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Abwesende Träumerin



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ICQ
  Geschrieben: 11.12.10 11:45
zuletzt geändert: 11.12.10 12:30 durch Mia Melody (insgesamt 4 mal geändert)
Ich weiss der Text ist lang aber ich denke er bewahrheitet viel was wir uns viel zu selten selbst eingestehen, außerdem denke ich dass ich damit auch das Fundament für eine Diskussion legen kann die sich die letzten Tage in einigen Threads angebahnt hat. Es ging oft darum ob ein Süchtiger nicht nur die Verantwortung für sein Tun trägt sondern grundsätzlich auch die Schuld an seiner eigenen Misere hat. Anlass dazu gaben mir die Gespräche gestern abend im Chat, das hat mich wirklich die halbe Nacht beschäftigt. Meine Einstellung gegenüber Opioden wurde mehrfach als naiv bezeichnet, doch ganz so ist es nicht. Ich hoffe der folgende lange Text bereichert euch auf eure Art und Weise.

Sucht ist etwas unglaublich perfides, sie lässt dich an sich heran treten - dich, einen intelligenten, jungen Menschen voller Pläne, Hoffnungen und Wünsche für die Zukunft - und ihr Angesicht ist glatt, voller Versprechungen und harmlos. Sie ruft dich, lockt dich, bis du vor ihr stehst, sie lächelt dich an, sie spricht zu dir und sie sagt: "Ich weiss, dass du schon viel über mich gehört hast - doch das sind alles Lügen. Ich würde mich dir gegenüber niemals von einer solch negativen Seite zeigen und ich wüsste, dass ich das auch gar nicht könnte. Denn du bist nicht wie die anderen, das sehe ich. Du bist klug, du bist begabt - und du bist nicht schwach! Ich sehe, dass du stark bist - stärker als ich und aus diesem Grund weiss ich, dass ich keine Chance gegen dich hätte."
Du zögerst, für einen Augenblick lang hast du das Gefühl, dass du hinter ihrem sanften Lächeln für einen Moment eine hässliche Fratze hast aufblitzen sehen - aber dann denkst du: "Ja - natürlich, so ist es! Ich bin nicht wie die anderen, ich bin klug und vor allem bin ich stark! Ich gehöre nicht zu jenen schwachen Menschen, die sich vereinnahmen lassen von etwas, das sie zerstört. Ich würde mich niemals von etwas so fremd bestimmen lassen, ich würde es niemals zulassen, dass irgend etwas anderes als mein eigener Wille mein Leben bestimmt."
Doch das perfide und in gewisser Weise auch dies, was die Sucht eben so einzigartig und damit so hoch gefährlich macht, ist, dass sie es schaffen wird, all deine Intelligenz und deinen ganzen Willen für sich einzunehmen, für ihren Zweck zu verwenden - und damit letztendlich gegen dich selbst.
Und so kann man in bestimmter Hinsicht eigentlich sagen: Umso intelligenter du bist und umso stärker dein Wille, umso gefährlicher kann die Sucht für dich werden.
Denn umso "mehr" gibt es für sie, das sie vereinnahmen kann, umso schärfer sind ihre Waffen, umso grösser ihre Möglichkeit zur vollkommenen Macht.
Sie wird es schaffen, deine ganze Intelligenz und deine Kraft für sich einzunehmen - und sie wird dich dabei noch für sehr lange Zeit glauben lassen, dass DU alleine bestimmst, dass alles, was geschieht, DEIN Wille ist und wenn dann schliesslich der Tag kommt, wo du realisierst, dass dein Wille längst schon nicht mehr der deine ist, sondern nur noch jener der Sucht, dann wird es zu spät sein

Dieser Spruch: "Es ist ein Vorteil, wenn einem die Leute unterschätzen - denn umso stärker kann man sie überraschen.", könnte geradezu von der Abhängigkeit höchstpersönlich stammen.
Du unterschätzt sie - und du hast auch allen Grund dazu: Du nimmst schliesslich nur saubere Chemie, in der Apotheke zu erhaltende Tabletten und Tropfen, kein dreckiges Strassenheroin und das würdest du auch "niemals tun", denn du schätzt die "pharmazeutische Reinheit" dieser legalen Drogen. Du gehst zur Schule, du kriegst dein Leben auf die Reihe, du schaffst es, deinen Alltag zu bewältigen - und du hast keinerlei Kontakt zu irgendeiner "Szene", kennst keine "Junkies" und Wörter wie "Beschaffungskriminalität" haben für dich keinerlei Bedeutung.
Mit der asozialen Junkie-Nutte, die ihren kaputten Körper verkauft, damit sie sich ihren nächsten Knall in den Abszess-übersäten Arm hauen kann, hast du absolut nichts gemeinsam - ja, mehr noch: Du könntest von solchen Menschen gar nicht weiter entfernt sein.
Dies sind deine Gedanken und tatsächlich ist es die Realität - die gegenwärtige.

@redpower:

Egal, was man mir gesagt, oder ob man mir sogar die Konsequenzen meines Tuns anhand einer anderen Person, deren Suchtkarriere einen ganz ähnlichen Verlauf genommen hat, vor Augen geführt hätte - ich bin bis heute teilweise noch der strikten Überzeugung, dass meine Geschichte "eine andere ist", dass "ich anders bin". Und vielleicht war, oder bin ich das sogar auch - und du auch, und es wird tatsächlich niemals so weit kommen, dass du an irgendeiner herunter gekommenen Strassenecke stehst, keine Zähne mehr im Mund hast und die Passanten um Geld anbettelst. Wahrscheinlich ist das der Trugschluss schlechthin, denn vor Heroin und Konsorten sind wir alle gleich.
Aber was ich über die kurze Zeit in der ich mit Opiaten experimentiere gelernt habe ist, dass sich die Sucht im Endeffekt auch mit weniger zufrieden gibt, sie nimmt schlussendlich alles, was sie kriegen kann.
Und falls sie realisiert, dass sie dich nicht vollends einwickeln, nicht durch und durch bestimmen kann, weil du zu den Glücklichen gehörst, für die Wärme und Liebe nicht nur abstrakte Dinge sind, von welchen du einzig unter dem Einfluss von irgendwelchen Substanzen eine Ahnung gekriegt hast - wenn sie das realisiert, dann wird sie sich vielleicht etwas zurück ziehen, sie wird dich umschmeicheln, dabei vorgebend, dich nicht zu bedrängen, sie wird sich unauffälliger geben und dennoch wird sie immer präsent sein, immer da sein.
Sie wird sich in Zeiten, in denen es dir gut geht, ducken, sie wird sogar allenfalls den Anschein erwecken, aus deinem Leben gänzlich verschwunden zu sein - nur um in deinem Hinterkopf heimtückisch auf einen Moment deiner Schwäche zu lauern, um dann umso unbarmherziger und erfolgreicher zuzuschlagen.
Die Sucht hat Zeit, sie ist geduldig. Wenn es sein muss, wartet sie auf dich - und wenn es Jahre sind. Die Sucht ist wandelbar und in jenem Moment wo du glaubst, ihre Beschaffenheit erkannt zu haben, hat sie bereits schon wieder eine veränderte Form angenommen.
Die Sucht ist genügsam: Merkt sie, dass sie dich nicht vollständig bestimmen kann, so wird sie sich damit begnügen, in deinem Leben in abgeänderter, allenfalls verharmloster Form gegenwärtig zu sein, sei dies nun mit einem anderen Angesicht ("Mit Alkohol hatte ich ja noch nie ein Problem, das kann ich locker unter Kontrolle halten!"), im Rahmen eines Substitutionsprogrammes (in welchem deine eigentliche Abhängigkeit in keiner Weise verschwunden ist, sondern auch hier lediglich eine andere Gestalt annimmt), oder ganz einfach damit, dass sie in deinem Leben in abgeschwächter Form anwesend ist, dass sie dir deine kleinen Freiheiten lässt, dich sozusagen an der langen Leine leben lässt, dir eben nicht alles nimmt - jedoch ohne dabei tatsächlich jemals zu verschwinden.

Jener Moment, in welchem du die Sucht unterschätzt, ist jener Moment, in welchem sie am meisten Kraft gewinnt. Lg Mia


Wach auf, wach auf sei bereit was zu sehen, mach dich locker um mit mir auf die Reise zu gehen. Lass dich treiben und komm vergiss den Alltag in dir, nimm den Zug zu den Sternen und sei glücklich mit mir!
Ex-Träumer
  Geschrieben: 11.12.10 12:12
finde den text sehr gut, auch wenn mir jetzt nicht ganz klar ist worauf du hinauswillst. trotzdem konnte ich mich in vielen punkten wiedererkennen und kann dem allem auf jeden fall zustimmen! die sucht ist wirklich sehr geduldig.. geduldiger als man sie anfangs einschätzen mag. das macht es auch so schwierig sie rechtzeitig zu durchschauen.. wenn man realisiert dass sie die kontrolle übernommen hat ist es meistens schon so spät, dass es sehr schwierig wird ihre macht zu schwächen und sie wieder abzulösen.
lg tg
 
Abwesender Träumer



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  Geschrieben: 11.12.10 12:14
Sehr schöner und bewegender Text. Man erkennt sich erschreckend wieder, vor allem in der These mit der Intelligenz, dass man seine eigene als "unbesiegbar" betitelt, und dadurch im Konsum (von egal welcher Droge) nie (oder nur selten) ein Problem sieht.

Ich habe mir auch immer gesagt: Konsumiere so lange, bis du merkst das du so langsam in die Sucht reinruschtst. Allerdings liegt genau hier, wie du ja erkannt hast, das Problem: Es gibt keinen Punkt X an dem die Sucht dich fängt, sondern das geht schleichend ohne das man es selbst merkt.
 
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Abwesende Träumerin



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ICQ
  Geschrieben: 11.12.10 12:29
Oh Verzeihung... in den letzten Tagen gab es im Fentanyl Thread und in noch einem Thread immer wieder hitzige Diskussionen darüber dass ein Konsument es doch absehen könne dass bestimmte Substanzen süchtig machen. Mit diesem Wissen könne er die Gefahr ja ohne weiteres abwenden und wenn er das nicht tue wäre er selbst schuld. Ich möchte wirklich weder die eine noch die andere Aussage bewerten, ich möchte wissen wie ihr darüber denkt und hier eine Plattform für diesen Austausch schaffen. Ich selbst befinde mich im Moment wohl in einer Grauzone zwischen dem einen und dem Anderen Extrem. Daher mein ellenlanger Text. Ich wollte mich einfach irgendwie austauschen, verarbeiten, hinterfragen, abwägen... Lg Mia
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Abwesender Träumer

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1 Langzeit-TB

  Geschrieben: 11.12.10 13:43
puh verdammt schwieruges Thema was Du da anschneidest. Ich weiß um wenn es geht und ich habe es auch verfolgt. Leider muß ich sagen das es nicht das erste Mal ist, das man dies im LdT mitbekommt. Ich glaube auch das sein Weg vorbestimmt ist, dies soll keine Verurteilung sein und eigentlich tut mir soetwas leid.
Ja bei ihm finde ich ist eine selbstverschuldung nicht von der Hand zu weisen. Aber er muß dieses leben führen und hat sich dafür entschieden.
Bei Dir würde ich sagen Du stehst an der Gabelung und es ist deine Entscheidung welchen Weg Du einschlägst. Du hast die Tür zu einer wunderbaren Welt geöffnet, jetzt kommt es darauf an welche Prioritäten und Grenzen Du Dir im Leben setzt.
Ich kenne jemanden der sich einmal im Jahr nen Speedball ballert und den Rest des Jahres keine Drogen nimmt. Ich könnte es nicht da ich schon beim vernünftigen Umgang mit Cannabis gescheitert bin und mit Opioden genauso wenig umgehen kann.


Wer tauscht "Echte Liebe" ein, gegen Mia san Mia von nem Scheiß Verein.
Mario Du Fotze
Ex-Träumer
  Geschrieben: 11.12.10 14:15
hm.. also einerseits ist man schon selbst schuld, andererseits ist die sucht eben extrem hinterlistig und man kann sich ihr nur schwer entziehen sobald man einen gewissen punkt überschritten hat. das ist aber auch der punkt an dem man entscheiden könnte.. ich war mir dieses punktes immer bewusst und habe ihn dennoch irgendwo überschritten, irgendwo auch nicht, da es ja noch nicht zu spät ist aufzuhören, es wird nur immer schwieriger. dennoch bin ich selbst schuld, ich hätte viel früher mit allem aufhören sollen, dessen war ich mir auch immer bewusst. es ist eben sehr verleitend einfach weiterzumachen und sich den konsum schönzureden, ausreden zu suchen warum man jetzt ruhig was nehmen kann usw.. ich bin absolut selbst schuld an meinem drogenproblem, schließlich habe ich es mir über jahre angewöhnt und habe durchaus gemerkt, dass es besser gewsen wäre aufzuhören. so auch jetzt. ich versuche es zwar ein bischen, aber eher halbherzig. würde ich den willen haben es wirklich durchzuziehen täte ich das auch. aber so mache ich eben weiter, weiß aber dass ich selbst schuld an meinem problem bin und nur ich es ändern kann. da mache ich mir auch gar nichts vor oder schiebe es auf die ach so bösen drogen.. jeder ist selbst dafür verantwortlich was er macht.
lg tg
 
Ex-Träumer



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  Geschrieben: 11.12.10 15:00
@Diskussion: ich finde es ein wenig sinnlos die Schuldfrage zu stellen. Klar ist man selber Schuld an seiner Sucht, aber was bringt einem diese Feststellung? Nichts, außer einem erschütterten Selbstvertrauen, und die Hintergründe werden damit auch nicht beleuchtet. Dabei wäre das viel wichtiger, denn erst wenn man verstanden hat was einen in die Situation gebracht hat kann man verhindern dass man beim nächsten Mal den selben Fehler wieder macht...

Achja und wenn es so weit ist dass man in einer Sucht feststeckt ist das fatalste was man machen kann sich aufzugeben und zu glauben dass es niemals besser wird. Ohne den entscheidenden Willen etwas zu verändern wird sich auch nichts verändern... it's a self-fulfilling prophecy.
 
Abwesender Träumer

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  Geschrieben: 11.12.10 16:15
Sucht ist doch keine böse hexe die im hinterkopf ihr unwesen treibt und versucht dein leben zu zerstören. vielmehr ist sucht doch nur eine logische folge von eskalierendem verhalten, und wenn man sich nicht manchmal ganzschön am riemen reißt wird opiatkonsum standard und dann hast du ein problem.
Menschen die sowieso mit vielen problemen zu kämpfen haben machen sich das Leben mit opiaten nur noch schwerer.
 
Abwesende Träumerin



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ICQ
  Geschrieben: 11.12.10 16:23
zuletzt geändert: 11.12.10 16:39 durch ShyFlauschmaus (insgesamt 2 mal geändert)
Boa... heftiger Text Mia! Unter welchem Einfluss ist der denn zustande gekommen? Ich muss zugeben ich hab dich irgendwie ganz anders eingeschätzt. Was du schreibst ist sehr wahr, aber du solltest dir vor Augen halten dass du bereits selbst sehr nahe am Abgrund stehst. Wobei ich mit Abgrund jetzt nicht Tod und Verderben meine, sondern jetzt wird sich langsam zeigen ob du mit deinen 18 Jahren bereits weißt was dir in deinem Leben wichtig ist.

Der Begriff Schuld ist hier vielleicht ungünstig formuliert, aber ich versteh was du meinst. Es ist falsch dem Süchtigen die komplette Schuld an seiner Misere zu geben, denn Sucht sucht man sich ja so gesehen nicht aus. Natürlich bringt es auch nix jeden Junkie zu bemitleiden für das bitterböse Schicksal das es ja jetzt so schlecht mit ihm gemeint hat. Man kompensiert mit dem Konsum ja eher bestimmte Dinge die einem so im Leben fehlen, man wird zur Droge, sie spricht aus einem und handelt nicht mehr wirklich wie man es ohne täte. Der Großteil der Gesellschaft tut sich leicht damit Süchtige an den Pranger zu stellen und ihnen das Leben mit Verboten nur noch mehr zu erschweren. Dabei ist Sucht eine Krankheit und keine böswillige Absicht. Der Konsum das falsche Mittel zur Lösung tiefergehender Probleme. Ich kenne bisher niemanden der von Anfang an das Ziel verfolgt körperlich süchtig zu werden. In Mias Text wird eigentlich deutlich welch immenser innerer Konflikt sich eigentlich im Inneren eines Menschen abspielt der sich mit seinem Konsum auseinander setzt. Richtig ist aber auch dass man alles schaffen kann wenn man es nur will, aber es ist mit einem wahnsinnigen Kraftaufwand verbunden.

@Red:

Wenn das Grundprinzip deines Denkens aufgehen würde hätten wir viele Probleme weniger. Du siehst das alles sehr nüchtern, aber Menschen sind keine Maschinen sondern sehr komplexe Charaktere die nicht immer den Gesetzen der Logik folgen. In einer Welt in der die Menschen nach Geborgenheit suchen weil es das da draussen immer weniger gibt ist das nicht so einfach mit der Entscheidung für den richtigen Weg. Hast du schon mal Opiate konsumiert? Hast du den Text von Mia eigentlich gelesen? Da steht doch haargenau drin wie heimtückisch Sucht ist. Oder glaubst du auch es trifft nur die Dummen?




 
Abwesender Träumer

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  Geschrieben: 11.12.10 18:58

Zitat:
Oder glaubst du auch es trifft nur die Dummen?


Nein, quatsch sagt doch keiner.


Zitat:
Mit diesem Wissen könne er die Gefahr ja ohne weiteres abwenden ...



ohne weiteres nicht
 
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  Geschrieben: 11.12.10 19:14

Mia Melody schrieb:
...Ich selbst befinde mich im Moment wohl in einer Grauzone zwischen dem einen und dem Anderen Extrem... Lg Mia



Mia, ich finde dich gut.

Ich wandle seit ca fünf Jahren auf dem schmalen Grat des Opioidkonsums. Wochenlang druffen, leichter Entzug, bißchen Pause in denen andere Sachen Vorrang haben. Dann wieder von vorne. Insgesamt nehme ich seit über zehn Jahren Drogen, ich hab was anständiges gelernt, ich verdiene nicht schlecht, hab ne Wohnung in München. Und auch wenn ich gern arbeite und mein (mehr oder weniger) geregeltes Leben schätze, haben Bücher wir "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" eine unglaubliche Anziehungskraft.

Vergiss nicht: Die letzte Zuflucht des Versagers ist der Ehrgeiz ;-)

Es ist machbar, aber ich bin der Advokatus Diaboli und am besten hörst du gar nicht auf mich.
Deal with it!
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Abwesende Träumerin



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ICQ
  Geschrieben: 12.12.10 10:48
zuletzt geändert: 12.12.10 10:59 durch Mia Melody (insgesamt 1 mal geändert)
Hunk schrieb:
Mia Melody schrieb:
...Ich selbst befinde mich im Moment wohl in einer Grauzone zwischen dem einen und dem Anderen Extrem... Lg Mia


Mia, ich finde dich gut.

Ich wandle seit ca fünf Jahren auf dem schmalen Grat des Opioidkonsums. Wochenlang druffen, leichter Entzug, bißchen Pause in denen andere Sachen Vorrang haben. Dann wieder von vorne. Insgesamt nehme ich seit über zehn Jahren Drogen, ich hab was anständiges gelernt, ich verdiene nicht schlecht, hab ne Wohnung in München. Und auch wenn ich gern arbeite und mein (mehr oder weniger) geregeltes Leben schätze, haben Bücher wir "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" eine unglaubliche Anziehungskraft.

Vergiss nicht: Die letzte Zuflucht des Versagers ist der Ehrgeiz ;-)

Es ist machbar, aber ich bin der Advokatus Diaboli und am besten hörst du gar nicht auf mich.


Ich versuche auf mein Herz zu hören unter Berücksichtigung meines Verstandes wink

Ich weiss nicht warum die Leute immr glauben dass Sucht etwas beeinflussbares ist nur weil es als bewusste Handlung wahrgenommen wird.
Der innere Drang des Abhängigen nach dem Suchtmittel wird oft in seiner Stärke unterschätzt. Diesen Drang kann der Nicht-Abhängige nicht nachfühlen, weil er ihn nie erlebt hat, aber auch der Abhängige denkt, daß er eigentlich in der Lage sein müßte, diesen Drang zu beherrschen und schämt sich, daß es ihm immer wieder misslingt.
Nicht zu unrecht ist Sucht mittlerweile als eine Krankheit anerkannt. Das bedeutet, daß Sucht nicht als Willensschwäche bezeichnet werden kann, und dass es nichts nützt, dem Abhängigen noch mehr Schuldgefühle zu machen, indem man ihm Willensschwäche vorwirft!
Ich finde es ist ein ganz schlimmes Vorurteil, dass Süchtige selbst schuld an ihrer Lage sind und sie sich eigentlich nur zusammenreißen müssen.
Sucht ist eine Krankheit , und das bedeutet, dass man an seiner Abhängigkeit genauso schuld ist wie an einem Schnupfen oder an einem gebrochenen Bein. Natürlich kann man im nachhinein immer sagen, auf welche Weise die Krankheit hätte verhindert werden können, aber wenn die Krankheit einmal da ist, gibt es eher die Notwendigkeit zu versuchen, sie zu heilen und dem Kranken, also auch dem Süchtigen zu helfen.
Hinter der Frage, ob der Süchtige selbst schuld ist an seiner Sucht, steckt meiner Meinung nach der versteckte Wunsch, den Süchtigen mit seiner Sucht alleine zu lassen und ihm nicht helfen zu müssen.

Wach auf, wach auf sei bereit was zu sehen, mach dich locker um mit mir auf die Reise zu gehen. Lass dich treiben und komm vergiss den Alltag in dir, nimm den Zug zu den Sternen und sei glücklich mit mir!
Abwesender Träumer



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  Geschrieben: 12.12.10 22:43
Ich finde das Wort "Sucht" trifft die Sache voll und ganz. Sucht ist eine Suche nach etwas. Wie es zu einer Sucht kommt hat Mia oben ja bereits sehr gut beschrieben (finde den Text super). Was ich allerdings mindestens genauso interessant finde wie das "Wie" ist das "Warum". Warum werden Menschen süchtig?
Am Anfang jeder Sucht steht ein Wunsch nach etwas. Ein Wunsch nach Nähe, Geborgenheit, Anerkennung oder ganz einfach Spaß am Leben; eben irgendetwas was dem "später" Süchtigen fehlt. Und der Mensch hat leider (oder zum Glück) die Angewohnheit sich zu holen was ihm fehlt. Die Unzufriedenheit mit der Situation ist meiner Meinung nach das was den später Süchtigen dazu bringt sein Suchtmittel überhaupt erst einmal zu probieren. Gleichzeitig ist diese Unzufriedenheit aber auch das gewesen, was den Menschen zu dem gemacht hat was er heute ist. Das fängt in der Steinzeit mit der Unzufriedenheit über die kalte Höhle und dem "Suchtmittel" Feuer an, geht über das Rad, den Flaschenzug, elektrischen Strom, Transistor quer durch die gesamte Menschheitsgeschichte und hört heute mit schnelleren Computern, schnellerem Internet und immer stärkerer Vernetzung noch lange nicht auf. Oder würde sich irgend jemand als nicht süchtig nach all diesen Annehmlichkeiten beschreiben? Diese Unzufriedenheit ist der Aufstieg und (wahrscheinlich) Untergang der Menschheit.
Wie kommt es jetzt aber dass bestimmte psychoaktive chemische Substanzen alias "Drogen" für viele Menschen das Suchtbeispiel schlechthin sind? Was macht sie im Vergleich zu anderen Dingen zu solch starken Suchtmitteln denen ein so hoher Prozentsatz an "Probierern" erliegen? Meiner Meinung nach liegt das an dem direkten Einfluss den diese Substanzen auf die Ursache selbst haben. Die oben beschriebene Unzufriedenheit spiegelt sich in einer charakteristisch veränderten Gehirnchemie wieder und was läge Näher als genau an diesem Punkt anzusetzen und genau diese zu beeinflussen und nach eigenen Wünschen zu verändern; ohne Umweg über irgendwelche Dinge welche erst wieder auf diese Rückkoppeln?
Je tiefer die Wünsche, welche durch eine Substanz erfüllt werden im Menschen verwurzelt sind, desto höher ist auch das Suchtpotential dieser Substanz.
Was fasziniert mich so sehr an Opiaten? Es ist weder die schmerzstillende Wirkung noch das angenehme Wärmegefühl dass sie mir geben - es ist das Gefühl dass die Situation so wie sie gerade ist gut ist; das Gefühl mit der Welt und mir selbst im reinen und endlich einfach zufrieden zu sein.
Aber warum werden Menschen dann nach verschiedenen Dingen abhängig wenn die Grundbedürfnisse der Menschen im großen und ganzen die selben sind? Aus dem einfachen Grund dass sie bei verschiedenen Menschen unterschiedlich gut erfüllt werden; weil Menschen aus verschiedenen Gründen unzufrieden sind. Jemand der sein ganzes Leben Angst vor irgendetwas hat wird eher von Benzos abhängig als jemand der kaum etwas zu befürchten hat.
Was kann man also zur Suchtprävention oder -heilung tun? Den Menschen einfach ihr Suchtmittel entziehen bringt meiner Meinung nach nicht viel, da es die Ursache des Problems nicht beseitigt. Viel mehr wäre es vielleicht angebracht wenn sich die Menschen in unserer Gesellschaft auch für die Bedürfnisse anderer als nur für die eigenen interessieren würden. (Das soll jetzt keine Schuldzuweisung an die Gesellschaft allgemein sein.) Aber auch die Süchtigen selber sollten vllt mal in den Spiegel schauen, sich fragen WARUM sie süchtig sind (nicht nur wie es dazu kam) und offen mit anderen Menschen darüber reden was ihnen fehlt, warum sie unzufrieden sind. Ganz so schlecht is unsere Gesellschaft dann doch wieder nicht, dass einem niemand zuhören würde.
Fakt bleibt meiner Meinung nach jedoch die Tatsache, dass je mehr sich unsere Gesellschaft zu einem gegenseitigen Wettstreit und ausknocken entwickelt, und je mehr damit die Ängste und Sorgen der einzelnen Beteiligten wächst, desto mehr Süchtige wird es in ihr geben; sei es nach chemischen Substanzen, Glücksspiel, Online-Rollenspielen, selbstverletzenden Verhaltensweisen oder was-weiß-ich-was. Meiner Meinung nach ist jede substantielle Sucht nur eine Ersatzsucht. Jeder von uns ist süchtig nach zwischenmenschlichen Emotionen; und wird diese Sucht nicht erfüllt, sucht der Mensch eben nach einem Ersatz dafür.
Psychisch gesehen ist unsere Gesellschaft jedenfalls alles andere als eine Wohlstandsgesellschaft!

So das sind die Gedanken die ich mir in letzter Zeit zum Thema Sucht gemacht habe; wurd vllt Zeit dass ich sie mal niedergeschrieben habe.

Das Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" hat mich übrigens eher motiviert als abgeschreckt; fände es interessant zu wissen ob es noch jemandem so ging da ich mir darüber nämlich auch einiges an Gedanken gemacht habe warum das so war.
Yesterday is history,
today is a gift,
tomorrow is mystery!

http://www.youtube.com/watch?v=v9NWNWrBj6Y

Sola dosis venenum facit!
Abwesender Träumer



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1 Tripberichte

  Geschrieben: 13.12.10 00:08
Ich bin mit indream einer Meinung, dem kann ich nichts hinzuzufügen, grandioser Text!

"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" war für mich definitiv abschreckend, seitdem war Heroin für mich die Horrordroge überhaupt. Habe mich sogar lange davor gescheut, hier im LdT in Threads über Opis reinzuschauen und mir meine Neugier einzugestehen.
 
Abwesender Träumer

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  Geschrieben: 13.12.10 01:49
um mal meine negativen aussagen über abhängige zu korrigieren, und damit wir mal halbwegs auf einen nenner kommen
mache ich mit Mias Beispiel weiter


Zitat:
Ich finde es ist ein ganz schlimmes Vorurteil, dass Süchtige selbst schuld an ihrer Lage sind und sie sich eigentlich nur zusammenreißen müssen.
Sucht ist eine Krankheit , und das bedeutet, dass man an seiner Abhängigkeit genauso schuld ist wie an einem Schnupfen oder an einem gebrochenen Bein. Natürlich kann man im nachhinein immer sagen, auf welche Weise die Krankheit hätte verhindert werden können, aber wenn die Krankheit einmal da ist, gibt es eher die Notwendigkeit zu versuchen, sie zu heilen und dem Kranken, also auch dem Süchtigen zu helfen.




Man kann weder bei einem Kranken noch bei einem Abhängigen pauschale aussagen treffen.
Beispiel Krankheit :Du knicks beim laufen um und brichst den Knöchel- matt gelaufen. Abhängigkeit: Du hast wasweissichwarum heftige Schmerzen und bist auf starke opis angewiesen, um normal leben zu können ( Wirst dann natürlich auch körperlich abhängig)- dann ist dass halt so und du musst es akzeptieren.
aber bei vielen Läufts auch anders : Ohne medizienische Notwendigkeit mit Opiaten rumprobieren, irgendwann wochen durchballern oder sogar monate, dass ist doch wie Abends bei minusgraden nackt durch den Park zu spazieren und sich morgens wundern wenn man krank ist.



Zitat:
Ein Wunsch nach Nähe, Geborgenheit, Anerkennung oder ganz einfach Spaß am Leben; eben irgendetwas was dem "später" Süchtigen fehlt.



Das suchen wir halt alle, dass ist das Problem. Ich glaube nicht dass jeder Abhängige ein Loch in der Seele hat das es zu stopfen gilt. (Sicherlich neigen Menschen mit Depressionen, Zwangsstörungen, hoher emotionaler Belastung etc. eher zu Abhängigkeitserkrankungen)

Aber für mich kann ich sagen (und ich denke ich spreche für viele): Wenn ich abhängig werden würde- dann wäre ich selbst dran schuld weil:
-kein Schmerzpatient
-kein psychischen Erkrankungen
-nicht arbeitslos (Langeweile gibt finde ich extremen Konsumdruck)
-ausschließlich hedonistischer konsum etc.
Ich könnte mir jetzt auch sagen : Du suchst doch nach etwas mehr als dem scheiss Alltag, früher eh depressionen gehabt, dazu noch unglücklich/saukomplieziert verliebt und Opiate machen den Körper auch nicht mega kaputt: Also los, Tilli rein/ Oxy kleingemacht!
Aber ich sage mir jetz : Nönö, heut schon n bissl ungewohnt gewesen mal nix zu nehmen, und ne 200erTilli merkste eh kaum noch, also bis freitag erstma nix nehmen (ausser weed)...



Zitat:
Jeder von uns ist süchtig nach zwischenmenschlichen Emotionen; und wird diese Sucht nicht erfüllt, sucht der Mensch eben nach einem Ersatz dafür.

-diese Sucht ist aber keine Krankheit, und kein Mittel der Welt kann sie befriedigen

Trifft vielleicht auf manche zu, aber nicht auf alle. Ich habe nie nach irgendetwas gesucht (Bin nur sau neugierieg auf sämtliche substanzen) und ich kenne knapp 10 leute die opiate nehmen (einer davon abhängig- alle anderen gelegenheitskonsumenten):
Allesamt in der gleichen/ ähnlichen Situation wie ich und allesamt wären nunmal selber schuld wenn sie abhängig würden.
Für menschen die ich nicht persönlich kenne möchte ich weiterhin auch keine schuldzuweisungen aussprechen.
Und mir geht es nicht um Schuldzuweisungen: Ich finde nur man sollte sich seiner VERANTWORTUNG für sich selbst bewusst sein, und diese nicht von sich weisen.

Opiatkonsum ist wie auf einem umgefallenen Baum den Fluss überqueren. Mann sollte Gut balancieren können und wer die falschen Schuhe anhatt schmiert wahrscheinlich ab.
Wenn man ins Wasser fällt ( der erste Entzug) steht man vor einer entscheidung : Treiben lassen ( auf den Wasserfall zu^^)
oder kurz anstrengen und an land schwimmen.
 

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