ich saß am Schreibtisch und merkte, dass sich langsam etwas veränderte. Ich war darüber sehr froh und freute mich schon auf die volle Wirkung. Diese war dann auch irgendwann spürbar und ich dachte bewusst: So, das ist Kratom. Die Akustik war fantastisch gedämpft, Töne klangen weicher und fremder. Dies betraf auch meine eigene Stimme. Meinen Gemütszustand würde ich als angstfrei bezeichnen, gelöst. Für meine schriftlich zu erledigende Aufgabe war das ein perfekter Zustand, da ich mich leicht von Ängsten und dysfunktionalen Gedanken (das schaffe ich nie; ich bin viel zu dumm; die anderen können das alle) leiten lasse und schließlich aufschiebe. Diese Gedanken und Ängste spielten nun gar keine Rolle mehr, da ich angstfrei und gelöst sehr mäßig einfach weiter machte und dem Ziel Schritt für Schritt entgegenlief. Ich arbeitete also langsamer, aber dafür kontinuierlich und zielstrebig. So, wie ich es mir vorstellen würde, wenn man als “Normaler” sich einer Aufgabe widmet.

Ich saß mehrere Stunden am Schreibtisch und machte mir ab und zu einen Kaffee mit Sahne. Ich erwähnte es bereits, diese Mischung harmonierte einfach perfekt. Und ich muss dazu sagen, dass ich sonst überhaupt keinen Kaffee trinke.
Die Wirkung der hohen Dosis flaute langsam ab und ich war gedanklich schon beim nächsten 10er-Packet Kapseln. Ein flaues Gefühl im Magen war präsent als die Wirkung langsam abflaute, nicht jedoch während der Hochphase des Rausches. Als weitere angenehme Wirkung empfand ich das unterdrückte Müdigkeitsgefühl. Das mag komisch klingen, da es ja eine eindeutig sedierende Wirkung entfaltete. Aber es war zu keinem Zeitpunkt ein Müdigkeitsgefühl vorhanden, so dass ich 14 Stunden am Schreibtisch saß und arbeitete.

Spät am Abend war die nächste 10er-Kette dran, die aber aus 13 Kapseln bestand, wenn ich mich recht entsinne. Es war ungefähr 22 Uhr und somit waren die ersten 25 Gramm innerhalb von ca. 14 Stunden konsumiert. Das flaue Gefühl im Magen verschwand und ich war wieder schön sediert. Weiter ging’s mit dem Schreiben, schön angstfrei, gelöst, mäßig aber stetig und....persistent. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, aufzuhören oder dass es mir Angst machen müsste zu schreiben.
Ich merkte, dass die Wirkung nun nicht mehr ganz so stark war wie beim Konsum der ersten großen Dosis am Morgen. Weshalb ich bereits das zweite Tütchen mit 25 Gramm ins Auge nahm und nicht viel später 25 Kapseln füllte. Da kam sie durch, die Gier.

Obwohl ich die Wirkung des Kratoms durchaus als angenehm empfand versuchte ich, sehr genau in mich hinzuhören. Hören, was der Körper sagt, die Seele empfindet. Und siehe da, ich konnte recht deutlich spüren, dass es sich irgendwie falsch anfühlte. Es ist schwerlich zu beschreiben, aber es war nicht richtig. Dennoch genoss ich in vollen Zügen die angenehme Sedierung und vor allem die offensichtlich angstlösende Wirkung. Während der nächsten Stunden schluckte ich die anderen 25 Kapseln und bis um ca. 4 Uhr morgens waren dann 50 Gramm Kratom konsumiert. Ich war sediert, aber nicht müde.
Ich legte mich dann ins Bett und geriet in einen interessanten Dämmerzustand. Ich war wach, die Augen wurden schwer, fielen zu. Dann plötzlich riss ich sie wieder auf und las weiter am geöffneten Notebook. Dieses Spiel ging sicherlich zwei Stunden so. Ein eigenartiges Wechselspiel von übermannender Schläfrigkeit und plötzlicher Wachheit. Das flaue Gefühl im Magen war nun wieder durch die abflauende Wirkung präsenter. Ich kann es jetzt noch spüren, wenn ich darüber schreibe. Zu wenig, um zu kotzen, zu viel, um sich wohl zu fühlen.

Irgendwann schlief ich ein. Es war ein sehr kurzer Schlaf angesichts der Tatsache, dass ich zuvor 24 Stunden wach war. Der Schlaf war auch nicht tief und nicht besonders erholsam. Der Kater nach dem Aufstehen hielt sich aber einigermaßen in Grenzen. Was blieb, war die Erinnerung an diese leise innere Stimme, das Gefühl, dass es falsch war. Ich glaube, dass dieses Gefühl bei Opiaten möglicherweise für manche generell spürbar ist. Außerdem war die Erinnerung an dieses flaue Gefühl im Magen geblieben und zudem die Erkenntnis, dass ich Unmengen konsumieren muss, um eine erwünschte Wirkung zu erzielen. Alles im allen fiel mein Fazit daher nicht besonders positiv aus. Kratom ist nicht wirklich lohnenswert aufgrund der beschriebenen negativen Aspekte und ich konnte schon jetzt für mich feststellen, dass Kratom und echte Opiate für mich nicht infrage kommen. Die noch übrig gebliebenen 50 Gramm habe ich an einen Freund weitergegeben. Für mich war es definitiv nicht mehr interessant.

Ich freue mich, dass Ihr bis hierhin gelesen habt. An dieser Stelle möchte ich mich nun fast von Euch verabschieden. Warum nur fast? Nun, die Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt.
Es vergingen zweieinhalb Wochen und an Kratom dachte ich eigentlich überhaupt nicht mehr. Für mich war das Thema, so dachte ich, vom Tisch. Die Suche nach einer perfekten Droge war gescheitert und ich ertappte mich, wie ich mich selbst belächelte. Die Suche nach einer perfekten Droge ist nichts weiter als der armselige Versuch, sich selbst das Unweigerliche nicht eingestehen zu wollen: Die Verabschiedung von der Jugend und die Begrüßung des Erwachsen-Seins, der Abstinenz. Solch seltsame VerSuche sind ein Ausdruck des nicht Loslassen-Könnens oder Wollens.

Nun also zweieinhalb Wochen später. Im Verlaufe des Tages bemerkte ich eine ungewöhnliche Schwäche in mir. Es ärgerte mich ein wenig, denn ich wurde offenbar krank. Es war dieses Gefühl der sich ankündigenden Erkältung. Leichte Gliederschmerzen, unwohl, Kopfweh und ein flaues Gefühl im Magen. Ein flaues Gefühl im Magen?
Am nächsten Morgen ging es mir ein wenig besser, ich ging zur Arbeit. Ich trinke bei der Arbeit immer sehr viel, nicht zwanghaft, es ergibt sich irgendwie. Da ich sportlich sehr aktiv bin, supplementiere ich außerdem dann und wann mit Mineraltabletten. Diese haben ein rote Färbung und ich nehme sie morgens ein. Das hat zur Folge, dass der erste Urin nach der Einnahme eine deutliche Färbung aufweist. Wenn ich dann im Verlaufe des Tages erneut wasserlassen muss, ist mein Urin aufgrund der Trinkmenge wieder nahezu farblos. Nicht so allerdings an diesem Tage: Mein Urin war beim zweiten Wasserlassen immer noch dunkel. Es fiel mir sofort auf, da das sehr ungewöhnlich für mich war. Mein Urin blieb den ganzen Tag über dunkel, trotz ausreichender Trinkmenge, und so begann ich mir zum ersten Mal Sorgen zu machen.

Der Tag darauf begann ähnlich. Dunkler Urin, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, fiebrig und: wieder dieses flaue Gefühl im Magen. Ich hatte also eine Grippe. Aber wieso lief meine Nase nicht? Wieso war sie nicht verstopft? Keine Halsschmerzen? Der Tag verging und ich beschloss am nächsten Tag, Freitag, nicht arbeiten zu gehen. Mal ordentlich ausschlafen, Ruhe, schonen. Der Freitag begann ähnlich wie der Donnerstag: dunkler Urin, abgeschlagen, fiebrig, schwach und ganz neu im Sortiment: ein Juckreiz. Die Ärzte sollten ihn später “ubiquitären Juckreiz” nennen.

Der Freitag verging und ich war am Samstag früh aufgestanden, da ich einen Termin hatte. Wo? Interessanterweise – oder besser glücklicherweise – in einem Krankenhaus. Der Termin war nicht besonders angenehm für mich, denn dieses flaue Gefühl im Magen begleitete mich auch an diesem Morgen. Zu wenig, um zu kotzen, zu viel um sich wohl zu fühlen. Eigentlich kannte ich dieses Gefühl doch. Aber das Offensichtliche erkannte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Der Termin war vorüber und ich machte mich auf den Heimweg. Ich musste noch ein kurzes Stück durch’s Krankenhaus laufen und kam an der Notaufnahme vorbei. Ich blieb dort kurz stehen, schaute mir die automatische Tür an, betrachtete die Klingel. “Nein, da klingelst du jetzt nicht, das kannst du nicht bringen. Nicht, weil dir nur ein bißchen flau im Magen und dein Urin dunkel ist. Am Ende bist du noch ein Hypochonder.”
Ich ging also weiter, verließ das Krankenhaus zum Innenhof hin und ging....irgendwie nicht weiter. Ich verweilte im Hof, grübelte. Dann kehrte ich um, entfasste den Entschluss, wenn ich doch schon mal hier bin, dann kann ich doch zumindest mal nachfragen. Ich ging also zurück zur Notaufnahme und klingelte. Die automatische Tür öffnete sich und ein Krankenpfleger begrüßte mich. Ich schilderte, dass ich mich nicht wohl fühlen würde und das mein Urin auffällig dunkel wäre, so dass ich fast von Blut ausgehen würde. Ich fragte noch unsicher nach, ob das überhaupt ein Notfall sei und ob ich überhaupt die Notaufnahme dafür in Anspruch nehmen dürfte. “Wenn Sie meinen, wir sollten das überprüfen, dann können wir das gerne machen.”

Ich gab eine Urinprobe ab und nahm in der Notaufnahme Platz. Wenig später kam der Pfleger wieder und sagte mir, dass im Urin ganz sicher kein Blut zu finden wäre. Allerdings hatte er durch seine Ausbildung möglicherweise eine andere Vermutung und so bestand er auf eine Blutabnahme, der ich gerne einwilligte. Zudem rief er einen Urologen an, der sich meiner annehmen sollte sowie später noch einen Internisten. Der Urologe untersuchte mich gründlich, machte eine Ultraschalluntersuchung der Nieren, Blase, Harnwege etc. Als wir fertig waren, stellte er fest, dass sich urologisch alles absolut einwandfrei zeigt. Keine Blasenentzündung, kein Nierenschaden, nichts.
Ich setzte mich also wieder in den Untersuchungsraum und wartete auf den Internisten, der noch kommen sollte. Ich musste etwas ausharren und vertrieb mir die Zeit mit Zeitung lesen.

Der Internist betrat den Raum und begrüßte mich freundlich. Er führte eine Anamnese durch, befragte mich über meine Beschwerden. Und er fragte ungewöhnlich lange, ich bemerkte, wie sich allmählich die Stimmung im Raum veränderte.
A: “So, jetzt muss ich mal fragen... “ (steht auf und schließt die Tür zum Untersuchungsraum, so dass niemand lauschen kann, setzt sich wieder hin)
A: “Nehmen Sie Drogen?”
- Naja, manchmal..
A: “Also i.v. oder so?
- Nein, nein, noch nie.
A: “Sind Sie Homosexuell, hatten Sie ungeschützten Geschlechtsverkehr?
- Weder noch
A: “Essen Sie exotischen Fisch?”
- Nein
A: “Hm, aha. Also es ist so, Ihre Leber steigt gerade aus. Die Blutwerte sind heftig und wir müssen jetzt überlegen, was wir machen. Ich muss kurz mit dem Oberarzt telefonieren, wie weiter vorgegangen werden soll.”

Der Internist ging in den Nebenraum, ich konnte das Gespräch mithören. Es lautete ungefähr so: “Er sagt, er habe keinen Fisch gegessen. Nein, auch Drogen nach seinen Angaben nicht. Nein, auch nicht. Ja, verstehe, ja, sehe ich auch so....”
Er kam zwei Minuten später wieder rein und nun lief die Maschinerie Gesundheitswesen voll an. “Ich möchte Ihnen jetzt einen Zugang legen, damit Sie sofort eine Infusion bekommen können. Dann kann ich Sie auf Station 6 verlegen, es liegt ein akutes Leberversagen vor. Wir müssen schnellstmöglich die Ursache herausfinden, um Ihnen helfen zu können.”

Ich willigte ein, sofort stationär aufgenommen zu werden. Es wurde mir ein Zugang am Handgelenk gelegt und ich bekam sogleich eine Infusion. Ich war sehr froh, dass ich an der Atomatiktür geklingelt hatte. Denn mein flaues Gefühl trügte mich nicht, es war eine sehr ernste Angelegenheit. Und ich war unendlich dankbar. Dankbar, hier zu Hause zu sein, wo ich einfach klingeln kann, meine Chipkarte vorlege und die professionellste Hilfe bekomme, die man sich vorstellen kann.
Am nächsten Morgen kam der Oberarzt, es war Sonntag. Er erklärte mir nochmal, dass meine Leber einen ungewöhnlich heftigen Schlag abbekommen hätte und ich eine gewisse Unruhe bei den Ärzten auslöste. Es stand zu diesem Zeitpunkt zur Debatte, ob ich jeden Augenblick in einen akut lebensbedrohenden Zustand abrutsche. Der Oberarzt fragte mich ebenfalls genau über meine Gewohnheiten aus, um herauszufinden, wie sich eine so massive Schädigung der Leber ergeben kann. Und auf einmal fiel es mir ein, wie Schuppen von den Augen, denn dieses flaue Gefühl im Magen erinnerte mich jetzt ganz konkret: “Moment, jetzt fällt mir was ein, ich habe vor drei Wochen Kratom zu mir genommen!”
Der Arzt fragte, was das sei und wo ich es her habe.
“Ich habe es im Internet bestellt und habe es als Kapseln geschluckt.”
A: “Und die waren steril verpackt?”
- Nein, es kam in Plastiktütchen als Pulver aus Holland mit der normalen Post. Dann habe ich mir Kapseln bei Ebay bestellt und das Pulver da reingefüllt und schließlich geschluckt.

Ein leichtes Schmunzeln konnte der Arzt bei so viel Leichtsinn und Naivität nicht verbergen. Er sagte nur: “Höööööchst verdächtig.”
Die Tests auf Hepatitis-Viren waren wie erwartet allesamt negativ. Da die Ursache für das Leberversagen nun bekannt war und sich nicht durch Hepatitis-Viren ergab, nahm die Besorgnis ab. Man machte mir nun Hoffnungen, dass sich alles wieder vollständig und ohne Schäden regenerieren würde. Die Leber ist ein sehr starkes und regenerationsfähiges Organ.

Schließlich lag ich drei Tage am Tropf, die Leberwerte waren spontan regredient. Am vierten Tag wurde ich entlassen. Man wünschte mir alles Gute und bezeichnete mich als “interessante(n) Fall”.

Die Geschichte ist nun zu Ende. Ein für alle Mal.