Tripbericht lesen

Übersicht:

Titel:Der Raum zwischen der Zeit
Drogen:Mischkonsum von LSD, Ecstasy, Ketamin und Cannabis (Reihenfolge vom Autor festgelegt)
Autor:souljacker
Datum:21.02.2017 18:35
Set:Neugierig, erwartungsvoll, vorfreudig, bereit
Setting:Goa-Festival
Nützlichkeit:9,42 von 10 möglichen   (48 Stimmen abgegeben)

Bericht:

1. Die Ortsbegehung, oder wie ich lernte dem Kontrollverlust zu fröhnen

Nachdem ich mit einer Freundin (Jane) über verrückte vergangene Zeiten geredet habe hat mich die überwältigende Lust ergriffen, über eine äußerst intensive Erfahrung auf einem Goa-Festival vor 1,5 Jahren zu schreiben. Das Ganze ist also nicht mehr sonderlich frisch in meinem Gedächtnis, aber vielleicht wird es das durch den Prozess des Schreibens ja wieder. Ich hatte das gesamte Wochenende als insgesamt eher negativ in meinem Kopf abgespeichert und hatte ganz vergessen, was für tolle und magische Momente ich trotz allem dort erleben durfte. Das ist mir jetzt erst während dem Gespräch mit Jane wieder klar geworden. Leider ist es ja oft so mit der Erinnerung: Sie ist total unzuverlässig und oft erinnert man sich am Ende nur noch an die schlechten Dinge, beziehungsweise diese überwiegen dann die positiven Erfahrungen und wenn man sowieso nicht gut drauf ist, kann man sich noch weniger vorstellen, dass man mal so einen ungehörigen Spaß hatte, der seinen Platz zwischen den ernsten und negativen Erfahrungen definitiv auch verdient hat. Hallo positive Erinnerung, hier ist dein Platz, hier kannst du leben und gedeihen.

Das ganze hatte eine recht ungewöhnliche Vorgeschichte. Ich war bei meinen Großeltern zu Besuch und kapselte mich dann am Freitagvormittag ab, um auf das Festival zu fahren. Jane war bereits seit Donnerstag mit einer recht großen Gruppe vor Ort, von denen ich jedoch nur zwei andere Menschen flüchtig kannte, sie war also größtenteils die einzige Person, mit der ich wirklich viel zu tun hatte und die ich wirklich kannte. Wir hatten uns ein halbes Jahr zuvor auf einem der ersten Festivals der Saison kennengelernt und quasi den gesamten Sommer mehr oder weniger zusammen verbracht. Wilde Partys, tiefe Gespräche, viel Gelächter und viel Liebe. Wir verstanden uns super und so hat es mir gereicht zu wissen, dass sie vor Ort ist und ich bei ihren Leuten das Festival verbringen kann, um höchstmotiviert die alleinige Reise anzutreten.

Mit einem breiten Grinsen schritt ich durch die Pforten der Realität in das Wunderland vor mir. Am Zeltplatz angekommen begrüßten wir uns und ich stellte mich flüchtig den anderen vor, die alle nur Gott weiß wo unterwegs waren. Das sorgte für eine erste Irritation meinerseits. Klar, ich bin total cool und tolerant mit Drogenkonsum jeglicher Art, vor allem auf einem solchen Festival, aber der Kontrast im persönlichen Erleben war schon heftig: Vor wenigen Stunden den langsam aber sicher aus den leben scheidenden Großeltern Tschüss gesagt und einige Kilometer weiter östlich als ersten Satz von jemand Wildfremden MDMA angeboten zu bekommen. Ok. So läuft der Hase also hier. Ich lehnte dankend ab, denn ich wollte nichts überstürzen und Freitagmittag war jetzt auch nicht so die Zeit, wo ich meine liebevoll aufgesparten Serotonin Reserven bereits in den Wind schießen wollte. Das hatte schließlich schon noch Zeit - bis zum Abend.

Ich setzte mich auf meinen Campingstuhl und fing an mich an diesem Ort einzufinden. Das ist der Platz, wo du die nächsten zwei Tage verbringen wirst. Cool. Wird sicher lustig. Gleichzeitig war ich immer noch überfordert mit den Menschen um mich herum. Es war wie in einem total absurden Film, in dem wenig Sinn machte, wenn man nicht das Drehbuch dafür selber geschrieben hatte. Die Gespräche drehten sich nahezu ausschließlich um Drogen und es wurde gesammelt, getauscht und bei den circa alle 30 Minuten vorbeischauenden Dealern mit Herzenslust wild eingekauft. Ich gab mich dem allgemeinen Trieb hin und besorgte mir zwei Teile, ein bisschen Pep und eine kleine Portion Ketamin. Der allgemeine Vibe auf dem Festival kam mir jedoch sehr befremdlich vor. Es war einfach zu viel. Dieser zelebrierte Drogenkonsum, ich konnte mich nicht so recht anfreunden mit der Stimmung der Menschen, von denen viele sich scheinbar das Ziel gesteckt hatte, so viele Drogen wie möglich in so kurzer Zeit wie nötig zu konsumieren und zu kombinieren. Ich kam mir vor wie an einem Ballerman für Druffis. Ich bemerkte jedoch, dass ich mich damit anfreunden musste, um mir das ganze Festival nicht durch meine an diesem Ort gefühlt äußerst konservative Einstellung zu Drogen zu versauen.

Am Abend nahm ich ein Teil und tanzte mit den anderen bis zum Aufgang der Sonne. Es war schön und äußerst angenehm, wie MDMA nun mal so wirkt. Wie ein süßer Lollipop, der alles schön kuschlig, glatt und warm macht. Ich wurde erfüllt von Liebe und vergaß meine zweifelnden Gedanken, die trotzdem das gesamte Festival über im Hinterkopf vorhanden waren.


2. Der endlose Weg zum Wald

Am nächsten Tag war geplant, dass wir zu fünft LSD nehmen. Zusammen. Das war nämlich auch noch so eine Sache. Am Vorabend ist mir aufgefallen, dass jeder von unserer Gruppe irgendwie seinen eigenen Film schiebt und das gemeinsame Erleben dabei irgendwie ganz schön auf der Strecke blieb. Ich blieb also bis auf ein paar unnötige Nasen zum Energietanken am Morgen und Vormittag weitestgehend nüchtern. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen jede Nacht ein bisschen zu schlafen, aber diese Option existierte leider zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr. Wie immer hatte ich Angst etwas zu verpassen und blieb folglich auf, so lange es ging. Und mit Amphetamin ist dieser Rahmen bekanntlich recht offen. Gegen Nachmittag starteten wir zusammen in das Abenteuer der Nacht. Während der Wartezeit bemalten wir uns mit leuchtenden Neonfarben. Ich kann mich noch genau an den Zeitpunkt erinnern, als ich merkte, dass irgendetwas anders ist. Dieses Gefühl, das sich nicht in Worte fassen lässt, bestimmte plötzlich meine gesamte Wahrnehmung, als ich meine quietschbunte Kriegsbemalung in meinem Gesicht im Spiegel vor mir betrachtete. Wow. Was ist das nur für ein geiler Spiegel, der meine Haut so unfassbar scharf und detailliert wiedergibt. Ein wunderbarer Spiegel. Jedes einzelne Harr meines Drei-Tage-Bartes war einzigartig, gestochen scharf und voller Leben. Es war mein Bart. Bei dieser Erkenntnis musst ich erstmal gehörig schmunzeln, denn ich wusste: Oha. Das ist nicht normal, dieses Gefühl ist anders als sonst. So fühlt sich also LSD an. Ich hatte es beinahe vergessen.

Schon bald entwickelte sich eine äußerst amüsante Gruppendynamik. Die Acidheads fingen zunehmen an über Kleinigkeiten zu kichern, während die Gruppe irgendwo anders war, wahrscheinlich an einem ähnlich lustigen Ort. Wir wollten los. Die Stimmung am Zeltplatz befriedigte uns zunehmend nicht mehr, wir waren schließlich schon die letzten Stunden und Tage hier gewesen. Plötzlich war die Idee geboren. Wie ein Kind, das wir alle zur gleichen Zeit bekamen. Lasst uns doch in den Wald gehen! Natur, Ruhe, Stille und nur wir und das Leben. Bis zum Aufbruch verging noch eine kurze Ewigkeit, da jeder noch irgendetwas mitnehmen wollte oder auf halbem Weg merkte, dass es im Eifer des Gefechts des Aufbruchs vergessen wurde. Schließlich stand es fest und wurde von einer Außenstehenden treffend festgehalten: „Die Acids ziehen jetzt in den Wald, wir können ja mal vor zu den Bühnen schauen.“ Das war der Startschuss und wir zählten noch ein letztes Mal durch. Alle an Bord, niemand wurde vergessen also konnte es auch schon losgehen. Ehm. Nur wohin?

Nachdem sich jemand ein Herz nahm und bereit war, die Führung dieser verwirrten Gruppe junger Menschen zu übernehmen stolperten wir planlos los Richtung Wald. Keine fünf Meter standen wir schon wieder. „Wo wollt ihr denn hin?“, fragte eine Zeltnachbarin unverschämt neugierig und ziemlich süß zugleich. „Wir gehen in den Wald“, antworteten wir einstimmig. „Hm. In den Wald. Da klingt schon ziemlich gut. Wir wollten da auch schon hin!“, erwiderte sie. „Na dann kommt doch mit!“ Sie waren definitiv in ziemlich genau demselben Zustand wie wir und auf den 30 Metern zum Feldweg trafen wir noch den ein oder anderen Acidhead, der plötzlich das tiefe Bedürfnis nach Wald und Wiese verspürte. Am Weg zum Wald angekommen waren wir bestimmt zehn Leute, wenn nicht noch mehr. Es war ein großer Spaß.

Wir schlenderten lebenslustig und verträumt den Weg entlang und unterhielten uns auf der dritten Meta Ebene über das Leben und unseren Weg zur Glückseligkeit. Die Musik wurde immer leiser, die Stimmung immer gelassener und irgendwann, etwa 50 Meter vor dem Ziel stoppten wir plötzlich. Da stand doch tatsächlich ein Security, der uns den Weg in den Wald versperrte. Kein Zugang. Der Wald war gesperrt. Umweltschutz und so. Scheiße. Da kann man schlecht dagegen argumentieren. Wir standen als Gruppe noch eine Weile da und überlegten, wie wir mit dieser völlig neuen Situation umgehen sollten. Wir wollten ihm versichern, dass wir garantiert nichts dreckig machen würden, dass wir nur spazieren gehen wollten, doch es hatte keinen Zweck. Dieser Mensch war nicht gewillt, seine Pflichten für eine Horde Acid-Heads zu missachten und das Risiko auf Ärger zu kassieren. Es sei ihm nicht verübelt.

Wir standen trotzdem noch lange grübelnd vor dem verführerisch nahen Waldeingang. Vögel zwitscherten und Libellen und Hummeln hinterließen unendlich lange Schweife aus Gold und Luft. Ein einziges Kunstwerk, dieser Waldeingang, wir mussten nur hindurchschreiten. Doch niemand traute sich. Was sollte er schon machen, wenn wir zu zehnt einfach losrennen? Wie konnte er uns nur genau in diesem Zeitpunkt den Zugang zur einzigen Natur, die wir begehrten verwehren? Alles war so sinnlos und so traurig, aber nur oberflächlich. Wir wussten, wir werden unser Glück woanders finden. Nicht hier. Nicht jetzt. Aber schon ganz bald dafür umso mehr.


3. Der Hügel der Verlockung

Enttäuscht und verwirrt machten wir uns also auf den Weg zurück zum großen Trubel, zurück zu den Menschenmassen, zurück zu dem Ort, von dem wir gekommen waren. Wir steuerten direkt vor zur Musik. Wenn schon, denn schon. Die anderen Waldkinder verloren wir auf dem lächerlich kurzen, ewig weiten Weg zum Hügel vor der Mainstage. Dort ließen wir uns nieder und beobachteten die wilde, tanzende Meute unter uns. Überall um uns herum saßen Gruppen und lebten, lachten und feierten, als wäre es der letzte Tag ihres Lebens. Dazu hoppelte natürlich eine Gruppe friedlicher Hasen über die Wiese. Die waren total zahm und ließen sich fast anfassen. Ich war mir echt nicht sicher, ob das wilde Hasen waren, oder ob die irgendjemand mitgebracht hatte. Wir redeten wenig aber pointiert. Irgendwie war jeder trotzdem noch in seinem eigenen Film, obwohl wir zusammen auf dieselbe Leinwand schauten. Vielleicht waren wir auch alle nur erschlagen von der Skurrilität des uns dargebotenen.

Ich sichtete eine große Kinderrutsche und es stand fest: Ich muss diese Rutsche rutschen. Es schien eine große Spaßattraktion zu sein. Also wurde gerutscht und geschaukelt und wir fühlten uns wieder wie kleine Kinder, die sich zum ersten Mal den Freuden des großen Adrenalinrausches hingaben. Mittlerweile waren bestimmt zwei Stunden vergangen, die Dämmerung kam und die Lichter der verwunschenen Stadt unter uns verschlungen uns in ihren Bann. Jane und ich überlegten noch ein halbes Teil zu nehmen und in neues Terrain vorzudringen. Als das Licht der Sonne verschwunden war setzten wir unser Vorhaben in die Tat um.

Plötzlich war ich Teil des ganzen Wahnsinns um mich herum. Ich hatte selbst schon viel zu viel konsumiert. Also zumindest wesentlich mehr als nötig. Wir versuchten unbeholfen etwas zu tanzen doch ich merkte schnell, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Die Wirkung der neuen Droge kam plötzlich und ohne Vorwarnung. Es war mir alles auf einmal viel, viel zu viel. Ich musste hier raus. Dringend. Ganz dringend. Ich sagte den anderen, dass ich zur Chill-Out Area gehen werde, da es mir nicht so gut geht, aber sie sich keine Sorgen machen brauchen und sollen. Ich wollte nur ein bisschen Ruhe und Frieden und die hämmernden Bässe vor mir forderten mich lediglich zum Krieg heraus.


4. Die Hängematten des Wahnsinns & der Eingang zum Raum zwischen der Zeit

Schritt für Schritt ging es mir ein bisschen besser. Das war einfach zu viel da vorne bei der wilden Meute. Jane und ein Kumpel begleiteten mich zu der Chillout-Area, die aus vielen aneinander gebundenen Hängematten bestand. Also das Ganze war praktisch ein riesiges überdachtes Zelt mit einem riesigen Teppich und vielen Hängematten, die zu Dreiergespannen an bunt leuchtenden Doppelpyramiden aufgehängt waren. Wir mussten recht lange warten, bis wir erst eine, dann zwei, dann drei Hängematten erbeuten konnten. Ich legte mich hinein und versank in tiefer Entspannung. All die Last, all die Sorgen, all die Ängste, die ganze Überforderung fiel von mir ab, als wäre sie nie da gewesen. Die bunten Lichter um mich herum schmiegten sich sanft um meine Seele und verschmolzen mit mir. Endlich hatte ich meinen Ort an diesem Festival gefunden. Der ganze Exzess, die ganze übertriebene Gesamtsituation, alles war plötzlich nicht mehr wert als ein flüchtiger Gedanke. Hier bin ich und hier will ich sein. Es war so unfassbar bequem und mein übermüdeter und geschundener Körper entspannte sich bis in die tiefsten Poren. Ich wusste, dass ich irgendwann am nächsten Vormittag heimfahren musste, aber das waren Gedanken aus einer anderen Welt, aus einer Welt deren Realität weit von dem entfernt war, was ich zu diesem Zeitpunkt erlebte und fühlte.

Wir lagen und schaukelten vor uns hin, jeder in seinem ganz eigenen Mutterleib und doch zusammen. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass wir hier alle zusammen im gleichen Takt schaukelten. Wahrscheinlich lag es daran, dass ein Großteil der anderen Menschen auch überfordert von dem wummernden Bass der Mainstage war – ich weiß es nicht. Wir waren uns auf jeden Fall einig und wir waren zufrieden und glücklich. Die Ambient Musik des DJ’s stoppte und ein neuer Mensch begann Musik zu machen. Es folgt: Die intensivste und schönste Erfahrung von Live-Musik meines Lebens.

Ein tiefes Didgeridoo tönte durch den Park der entspannten Seelen. Ein Drum-Rhythmus kam dazu. Ab und zu ein bisschen Saxophon. Und ab und an sprangen kleine Goa Gnome, Zwergen und Elfen aus dem Gebüsch und gaben dem Ganzen mit einem kurzen verzerrten Schrei den nötigen Touch für die Chill-Out Area eines Goa-Festival. Wahnsinn. Das hat sich so unfassbar gut angefühlt. Wir waren total erstaunt und baff und konnten nur noch mit offenem Mund den Kopf schütteln. Zwischen den Liedern sprach der begabte Musiker in sanftem Englisch davon, wie toll es sei, hier mit uns diese magischen Augenblicke teilen zu dürfen und das er es auch spüre, dieses unfassbar freie und losgelöste Gefühl, dass er durch seine Musik bei uns auslöste. Zusammen surften wir auf einer endlose Welle, die unsere Seelen in das sanfte, warme Abendrot unserer Fantasie trug. Ich schaute mich um und sah die anderen Menschen in ihren Hängematten liegen. Ich wusste: Hier würde ich so schnell nicht mehr weggehen. Das ganze erleben war so surreal und zugleich so unfassbar schön, dass an dieser Stelle die Worte versagen, die Gefühle zu beschreiben, die ich in diesem Raum zwischen der Zeit erlebt habe. Ein paar Augenblicke vor diesem unfassbaren musikalischen Erlebnis war ein Kumpel vorbeigekommen und hatte sich nach unserem Wohlbefinden erkundet. Ich versicherte ihm, dass alles mehr als gut wäre, dass einzig allein ein Schlafsack der absolute Shit wäre. Denn eines stand für mich fest: Wenn du heute noch irgendwann schlafen solltest, dann ganz bestimmt nicht allein in einem dunklen Zelt. Nein. Hier war der perfekte Platz. Hier wollte ich bleiben. Hier wollte ich sein.

Natürlich besorgte er mir meinen Schlafsack vom Zeltplatz. Also lag ich während diesem musikalischen Erlebnis nicht nur in einer Hängematte, nein ich lag in einem Schlafsack in einer Hängematte und mein Kopf fing an über das Leben zu philosophieren. Was machen wir hier eigentlich? Und wieso verdammt nochmal fühlt sich das so unglaublich gut und richtig an? Ich schaute mich erneut um. Viele lagen in ihren Schlafsäcken in den Hängematten, manche zu zweit, manche alleine, aber alle waren wir verbunden über die Pyramidenförmigen Befestigungsleuchten. Echt schwer zu beschreiben. Aber ich hatte tatsächlich das Gefühl, dass wir in diesem Moment mehr als Menschen waren. Die ganzen bunten Lichtern und die ganzen verschlafenen Gesichter wirkten wie eine positive Version der Matrix. Hier wurden neue Menschen geboren. In ihren Brutkästen schlummerten sie dahin, bereit zu erwachen, bereit die Welt zu verändern. Das außerirdische Leben wurde uns allen durch die Atmosphäre des Augenblicks eingeflößt und niemand konnte sich dagegen wehren. Niemand wollte sich dagegen wehren. Die Brutstätten leuchteten um mich herum und ich war froh und zufrieden, Teil dieser alles verändernden Bewegung zu sein. Jeder Moment war kostbar und jede Sekunde war voller Glück. Ich hatte den heiligen Gral gefunden und ich trank gierig von der zeitlosen Masse des endlosen Universums.

Irgendwann ging Jane wieder zu den andern vor zur Wumm Wumm Bumms Musik. Ne. Mir war das zu viel. Ich war mehr als glücklich. Ich wollte lieber noch ein wenig hier bleiben und über das Leben nachdenken. Über mein Leben und die Welt an sich. Denn auf einmal machte für mich alles Sinn. Ich sah mein bisheriges Leben vor mir und war glücklich. Ich sah mein zukünftiges Leben vor mir und war glücklich. Ich wusste nicht, wie es weiter geht, ich hatte keine Zukunftsvisionen, aber ich hatte die tiefe Zuversicht, dass alles gut werden würde. Ich würde sterben und die Welt würde sich weiter drehen. Ich hätte mein Leben gelebt und nichts bereut. Das Leben, das ich fühlte, war rein und golden. Ich war mit mir und meiner Seele im Reinen und wollte deshalb diesen Ort auf keinen Fall verlassen.

Irgendwann wurde es hell und ich musste dringend auf Klo. Niemand war da, um meinen Platz zu reservieren, also legte ich meinen Schlafsack, wie es sich für einen ordentlichen deutschen Touristen gehörte demonstrativ breit über die Hängematte. Ich ging auf Klo und zog bei der Gelegenheit noch einmal ein bisschen Ketamin. Außen redeten ein paar Leute über ihr Vorhaben, in den Wald zu ziehen. Ich musste gehörig schmunzeln. Irgendwo in meiner in Fraktale zerhackten Wahrnehmung schnappte ich auf, dass es manche mächtigen Acid-Jünger über einen Geheimweg sogar in den Wald geschafft haben sollten. Vielleicht war das aber auch nur eine Legende.

Das LSD war mittlerweile deutlich am Ausklingen. Die Ewigkeit war vergangen. Ich lag mehrere Stunden in der Hängematte, aber im Nachhinein kommt es mir nur wie ein kurzer Moment vor. Der Raum zwischen der Zeit ist fragil und brüchig. Irgendwann holt einen die Zeit doch immer ein. Als ich mit torkelten Gang zurück zur Hängematte kam, war ich zutiefst empört. Da lag doch tatsächlich ganz frech ein junges Pärchen in meiner sorgfältig reservierten Hängematte. Doch es war natürlich ok. Sie fragten mich, ob sie den Platz räumen sollten und ich antwortete: „Nein Quatsch. Ich bin schon lange genug da gelegen. Vielleicht ist es mal wieder Zeit aufzustehen und was Neues zu erleben.“ Wenn sie nicht gekommen wären, wäre ich wahrscheinlich erst zwei Tage später von der Aufräumkollone aus meiner Hängematte gekratzt worden oder ich würde immer noch dort liege und meine Gedanken schweifen lassen.

Wir rauchten noch einen Joint zusammen und führten ein richtig gutes Gespräch über das Festival und unsere bisherigen Erfahrungen. Es war famos. Die ersten fremden Menschen, mit denen ich mich wirklich tiefgründig unterhalten konnte, waren ausgerechnet die beiden, die in meiner Hängematte kuschelten. Es war so schön, doch ich wusste, die Zeit zum Aufbruch war gekommen. Die stehen gebliebene Zeit holte mich erbarmungslos ein. Ich musste zurück zum Zeltplatz, zurück zum Ausgang aus dem Wunderland, zurück zu öffentlichen Verkehrsmitteln, zurück zum Studium, zum Halbtagsjob, zum Trübsal und zur Freude des normalen Lebens. Das Leben ist wie eine Radiowelle und ich werde wieder auf Sendung gehen. Und es ist ok. Es ist voll ok. Der Schluck von der Unendlichkeit hat mich gesättigt, und ich hatte das Gefühl, dass ich mit der Vergänglichkeit des Lebens in Zukunft wieder ein kleines Stückchen besser umgehen kann.


5. Die Heimreise des Grauens…

… will ich euch an dieser Stelle ersparen. Nur so viel: Eine knapp 24 stündige Odyssee mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch das normale Leben inklusive einer versuchten Übernachtung in einem Park einer wildfremden Stadt, die von plötzlichem Platzregen ziemlich fies gestört wurde. Aber es war alles ok. Verträumt und nass kam ich zu Hause an und legte mich in mein Bett. Zufrieden, verwirrt, verletzt, erfüllt von Glück und Abscheu. Schon bald driftete ich ab in ein bizarres Land der Träume, in dem ich das Erlebte auf verschiedenste Art und Weisen noch einmal durchlebte und verarbeitete.

Geblieben ist dies hier. Und das Glücksgefühl, das einen erfüllt, wenn man weiß, dass man für kurze, endlose Momente Gast im Raum zwischen der Zeit sein durfte.